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"Dann würden wir eine Embryonen-Industrie bekommen"

Der CDU-Europaparlamentarier und Arzt Peter Liese begrüßt das Verbot des Europäischen Gerichtshofs für Patente auf embryonale Stammzellen. Der menschliche Embryo dürfe nicht zu einem industriellen Produkt werden.

Peter Liese im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.10.2011
    Jasper Barenberg: Die Sache ist kompliziert. Grob gesagt ist es Oliver Brüstle von der Universität Bonn gelungen, Nervenzellen zu schaffen, mit denen es eines Tages möglich sein könnte, schwere Krankheiten zu behandeln, Parkinson zum Beispiel, Alzheimer oder Multiple Sklerose. Forschen darf der Wissenschaftler nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs auch in Zukunft, seine Technik darf er aber nicht patentieren lassen, weil das Verfahren embryonale Stammzellen nutzt. Mit ihrer Entscheidung wollen die Richter ausdrücklich auch kommerziellen Interessen in einem besonders sensiblen Bereich einen Riegel vorschieben. Verhindern sie aber zugleich auch mögliche Therapien gegen Krankheiten, die bis heute als unheilbar gelten?
    Mitgehört hat Peter Liese, Europaparlamentarier der CDU, Arzt und Mitglied im Gesundheitsausschuss in Brüssel. Schönen guten Morgen, Herr Liese.

    Peter Liese: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Liese, bleiben wir doch bei dem Beispiel aus Großbritannien. Müssen die Mediziner dort den Versuch, ihre Versuche jetzt abbrechen, schwere Erkrankungen der Netzhaut zu behandeln?

    Liese: Nein. Weder Herr Brüstle, noch sonst jemand in Europa muss mit der Forschung aufhören. Aber es darf keine Patente auf Verfahren mit embryonalen Stammzellen geben, das heißt keine wirtschaftlichen Verwertungsansprüche auf die Ergebnisse solcher Forschung.

    Barenberg: Aber auch die Forscher in Großbritannien, andere Forscher zum Beispiel auch in Schweden, haben Patente angemeldet. Sind sie jetzt nicht wertlos nach dem Urteil des Gerichts?

    Liese: Diese Patente sind in der Tat wertlos, weil das europäische Gericht, das höchste europäische Gericht entschieden hat, dass man Verfahren, bei denen menschliche Embryonen verwendet werden, oder Zellen, die die Zerstörung von menschlichen Embryonen voraussetzen, eben nicht patentieren darf. Das begrüße ich sehr, das hat auch das Europäische Parlament in einer Resolution, wo wir die Auslegung der zugrunde liegenden Richtlinie angeregt haben, genau so gesagt.

    Barenberg: Die Entwicklung neuer Heilmethoden, neuer Medikamente, neuer medizinischer Verfahren ist in der Regel ja an Patente gebunden. Die Kosten für die Entwicklung solcher Heilmethoden sind oft astronomisch. Warum soll das in diesem Fall nicht gelten?

    Liese: Also ich bezweifle, dass die Forschungen in Großbritannien und in den USA zum Erfolg führen. Es ist so, dass wir seit über zehn Jahren Forschung mit embryonalen Stammzellen haben, weltweit in vielen Bereichen, beispielsweise in der privaten Forschung in den USA oder in China, in Singapur ohne jegliche Regeln, und trotzdem gibt es bisher keinen Patienten, der als geheilt entlassen wurde. Im Vergleich dazu sind andere Therapiemethoden wie beispielsweise die Forschung mit sogenannten adulten Stammzellen, das heißt Zellen, die aus dem Körper Erwachsener gewonnen werden, sehr viel erfolgreicher. Da gibt es schon etwa 70 Erkrankungen, die man damit behandeln kann. Also deswegen glaube ich nicht, dass diese Ergebnisse überhaupt zum Erfolg führen. Aber wenn die Forscher ...

    Barenberg: Herr Brüstle aber schon in Bonn!

    Liese: Bitte?

    Barenberg: Herr Brüstle aber schon in Bonn!

    Liese: Ja, gut. Ich sage, wenn Herr Brüstle recht hat und das wird irgendwann funktionieren, dann bräuchten wir, um diese Therapien durchzuführen, massenhaft menschliche Embryonen und dann wird es nicht ausreichen, die sogenannten überzähligen Embryonen zu benutzen, die bei künstlicher Befruchtung übrig geblieben sind, sondern dann muss man auch gezielt Embryonen herstellen, und dann würden wir eine Embryonen-Industrie bekommen, wo millionenhaft Embryonen hergestellt und zerstört würden. Und sowohl die Richter am Europäischen Gerichtshof als auch das Europäische Parlament sagen, dass das gegen die Menschenwürde verstößt, dass der menschliche Embryo ein menschliches Lebewesen in der Frühphase seiner Entwicklung ist und dass man ihn nicht zu einem industriellen Produkt machen sollte.

