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Das besondere Mehl

Im Jahr 1496 eroberte die kastilische Krone die Kanarischen Inseln - für nahezu alle Ureinwohner, die Guanchen, bedeutete das den Tod. Und doch ist ein Teil ihrer Kultur noch lebendig: Ihr Grundnahrungsmittel, das Gofio-Mehl, ist heute so etwas wie die kulinarische Seele der Kanaren.

Von Katja Bülow | 04.03.2012
    Jahrhundertelang haben die Ureinwohner der Inseln vorgekeimte Gerstenkörner in Tonschalen mit Vulkanasche geröstet, um sie anschließend in Handmühlen aus Lavagestein zu mahlen. Das so gewonnene Gofio-Mehl kam in Beutel aus Leder und wurde mit Wasser oder Ziegenmilch verknetet. Nachdem sich die spanischen Eroberer in La Orotava niedergelassen hatten, war einer ihrer ersten Bauten ein hölzernes Aquädukt, das Wasser den Berghang hinab in den Ort brachte und später Energie für 13 Wassermühlen lieferte. Einige von ihnen sind noch heute in Betrieb, so wie die mehrere hundert Jahre alte "La Maquina" von Manuel Hernandez Cabrera. Gofio, mit seinem leicht rauchigen Aroma, das ist für ihn so etwas wie der Inbegriff von Zuhause-Sein.

    "Wir essen hier Gofio morgens in der Milch, später im Eintopf oder im Escaldon. Manchmal verkneten wir es auch mit Wasser, um es in Mojo, also eine der typisch kanarischen Saucen zu tunken. Wir machen Gofio-Mousse, Gofio-Kuchen."
    Groß und blond steht der Müller hinter seinem Verkaufstresen – so ähnlich wie er sollen nach Ansicht einiger Historiker auch die Guanchen ausgesehen haben. Mehl steckt in jeder Hautpore des Müllers, den die Menschen in dem knapp 40.000 Einwohner zählenden La Orotava einfach Lollo nennen. Die Kundschaft, die den Weg an alten, barocken Herrenhäusern vorbei durch die vielen kleinen Gassen zu ihm kommt, besteht fast ausschließlich aus Einheimischen. Wenn sich doch einmal ein Tourist hierher verirrt, dann greift Lollo gerne mit seinen großen, rauhen Händen in einen Sack und zeigt vorgekeimten, sehr scharf gerösteten Mais, eine der häufigsten Zutaten für sein Gofio-Mehl.

    "Gofio kann aus geröstetem Mais oder aus Weizen sein, aus Gerste, Roggen oder Kichererbsen. Jeder Müller hat da sein eigenes Rezept, seinen eigenen Trick."

    An der Plaza Garcia, nur ein paar Schritte von Lollos Mühle entfernt, liegt die kleine Bar La Duquesa. Der Balken über ihrem Eingang ist so niedrig, dass man sich fast den Kopf daran stößt. Draußen, im Schatten alter Palmen sitzen die Gäste auf schlichten Plastikstühlen. Viele von ihnen sind extra heute am Donnerstag gekommen, denn donnerstags gibt es Puchero und Escaldon de Gofio. Puchero ist ein typisch kanarischer Eintopf aus reichlich Gemüse mit Fleisch oder Fisch. Die Brühe, die dabei entsteht, vermischt Köchin Maria mit Gofiomehl.

    " Pass auf, Du tust den Gofio in eine Schale mit richtig heißer Brühe und rührst ihn ein. Wenn die Konsistenz richtig ist, gibst Du ein bisschen Fisch oder Fleisch, klein geschnittene Zwiebel und kanarische Sauce dazu."

