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Dann machen wir doch eine Revolution!

Die Jugendproteste in Portugal im März standen ganz am Anfang der europaweit spürbaren Bewegung für mehr Demokratie. Vor der auf den morgigen Samstag angesetzten weltweiten Demonstration sucht die "Bewegung 12. März" in Lissabon nach neuen Partnerschaften.

Von Tilo Wagner | 14.10.2011
    Die "Vereinigung 25. April" im Lissabonner Stadtteil Chiado ist die letzte Bastion der Nelkenrevolution. Fast alle führenden Militärs, die vor 37 Jahren den Putsch gegen das autoritäre Salazar-Regime unternommen haben, sind heute Mitglieder des politisch und kulturell orientierten Vereins. Sie sind es, die damals die Demokratisierung in Portugal eingeleitet haben. Der Vorsitzende Oberst Vasco Lourenço:

    "Die Freiheit waren während der 48 Jahre dauernden faschistischen Diktatur unterdrückt. Nach dem Putsch am 25.April 1974 stieg die zivilgesellschaftliche Aktivität der Portugiesen exponentiell an und erreichte 1975 einen vorläufigen Höhepunkt. Doch schon bald danach war der Aktivismus und das Engagement der Portugiesen wieder verschwunden. Die portugiesische Gesellschaft lässt sich nicht leicht für zivilgesellschaftliche Fragen mobilisieren."

    Deshalb haben die ehemaligen Revolutionsführer die aufkeimende Jugendprotestbewegung "12. März" begeistert verfolgt und früh ihre Unterstützung zugesagt. In den vergangenen Monaten organisierten die beiden Gruppen eine Reihe von Veranstaltungen und unterzeichneten ein Abkommen, in dem es heißt, dass die Errungenschaften der Nelkenrevolution und die portugiesische Verfassung unbedingt verteidigt werden müssen. Zu diesem Zweck ist den alten Revolutionären wie Vasco Lourenço fast jedes Mittel recht.

    "Die gleichen politischen Kräfte und Personen, die uns in die Krise gefahren haben, sitzen immer noch am Steuer. Und sie wollen die Krise lösen, indem sie die immer gleichen Mittel anwenden. Wir brauchen neue Ideen, wir müssen den sozialen Frieden bewahren, die Korruption bekämpfen und die Politik muss wieder Vorrang haben vor der Wirtschaft und den Finanzen. Wenn das nur mithilfe einer Revolution zu machen ist, dann bitte: Dann machen wir doch eine! Auf den Straßen und mit Hilfe der Zivilbewegung."

    Der Spielraum für neue politische Ansätze ist jedoch enger geworden, seit Portugal ein hartes Spar- und Reformprogramm erfüllen muss als Gegenleistung für die Finanzhilfen aus dem Euro-Rettungsschirm. Die "Bewegung 12. März" ist sich darüber im Klaren.

    João Labrincha und zwei weitere Initiatoren der Zivilbewegung stehen vor der deutschen Botschaft in Lissabon, wo sie dem deutschen Botschafter ein Geschichtslexikon des 20. Jahrhunderts übergeben haben – als Geschenk an die Bundeskanzlerin. Die hatte den Stolz der Portugiesen schwer getroffen, indem sie öffentlich forderte, europäischen Schuldenstaaten Souveränitätsrechte zu entziehen.

    "Dem Botschafter haben wir gesagt, dass wir uns alle an die Gründerväter der EU erinnern und das Solidaritätsprinzip neu überdenken sollten. Wir müssen eine EU der Menschen und Völker schaffen. Unsere Zivilbewegung ist wie Portugal in einen internationalen Kontext eingebunden. Das gegenwärtige Demokratieproblem, das heißt der Graben, der sich zwischen Bürgern und Politikern auftut, zeigt sich auf einer europäischen oder sogar globalen Ebene. Natürlich gibt es spezifische rein portugiesische Gründe für unsere Krise, aber es gibt auch eine Reihe von Problemen, die ihren Ursprung jenseits unserer Grenzen haben."

    Die Bewegung 12. März kritisiert vor allem ein Diktat der Finanzmärkte, das den Handlungsspielraum der Bürger zunehmend eingrenze. Die Regierung konzentriert sich zurzeit fast ausschließlich darauf, die mit der EU, dem IWF und der Europäischen Zentralbank vereinbarten Sparvorgaben zu erfüllen. Deshalb ist die Hauptforderung der Protestbewegung, eine bessere soziale Absicherung für junge Arbeitnehmer zu garantieren, bisher nicht umgesetzt worden. Die 35-jährige Schauspielerin Joana Manuel aus dem Organisationsteam der portugiesischen Protestbewegung stellt fest:

    "In der Deutschen Botschaft haben wir wieder das Wort 'unvermeidlich' gehört, das in Zusammenhang mit der Schuldenkrise immer wieder fällt. Das klingt fast wie ein Denkverbot. Wir wissen natürlich, dass weder Deutschland noch die Bundeskanzlerin, noch der Botschafter uns dieses Gefühl geben wollen. Doch in der Praxis zeigt sich genau das Gegenteil. Uns wird vermittelt: Ihr habt gar keine andere Wahl, ihr zählt gar nicht. Wir denken aber, dass wir sehr wohl zählen, Staaten existieren schließlich nur wegen uns Bürgern. Wenn die Staaten aber nicht mehr funktionieren, dann brauchen wir sie nicht und sie werden zu unserem Gegner – und das wollen wir auf alle Fälle vermeiden."

    Sammelportal dradio.de: Euro in der Krise