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Darmstädter Grundschule
Jahrzehntelanger Missbrauch - und jahrelanges Versagen

An einer Grundschule in Darmstadt hat sich über drei Jahrzehnte hinweg ein Lehrer an mindestens 35 Kindern vergangen. Das hat der Bericht einer unabhängigen Untersuchungskommission bestätigt. Schule und Justiz gingen den Hinweisen auf den Missbrauch viel zu spät nach.

Von Ludger Fittkau | 23.09.2016
    Die Elly-Heuss-Knapp-Schule in Darmstadt (22.09.2016)
    Die Elly-Heuss-Knapp-Schule in Darmstadt (22.09.2016) (dpa picture alliance /Claus Völker)
    Der Missbrauchsskandal an der Darmstädter Elly-Heuss-Knapp-Schule ist seit langem bekannt. Der inzwischen verstorbene Täter – der Lehrer Erich Buß – wurde für einen Teil seiner Taten bereits verurteilt. Doch nun gibt es mehr Details, die zeigen: das Ausmaß des Taten, die sich von den 1960er bis in die 1990er-Jahre erstreckten, ist weit größer, als bisher bekannt war.
    Das Versagen der Schule dabei ist eklatant. So gab es bereits in den 1970er-Jahren Hinweise an die damalige Schulleiterin, dass es zu handfesten sexuellen Übergriffen des Lehrers auf die Schüler gekommen ist. Diese Hinweise gab die Schulleiterin zwar ans Schulamt weiter. Doch als die Schulbehörde ihr sagte, ohne Anzeige könne man nichts machen, verfolgte sie die Sache schulintern trotz ihres Verdachtes nicht mehr weiter.
    Offizielle Entschuldigung des Landes Hessen
    So konnte der inzwischen verstorbene Lehrer Erich Buß mehr als drei Jahrzehnte lang ungehindert seine Taten verüben. Dafür entschuldigte sich gestern das Land Hessen bei der Vorstellung des Untersuchungsberichts ausdrücklich bei den Opfern. Manuel Lösel, Staatssekretär im Hessischen Kultusministerium:
    "Für das Versagen seitens der damaligen Lehrkräfte, der Bildungsverwaltung, der Schulaufsicht habe ich mich deswegen eben bei den Opfern förmlich entschuldigt. Sie haben unser tiefes, unser persönliches Mitgefühl für das ihnen widerfahrene Leid und das jahrzehntelange Schweigen."
    Ein Opfer, dessen Name ungenannt bleibt, äußert sich im Fernsehen des Hessischen Rundfunks zu dieser Entschuldigung durch das hessische Kultusministerium:
    "Die offizielle Entschuldigung, das war für mich jetzt das Wertvollste heute. Dass das Kultusministerium sagt, es tut ihnen Leid, was geschehen ist. Ich meine, die Personen heute, die sind ja nicht verantwortlich persönlich für das, was passiert ist. Aber in der Aufarbeitung schon."
    Die Aufarbeitung wurde nun im Auftrag des hessischen Kultusministeriums von zwei Frauen geleistet, die schon bei der Aufklärung des Missbrauchsskandals an der Odenwaldschule maßgeblich mitgewirkt hatten: Brigitte Tilmann, ehemalige Präsidentin des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main sowie die Wiesbadener Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller:
    Vorwürfe gegen Staatsanwaltschaft Darmstadt
    Wer gänzlich versagt hat, nach unserer Auffassung ist die Strafverfolgungsbehörde, muss man hier namentlich nennen – Staatsanwaltschaft Darmstadt – die ab 1973/74 Hinweise hatte.
    Bei der Beschuldigtenvernehmung habe sich der Staatsanwalt von der Maske des "engagierten, fortschrittlichen Pädagogen" täuschen lassen, die Erich Buß damals aufgesetzt gehabt habe, so die beiden Juristinnen.
    Sie empfehlen dem Land Hessen dringend, im Bereich der Strafverfolgung für "ausreichende personelle wie finanzielle Ausstattung der Fachkommissariate bei der Polizei" zu sorgen. Hilfreich seien grundsätzlich auch "Sonderdezernate für die Verfolgung von sexuellem Missbrauch bei den Staatsanwaltschaften". Letztere Forderung sei bereits umgesetzt, so Rene Brosius, Sprecher des hessischen Justizministeriums:
    "Eine der Forderungen aus dem Bericht, Sonderdezernate einzurichten, das haben wir bereits seit langem. Seit Anfang der 90er-Jahre an jeder Staatsanwaltschaft in Hessen. Sonderdezernate für sexuelle Gewalt gegen Kinder. Es gibt seit 1997 jährliche Sonderdezernentenrunden, Fortbildungsveranstaltungen. Es hat sich auch politisch sehr viel getan. Es gibt auf Basis unserer Arbeit im Justizministerium einen Aktionsplan des Landes zum Schutz von sexueller Gewalt in Institutionen."
    Eltern sollen Fälle auch der Justiz melden
    Man rufe auch Eltern dazu auf, Verdachtsfälle nicht nur der jeweiligen Schulleitung zu melden, sondern auch der Justiz.
    Für die Opfer der Darmstädter Elly Heuss-Knapp-Grundschule ist das zu spät. Für sie bleibt neben der offiziellen Entschuldigung der hessischen Landesregierung eine symbolische Entschädigung von 10.000 Euro.
    Die Schule hat nach Bekanntwerden des großen Ausmaßes der Missbrauchsgeschichte hinter ihren Mauern im vergangenen Jahr ihr Präventionskonzept überarbeitet. Zur Fortbildung des Lehrerkollegiums gehört nun auch der "Baustein Täterstrategien und Opfersignale". Die Missbrauchsopfer fordern die Schule nun zusätzlich auf, eine Gedenktafel im Lehrerzimmer anzubringen, auf der an die Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte erinnert wird.