Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Das Archiv der Stimmen

Die Schallplatte erlebt in den letzten Jahren eine Renaissance. Vor allem Musikliebhaber schwören auf das "Schwarze Gold". Die Sächsische Staatsbibliothek in Dresden geht einen anderen Weg. Für ihr "Archiv der Stimmen" digitalisiert sie 8500 Schellackplatten.

Von Friedemann Brenneis | 25.04.2013
    "Und jetzt haben wir die Platte aus dem Archiv geholt und legen sie hier auf den Plattenspieler."

    Dirk Kuntze sitzt im Tonstudio in den Kellerräumen der Sächsischen Landesbibliothek, Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden. Links neben ihm dreht sich eine große schwarze Schellackplatte auf dem Plattenspieler, rechts steht ein großes Mischpult. Vor ihm zeigt der Computerbildschirm wie Mozarts Zauberflöte als Audiodatei digitale Gestalt annimmt. Nur eine von rund 8.000 Aufnahmen, die mittlerweile im Archiv der Stimmen verzeichnet und veröffentlicht sind.

    "So, Verdi hört man sehr oft und Mozart auch und Carmen hör ich auch sehr oft, aber es ist alles Klassik, das meiste davon mit Gesang, manchmal gibt es auch Instrumentalstücke, ab und zu ist auch was dabei, was ein bisschen rausschlägt. Französische Kinderlieder hatte ich jetzt letztens."

    Knapp die Hälfte der Platten haben die Mitarbeiter der Mediathek bisher aufgearbeitet. Mehr als 4000 Platten warten allerdings noch darauf nach langer Zeit wieder einmal aus ihren unscheinbaren, in langen grauen Regalen aufgereihten Papphüllen herausgenommen und aufgelegt zu werden. Welche Aufnahmen dabei im Einzelnen zu Tage kommen, weiß selbst Marc Rohrmüller nicht. Er ist als Referatsleiter der Mediathek verantwortlich für das Archiv der Stimmen.

    "Für uns ist auch teilweise völlig neu, was dabei jetzt zutage tritt. Dieser Bestand ist zwar inventarisiert, aber bis heute nicht wirklich katalogisiert. Nur in sehr kleinen Teilen. Das heißt, wir kriegen jetzt erst wirklich im Zuge dieses Projektes heraus, was eigentlich alles in diesem Projekt drinsteckt."

    Bisher sind unter anderem Tonaufnahmen von Strauß‘ Rosenkavalier aufgetaucht, die die Uraufführungsbesetzung kurz nach der Premiere in Dresden 1911 eingespielt hat. Damals noch ohne Mikrofon, sangen sie in große Schalltrichter. Auch Aufnahmen von Musikern, die im Dritten Reich verfolgt wurden, sind Dank des Projekts heute wieder verfügbar und können über das Onlineportal der Bibliothek recherchiert werden. Und das richtet sich nicht nur an Historiker und Musikwissenschaftler, sondern auch Privatpersonen.

    "Da hat die Familie dann entdeckt, dass ihr Großvater mit einer solchen Aufnahme auf einmal wieder in der Öffentlichkeit, in dem Fall bei uns online zur Verfügung steht."

    Das Archiv der Stimmen will die Aufnahmen aber nicht nur zugänglich machen, sondern vor allem ihr originales Klangbild bestmöglich erhalten. Kratzgeräusche werden zwar entfernt, aber das charakteristische Knistern und auch sonstige Gebrauchsspuren sind allgegenwärtig.

    "Die Auflagekraft, mit der damals abgespielt wurde, die der Tonarm hat, also das heißt die Nadel, ist zu groß, sie beschädigt auf Dauer die Platten."

    Einige der Aufnahmen sind daher heute nur noch schwer zu verstehen. Ein Anzeichen, dass sich die Platte großer Beliebtheit erfreute und immer und immer wieder gespielt wurde. Bis die Tonrille der Platte fast ausgekratzt war. Mit den digitalisierten Musikdateien ist das nun kein Problem mehr. Ihr Klang bleibt auch bei der hundertsten Wiederholung gleich.