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Das Antlitz des Bösen

Shakespeares Drama "Macbeth" hat gleich mehreren Opernkomponisten als Textgrundlage gedient, am bekanntesten ist die Vertonung durch Giuseppe Verdi. Dessen Frühwerk in vier Akten wurde 1847 in Florenz uraufgeführt, nun gab es in der Opéra La Monnaie in Brüssel ein Wiederhören.

Von Christoph Schmitz | 12.06.2010
    "Macbeth" an der Oper La Monnaie in Brüssel
    "Macbeth" an der Oper La Monnaie in Brüssel (Bernd Uhlig)
    Giftige Kröten, Schlangenzungen, Affenblut, Hundezähne und Finger von Säuglingen, die bei der Geburt erwürgt wurden - das alles werfen die Hexen in ihren Suppenkessel, bevor sie im dritten Akt für den Königsmörder Macbeth in die Zukunft schauen. In der Inszenierung von Krzysztof Warlikowski aber sieht man dies Hexen und ihre Tat nicht. Er hat sie, aber auch den Chor der Mörder und der Flüchtlinge von der Bühne verbannt. Im Halbrund stehen die Chorsänger hoch oben in den Logen und singen den Schrecken, die Gewalt und die Verzweiflung in den Zuschauerraum hinab mit großer Intensität, Spannung und Präzision. Es sind die Qualen und verlorenen Hoffnungen einer geschundenen Menschheit, aber auch die seelischen Qualen des Täters Macbeth. Warlikowski zeigt, wie dieser Mann körperlich und psychisch verfällt. Das, was ihn auf der Bühne umgibt, sind die Bilder seines eigenen Wahns. Untote Mädchen und Jungen mit weißen Masken schleichen gespenstisch um ihn her und laben sich, an einer festlich eingedeckten Tafel versammelt, an Puppenleichen. Seifenblasen pustenden Kindern in blauer Schuluniform flößt eine blonde Frau Milch ein, deren weißes Gift sie tötet. Die Ursache für das Böse ist in Shakespeares Stück und Verdis Oper bekanntlich vor allem die Machtgier der Lady Macbeth, die ihren Mann zu den Gewalttaten drängt. Warlikowski legt eine andere Fährte. Zu Beginn lebt der Soldat Macbeth recht zufrieden in einer homoerotischen Soldatenwelt aus nackten Männerkörpern und -beinen in Strapsen. Doch unter den Augen seiner Lady, die bei Warlikowski nicht mehr die Hauptrolle spielt, muss Macbeth auch die erotische Beziehung zu seinem Diener unterdrücken, und gegen Ende tanzt ein verliebtes Männerpaar einen Abschiedstanz und erstickt sich selbst in durchsichtigen Plastikhüllen. Wirklich zwingend ist Warlikowskis Botschaft vom Unglück in der Welt durch abgetötete sexuelle Neigungen nicht, obwohl die Inszenierung durchaus ihre starken Momente hat, auch wenn sie andererseits dazu neigt, zu viel an Videoprojektionen und Spielfilmsequenzen und zu wenig an Personenführung zu liefern. Durch den häufigen Einsatz von Blaulicht und eine sehr gezirkelte Choreografie wirkt das Bühnengeschehen stark unterkühlt, was das Thesenhafte dieser Arbeit verstärkt. Das wiederum im Gegensatz steht zu einer höchst vitalen, kraftvollen und farbigen Musikdarbietung.

    Lady Macbeth: "Komm, eile herbei! Entzünden will ich dein kaltes Herz! Das kühne Werk zu vollenden, will ich dir Mut geben!"

    Die Georgierin Iano Tamar singt ihre Lady Macbeth mit dunkelglühendem Sopran. Wuchtig durchmisst sie die Weiten des Tonraums. Der amerikanische Bariton Scott Hendricks zeigt als Macbeth sein großes Operntalent, stimmlich und schauspielerisch. Aber auch die Nebenrollen sind an der La Monnaie glänzend besetzt mit Carlo Colombara als Banquo und Andrew Richards als Macduff. Und der Engländer Paul Daniel dirigiert mit einer Genauigkeit, die nie statisch wird, mit einer Expressivität, die nie lärmt, und mit einem Gespür für dramatische Spannungsbögen, dass Verdis zerklüftetes Klanggebäude nie auseinanderbricht. So gehört die Brüsseler Oper auch unter dem Intendanten Peter de Caluwe nach wie vor zu einem der führenden Häuser Europas.

    Macduff: "Ach, die Hand des Vaters gab euch keinen Schutz, ihr Treuen, gegen die ruchlosen Mörder, die euch tödlich trafen!"