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Das berühmteste Konzert der Swing-Ära

Es war ein eisig-kalter Sonntagabend. Draußen vor der Carnegie Hall bildeten sich lange Warteschlangen, obwohl die Veranstaltung schon seit Wochen ausverkauft war. Einen Höhepunkt in der Karriere des Klarinettisten und Big-Band-Leiters Benny Goodman markiert das Konzert, das er 1938 in der Carnegie Hall gab. Heute vor 70 Jahren zog der Jazz in den New Yorker Tempel der klassischen Musik ein.

Von Günther Huesmann | 16.01.2008
    " Das erste Konzert in der Carnegie Hall war einer der großen Momente in meinem Leben. Wir wussten nicht, was passieren würde, wie wir klingen würden und was das Publikum von uns denken würde. Bis wir da waren, wussten wir noch nicht mal, wie viele Leute kommen würden. Also gingen wir einfach raus und spielten. "

    Es gab keinen Ansager. Mit dem Heben und Senken der Klarinette gab Benny Goodman den Auftakt zum wohl berühmtesten Konzert der Swing-Ära. Zwar waren die Sounds des Jazz in den 1930er Jahren schon überall zu hören. Aber fast ausschließlich in Vergnügungsstätten, Tanzpalästen und Bars. Dass auf der ehrwürdigen Bühne der Carnegie Hall spontan improvisiert wurde, war eine absolute Neuheit. Und damals ein so unkalkulierbares Risiko, dass die Veranstalter im Programmheft den Satz druckten:

    " Das Publikum wird gebeten, sich auf die Jamsession in einem Geist der Experimentierfreude einzulassen. "

    Das Carnegie-Hall-Konzert markiert einen Höhepunkt in Benny Goodmans Karriere. 1909 in Chicago als Sohn mittelloser russischer Einwanderer geboren, begann er im Alter von elf Jahren Klarinette zu spielen. Er wuchs mit den Klängen des Chicago Jazz auf, wurde ein technisch exzellenter Studiomusiker.

    Der Tagesgeschmack schrieb zuckrige Balladen, Walzer und Schlager vor. Doch Goodman interessierte sich für die vitalen Big-Band-Sounds des Jazz. 1935 erlebte er im Palomar Ballroom in Los Angeles den Durchbruch. Fortan machte er ein Massenpublikum mit den Klängen der afroamerikanischen Musik vertraut. Der "King of Swing", wie er nun genannt wurde, avancierte zu einer amerikanischen Kultur-Ikone, die für die Verbreitung populärer Musik eine ähnliche Bedeutung hatte wie Elvis Presley 20 Jahre später.

    Nur die Musiker fürchteten Goodman. Er war ein fanatischer Perfektionist. Seine galligen Kommentare und sein eisig-indignierter Blick - den die Spieler, "the Ray", "der Strahl" nannten - waren legendär. Der Pianist Jess Stacy erinnerte sich:

    " Benny war ein furchtbarer Bandleader - wenn ich etwas Mumm in den Knochen gehabt hätte, dann hätte ich wahrscheinlich mit dem Klavier nach ihm geworfen! "

    Am 16. Januar 1938 war das nicht nötig. Damals war der Chef in bester Laune. Neben seinem kompletten Orchester stellte Benny Goodman zwei kleine Gruppen vor. Das Trio mit dem Pianisten Teddy Wilson und Gene Krupa am Schlagzeug, und das durch Lionel Hampton am Vibraphon erweiterte Quartett. Und hier - mit seinen small groups - setzte er die wahrhaft innovativen Akzente, weit mehr als mit seiner Big-Band.

    Benny Goodman war der erste Jazzmusiker, der mit seinen kleinen Bands souverän über alle Rassenschranken hinwegspielte. Dass Musiker verschiedener Hautfarbe in der Carnegie Hall gemeinsam musizierten, war in den damals von Rassentrennung geprägten USA ein wichtiges Signal. Mit seinem Erfolg in dem New Yorker Kulturheiligtum lieferte Goodman einen Grundstein für die Anerkennung des Jazz als Kunstform.

    Fast jedoch hätte dieses Konzert nie den Weg auf Schallplatte gefunden:

    " Wir wussten damals nicht, dass das Konzert mitgeschnitten wurde. Wir fanden das erst später heraus. Es wurden zwei Kopien gemacht. Eine für mich und eine für die Library of Congress. Ich hatte meine Kopie so sorgfältig weggepackt, dass ich sie völlig vergaß. Erst zwölf Jahre später entdeckte eine meiner Töchter sie in einem Schrank. "