    Fertig ist das Escaldon den Gofio, ein Klassiker, den man allerdings unten in Küstenstädten wie Puerto de la Cruz lange suchen muss. Dort findet sich reichlich Paella auf den Speisekarten – jene valencianische Reispfanne, die mit Teneriffa ungefähr so viel zu tun hat wie Weißwurst mit Norddeutschland. Am besten man fragt einen Taxifahrer, wo noch die ursprüngliche kanarische Küche angeboten wird. Sie schicken einen fast immer zu Restaurants wie dem von Pedro el Cruzantero etwas außerhalb von La Orotava. Warum es unten an der Küste nichts Vergleichbares gibt? Francisca, die Enkelin des Wirts winkt ab:

    "Puerto? Hombre! Da reden wir von einem touristischen Ort! Aber hier auf dem Lande essen einfach alle Gofio!"

    Natürlich hat jede Familie ihr eigenes Spezialrezept für Escaldon und Puchero. Wie genau im Hause Cruzantero gekocht wird, verrät die junge Frau allerdings nicht.

    "Das ist ein Familiengeheimnis."

    Die Kanaren lieben Gofio und sie essen es nicht nur, sie singen auch ihre Lieder darüber. Lieder, deren Rhythmus abgestimmt ist auf den Rhythmus beim Bearbeiten des Teigs.

    "El zurrón del gofio yo lo traigo aqui, el que quiere el gofio tiene que pide am mi ..."

    Jedes Kind hier kennt das schlichte alte Lied. Es erzählt davon, dass man sich gut stellen sollte mit dem, der den Proviantbeutel mit Gofio besitzt. Die Studentin Maria Aleman Pérez erinnert sich mit einem Leuchten in den Augen:

    "Wir haben als wir klein waren so einen großen Krug gehabt mit warmer Milch und dazu Gofio, das war unser Frühstück. Wir brauchten nicht mehr essen, weil das war schon genug."

    Gesund und ausgesprochen sättigend ist dieses Lebensmittel, weshalb es auch bei Wanderungen immer mit im Gepäck ist. Und weil in Spanien die Zeit zwischen Mittag und Abendessen manchmal lang ist, naschen die Kanaren gerne eine kleine Zwischenmahlzeit aus Gofio verknetet mit Honig oder Frischkäse.

    "Meine Tante zum Beispiel hat immer in der Finca auf Lanzarote so kleine Kugeln von dieser pella de gofio gemacht und die haben wir gekriegt und sind dann einfach wieder auf die Straße gegangen oder haben auf der Finca bisschen weiter gespielt."

    Wie fast alle Insulaner in allen Weltmeeren legen auch die Kanaren großen Wert auf ihre eigene, unverwechselbare Identität. Von den Festland-Spaniern, die sie gern als arrogant und besserwisserisch bezeichnen, grenzen sie sich entschieden ab – was auch in ihrer Musik zu finden ist.

    "No digas peninsular, que a ti no te gusta el gofio … "

    Festlandspanier, wage es nicht zu behaupten, dass Dir mein Gofio nicht schmeckt! Eine klare Drohung an die von der "Halbinsel", sich nur nicht über das Leibgericht der Kanaren lustig zu machen. Etwa acht Millionen Kilo von diesem "Brot der Armen" produzieren die Müller auf der Inselgruppe im Jahr. José Rodriguez, Präsident der Vereinigung der Gofio-Müller, bedauert allerdings, dass die Kanaren selber kaum noch Roggen oder Weizen anbauen.

    "Wir müssen viel Getreide von außerhalb, aus Frankreich oder Spanien importieren. Das sind zusätzliche Kosten."

    Von denen ein Teil subventioniert ist. Trotzdem, der Mann, der das alte Handwerk bereits in fünfter Generation betreibt, hat sich in den Kopf gesetzt, künftig ins Ausland zu exportieren. Nach Florida schickt er bereits regelmäßig Ware, denn dorthin sind einst viele seiner Landsleute ausgewandert. Und eine kleine Menge verkauft er auch nach Deutschland, an Kunden, die die kulinarische Seele der Kanaren in ihrem Urlaub kennengelernt haben – und die dabei auf den Geschmack gekommen sind.