Donnerstag, 28. März 2024

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"Dantons Tod" am Schauspiel Frankfurt
Mitskandieren bei der Anklage gegen Danton

Im Stück "Dantons Tod" von Georg Büchner untersucht Ulrich Rasche die Individualisierung und politische Bewegung. Dabei geht es um mehr als um die Kippstelle der Französischen Revolution, den Umschlag der Republik in ein Terrorsystem.

Von Cornelie Ueding | 30.03.2015
    Der Einzelne nur Schaum auf der Welle - man kennt diese Büchner-Zitate. Und auch einen anderen Büchner-Satz glaubt man zu kennen: Man solle einmal den Phrasen nachgehen bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden. Aber begreift man das wirklich? Regisseur Ulrich Rasche hat Georg Büchner beim Wort genommen: Er übersetzt hautnah, wuchtig und beklemmend intensiv die Gewalt und Dynamik revolutionärer Prozesse in die Wirklichkeit – der Bühne.
    Gigantische, oft schräg geneigte schwarze Walzen füllen den Bühnenraum, unterschiedlich hoch und in drei Reihen hintereinander gestaffelt. Unter ihnen der Abgrund – und obendrauf, hoch oben, die Figuren. Sie wirken klein, hängen wie Marionetten an Stricken, sind ohnmächtig im Getriebe der selbst in Gang gesetzten Revolte.
    Denn die Riesenrollen drehen sich unerbittlich rückwärts. Wer hier stehenbleibt, fällt. Wer beherzt ausschreitet und vermeintlich vorwärts geht - tritt auf der Stelle, während die in endloser Vorwärtsbewegung gefangenen Akteure sich in der Endlosschleife republikanischer Parolen verfangen.
    Alle zum Gleichschritt verdammt
    Danton, Robespierre, Camille oder Saint Just – die Protagonisten wie auch das Volk, ob einzeln oder in Gruppen, als Individuen oder als Kollektiv: Auf dem rollenden Vulkan der Revolution sind sie alle zum Gleichschritt verdammt. Keiner kann - und darf - sich dem ebenso suggestiven wie gefährlichen Sog entziehen. Man wird vereinnahmt oder ausgestoßen. Aus Aufklärung und Befreiung wird Gehirnwäsche. Begriffe wie der der Tugend werden zum Fallbeil. Und Überwachung zum Todesurteil.
    In dem aufgeheizten Klima am Wendepunkt der Revolution bezichtigt Robespierre Danton des Verrats an der Revolution. Und Danton bezichtigt seinen ehemaligen Mitkämpfer des Verrats an der Menschlichkeit. Das angeblich tugendhafte Volk gerät dabei in den Sog bald der einen, bald der anderen Lesart. Präzise zeigt Regisseur Rasche, wie einzelne Stimmen von kollektiv herausgebrüllten, virtuos rhythmisierten Phrasen erstickt werden.
    Wechselseitige Schmähungen werden zur Anklage gegen Danton
    Es genügen ein paar Wort- und Satzwiederholungen und schon wird aus der wechselweisen Schmähung eine Anklage gegen Danton, bei der schließlich alle mitskandieren, auch die, die eben noch das Gegenteil gerufen hatten.
    Das Volk, die chorischen Mitstreiter, merken nicht, wie man ihnen mitspielt, und welche Rolle sie als Stimmvieh spielen. Aber der lange Zeit viel bewunderte Danton weiß und erlebt, dass zermalmt wird, wer sich dem Räderwerk entgegen stellt.
    Gerade die Strenge dieser auf den Kern des Stückes fokussierten Inszenierung, der Verzicht auf modische Accessoires oder Aktualisierungen macht klar, dass es um mehr geht als um die Kippstelle der Französischen Revolution, den Umschlag der Republik in ein Terrorsystem. Es ist von brennender Aktualität, wie die schwarzgekleideten Vollstrecker der revolutionären Doktrin im umdüsterten Raum ihrer Hassreden gegen Verräter, Feiglinge, Abweichler, Konterevolutionäre, gegen die Reichen und korrupten Eliten zu Abbildern eines tödlichen Fanatismus weltweit mutieren.
    Besonders bedrückend und beeindruckend ist dabei die mechanische, emotionslose Automatik des Verfahrens: eine Art rhythmisierte Gerechtigkeitsmaschinerie aus dem Geist der Abstraktion, der Theorie- und zugleich der Legendenbildung. Flammende Reden, Schreie verhallen, Empathie erstirbt.
    Am Ende schweben die Kadaver der Dantonisten ins Nichts. Sie hängen noch immer an ihren Marionettenfäden, die zu Henkerstricken wurden.