    Barenberg: Die These, Herr Liese, dass es eine Industrie geradezu geben soll für die Herstellung von Embryonen in diesem Zusammenhang, die weist Oliver Brüstle natürlich vehement zurück. Er beklagt, dass ein ganzer Forschungszweig – und andere tun das ja auch – ausgetrocknet wird durch dieses Urteil, weil man eben noch nicht wissen kann, ob stimmt, was Sie sagen, dass adulte Stammzellen zum Erfolg führen oder andere Stammzellen, die entwickelt werden, oder ob es eben die Stammzellen sind, die auf embryonale Stammzellen zurückgehen.

    Liese: Zunächst einmal denke ich, man muss die Gefahr, dass es zu einer großen industriellen Verwertung kommt, natürlich ernst nehmen, denn die Debatte ist ja davon geprägt, dass immer weiter die Grenzen verschoben werden. Es wird auf Dauer nicht ausreichen, nur wenige Stammzell-Linien zu nutzen, das kann man in der Grundlagenforschung tun, aber wenn man es kommerziell im großen Stil verwerten muss, dann wird es auch andere Anforderungen an diese Zellen geben und dann hat man eine Embryonen-Industrie. Der ganze Forschungszweig ist aus meiner Sicht sehr, sehr stark überbewertet. Es hat Heilsversprechen gegeben und natürlich kann niemand in die Zukunft schauen. Aber wenn wir uns die wissenschaftliche Literatur der letzten zehn Jahre anschauen – und seit zehn Jahren ist die Diskussion im großen Stil weltweit geführt worden -, so haben wir viele, viele Erfolge, mittlerweile etablierte Therapien aus dem Bereich der adulten Stammzellen, also aus dem Körper Erwachsener, auch aus dem Nabelschnurblut, und wir haben praktisch keine Erfolge aus dem Bereich der embryonalen Stammzellen. Also es gibt natürlich keine hundertprozentige Gewissheit, wie sich die Zukunft entwickelt, aber es gibt sehr starke Indizien. Und ein Teil der Begründung wurde auch in dem Beitrag gesagt, embryonale Stammzellen teilen sich immer weiter. Das ist gut für die Forschung, man kann sie standardisiert untersuchen, weil sie sich eben weiter teilen. Deswegen kann Herr Brüstle auch mit Zellen aus Israel forschen, und das sind eben Zellen, in denen in Israel geforscht wird und in Deutschland, weil sie sich eben so gut teilen. Wenn man die aber in den Körper des Menschen implantiert, dann gibt es die Gefahr der krebsartigen Entartung, und das haben die Forscher weltweit noch nicht im Griff. Das ist ein Beispiel dafür, dass es mit den embryonalen Stammzellen eben sehr, sehr schwierig ist.

    Barenberg: Etwa 250.000 Menschen leiden in Deutschland beispielsweise unter der schweren Krankheit Parkinson. Diesen Menschen zum Beispiel hat ja Oliver Brüstle mit seiner Forschung Hoffnung gemacht, andere Forscher auch. Enttäuscht das Urteil die Hoffnung dieser Menschen jetzt?

    Liese: Also ich glaube, Herr Brüstle hat Heilsversprechungen gemacht. Das ist was anderes als begründete Hoffnung. Es ist meiner Ansicht nach nicht zulässig, weil man selber forschen will und weil man kommerzielle Interessen hat. Das muss noch mal gesagt werden. Herr Brüstle hat sein Patent nicht bekannt gegeben. Er hat sich an der deutschen Debatte beteiligt, als sei er ein Mensch, der nur den Patienten helfen will. Und dann hat irgendwann Greenpeace herausgefunden, dass er ein Patent angemeldet hat. Wenn er der Meinung ist, er braucht Patente, um den Menschen zu helfen, hätte er das ja auch schon von Anfang an sagen können. Also er hat schon kommerzielle Interessen und das sollte man einfach nicht verschweigen. Die Heilsversprechen sind meiner Ansicht nach nicht fundiert und deswegen sollte man sie nicht machen. Ich bin dafür - ich bin Arzt, ich habe viele, viele Patienten leiden gesehen und ich setze mich für die medizinische Forschung ein -, ich glaube, dass dies der falsche Weg ist aus medizinischen Gründen, aber ich glaube unabhängig davon, dass es auch Grenzen in der Medizin geben muss. Wir würden ja auch niemals akzeptieren, dass man in China beispielsweise Menschen umbringt, um Organe zu Organspendezwecken zu bekommen. Das muss man dann kritisieren, auch wenn das Ziel, ein Organ zu bekommen, natürlich ein sinnvolles ist. Aber unabhängig davon: Wir sollten den Patienten keine unberechtigten Hoffnungen machen. Das ist meiner Ansicht nach auch ein ethisches Problem, wenn man suggeriert, man könnte Patienten helfen, obwohl man sehr, sehr weit davon entfernt ist und das vielleicht niemals erreichen wird.

    Barenberg: Peter Liese, Europaparlamentarier der CDU, Arzt, Mitglied im Gesundheitsausschuss in Brüssel. Vielen Dank, Herr Liese, für das Gespräch.

    Liese: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.