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Das arktische Meereis schrumpft auf Rekordminimum

Das arktische Eis werde immer schneller immer weniger, warnt Klimaforscher Lars Kaleschke. Sollte entschieden werden, die weltweiten CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren, bestünde die Möglichkeit, dass die Eisflächen wieder zunehmen.

Lars Kaleschke im Gespräch mit Georg Ehring | 15.09.2011
    Georg Ehring: Im September schrumpft das Eis der Arktis regelmäßig auf ein Minimum, bevor es im Winter sich wieder ausdehnt. In diesem Sommer ist es erneut starker als gewöhnlich zurückgegangen. Das bisherige Rekordminimum aus dem Jahr 2007 wurde wieder erreicht, mit negativen Folgen für die Natur, die sich so schnell nicht anpassen kann. Teile der Wirtschaft machen sich dagegen Hoffnungen auf neue Schifffahrtsrouten und Möglichkeiten zur Gewinnung von Öl und anderen Rohstoffen. Kann hier noch der Zufall seine Hand im Spiel haben, oder ist es ein Trend, verursacht durch den Klimawandel? Das habe ich vor dieser Sendung Professor Lars Kaleschke gefragt. Er forscht am Institut für Ozeanographie der Universität Hamburg.

    Lars Kaleschke: Das arktische Meereis, wie Sie schon sagten, schmilzt im Sommer, es wächst im Winter wieder an, und wir beobachten schon seit Langem mit Satellitendaten die langfristige Entwicklung, und da kann man sehen, dass im September – das ist der Monat, wo das Eis im Minimum ist in der Fläche in der Arktis – doch tatsächlich ein ganz starker Trend zu sehen ist, ein negativer Trend, also es zieht sich zurück. Nicht nur im September, sondern auch im Monat der größten Eisfläche, im März, gibt es einen Rückgang, der allerdings prozentual gesehen nicht so groß ist wie der im September.

    Ehring: Können Sie das auf den Klimawandel eindeutig zurückführen, oder kann das auch noch andere Ursachen haben, die da mit oder vielleicht sogar die Hauptrolle spielen können?

    Kaleschke: Ja. Vor einigen Jahren war es noch nicht so ganz klar, ob es überhaupt einen Trend gibt und wie signifikant der ist. Das ist nun in den letzten Jahren, da hat sich etwas ganz stark geändert. Es ist ganz klar: Wir sehen eine starke Abnahme des Eises, des arktischen Meereises, und diese Abnahme, die beschleunigt sich sogar noch, wenn man es vergleicht mit dem langfristigen Trend. Es ist jetzt so, dass die Abnahme nicht mehr mit einer linearen Gerade beschrieben werden kann, sondern nur noch durch eine beschleunigte Abnahme.

    Ehring: Man redet immer von Kipppunkten im Klimasystem. Ist das so ein Kipppunkt?

    Kaleschke: Das ist noch umstritten. Das arktische Eis als solches reagiert auf Änderungen in den Randbedingungen. Es wird wärmer, dadurch zieht sich das Eis zurück. Und nun ist die Frage, ob das reversibel ist oder irreversibel. Modelluntersuchungen zeigen, wenn sich die Randbedingungen ändern, zum Beispiel, wenn das CO2 in der Atmosphäre reduziert wird, dass dann auch das Eis wieder zunehmen kann. Allerdings sind eben solche Änderungen auch stark nichtlinear, dass man vielleicht schon von Kipppunkten sprechen kann. Also es gibt verschiedene Arten von Kipppunkten, und da müssen wir auch unterscheiden. Es gibt die Kipppunkte, die irreversibel sind, es gibt aber auch Grenzwerte, die überschritten werden, da ändert sich dann bei kleinen Änderungen sehr viel. Das sind dann reversible Prozesse, die trotzdem auch vielleicht als Kipppunkt bezeichnet werden können.

    Ehring: Manche freuen sich auch auf neue Chancen, neue Schifffahrtslinien, neue Möglichkeiten für den Bergbau. Ist die Tendenz in der Arktis stabil genug, dass man von so etwas sprechen kann?

    Kaleschke: Man kann jetzt sehen, dass es große Konzerne gibt, es gibt das Abkommen von Exxon und Rosneft, die in der Arktis Öl fördern wollen. Vor einiger Zeit wäre so etwas wohl noch undenkbar gewesen. Schon allein die Entscheidung, so etwas zu tun, hat ja mit der Auffassung dann zu tun, dass sich das Klima auch tatsächlich ändert, denn sonst würden solche Konzerne gar nicht investieren in solche Regionen, weil sie sonst nicht abschätzen könnten, ob sich das lohnen würde. Also ich denke mal, da hat sich schon tatsächlich in den letzten Jahren etwas geändert. Sicherlich seit dem Jahr 2007, seit das Meereis auf ein Rekordminimum bislang zurückgeschmolzen ist, hat da sicherlich auch in der Industrie ein Umdenken stattgefunden.

    Ehring: Wie sehen Sie die Zukunft? Wird sich das Meereis weiter zurückziehen?

    Kaleschke: Das sagen alle Modelle voraus, die Modelle des IPCC, die natürlich Annahmen darüber machen, wie die CO2-Zunahme in der Atmosphäre sich verändert, und das hängt natürlich ab von der Politik, von den Menschen, wie sich das verändert. Das kann man schlecht vorhersagen. Wenn tatsächlich entschieden wird, die CO2-Emissionen zu reduzieren, drastisch zu reduzieren, dann kann es gut möglich sein, dass die Eisflächen wieder zunehmen. Das ist natürlich dann eine politische Entscheidung und ein gesellschaftlicher Prozess, den man als Naturwissenschaftler schlecht vorhersagen kann, und daher kann man auch solche Prognosen nur sehr begrenzt machen. Was wir machen können sind mögliche Szenarien durchspielen und die Möglichkeiten, die sich daraus abzeichnen, dann beschreiben.

    Ehring: So weit Professor Lars Kaleschke, Klimaforscher an der Universität Hamburg. Das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.