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Das Buch als Kulturgut und Wirtschaftsfaktor

Frankfurt ist die Geschäftemesse, Leipzig ist die Lesemesse. Das sagen fast alle, die schon einmal da gewesen sind, auf der zweiten, kleineren deutschen Buchmesse. Lesungen, Debatten, Veranstaltungen, wo es der großen Schwester Frankfurt oft nur um Lizenzen und Honorare geht.

Von Karin Fischer | 21.03.2007
    Es lag wohl am Datum, dass dies in noch größerem Maße als sonst eine Selbstvergewisserungs-Veranstaltung war. Vor zehn Jahren ist die Buchmesse aufs neue Messegelände umgezogen, mit Bauchschmerzen zuerst wegen der womöglich weniger authentischen Atmosphäre, dann mit Magengrimmen wegen der Finanz-Bilanz. Heute ist klar, dass die Buchmesse Leipzig ihr Erfolgsrezept gefunden hat, nicht nur weil sie in diesem Jahr wieder um fünf Prozent gewachsen ist und mit 2348 Ausstellern die Letztjahres-Bestmarke deutlich überschreitet. Der Literatur-Marathon "Leipzig liest" darf sich mit 1900 Veranstaltungen an wirklich allen Orten der Stadt unangefochten das größte Lesefest Europas nennen. Und da es in Leipzig schon lang nicht mehr um die Geschäfte, sondern in einem symbolischeren Sinne um den Buch- und Medienstandort geht, bilden die Autorinnen und Autoren aus 36 Ländern das Herz der Unternehmung. Sie waren es, die in der Vergangenheit bei den Verlagen für den Messeauftritt geworben haben.

    Mit dem "Preis der Leipziger Buchmesse", der morgen verliehen wird, will man ein Stück vom Erfolg an sie zurück geben. Wolfgang Marzin, Geschäftsführer der Leipziger Messe, hatte dafür einen nur auf den ersten Blick abwegigen Vergleich parat:

    "Hier findet der Autor mit dem Leser zusammen. Das ist ungefähr so, als würde mir der Vorsitzende des Automobilkonzerns selbst das Auto erklären, für das ich mich interessiere."

    Gottfried Honnefelder, der Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels antwortet:

    "Der Unterschied zwischen dem Auto und dem Buch ist ja der, dass die Betriebsanleitung für mein Auto, ich hab nachgeguckt, inzwischen 344 Seiten hat. Das Buch schlagen Sie einfach auf, und es funktioniert sogar ohne Klappentext. Mit dem Buch haben wir ein Produkt, das in sich selbst erklärbar ist."

    Jedenfalls das mit dem Verkauf scheint derzeit wieder etwas besser zu funktionieren; ob ein Buch dann auch gelesen wird, diese Frage können die Statistiker ohnehin nie beantworten. Die Branche jedenfalls wirkt nicht mehr ganz so angespannt. Nach vielen Jahren der Stagnation ist für das Jahr 2006 zum dritten Mal ein leichter Umsatzzuwachs von einem Prozent zu vermelden. Dabei verzeichnet der Markt seit Jahren einen nicht einfach zu erklärenden Höhenflug der Belletristik, zu dem der altehrwürdige Roman am meisten beiträgt, mit einem Umsatzanstieg von elf Prozent. Der disproportionale Einbruch im Kinderbuchmarkt von Minus 9,1 Prozent hat einen einzigen, einfachen Grund: Es gab im Jahr 2006 keinen "Harry Potter". Auch das sind Konzentrationsprozesse im Buchmarkt. Mit denen - jedes fünfte Buch wird inzwischen in der Filiale einer großen Kette gekauft - hat man sich nolens volens arrangiert, wie mit der vermeintlichen Bedrohung durchs World Wide Web.

    Honnefelder selbst hat jedenfalls keine Angst vor "Google books" und plädiert dafür, jeden neuen Vermarktungsweg für das Buch zu nutzen und schlägt mutig den Bogen von der bedruckten Seite zur bunten Welt des Web 2.0:

    "Wenn ich denke an einen Harry Potter-Erfolg, an Web 2.0 mit allen Möglichkeiten, ein zweites Leben zu entwerfen, mit ihm zu spielen. Dann fällt mir ein, dass die Belletristik ja nichts anderes tut. Denn der Romanheld, mit dem wir leben, ist immer die Folie, auf der wir uns selbst bestimmen. Wir lesen Bücher, um uns selbst zu vergewissern. Diese Wurzeln des Lesens sind ähnlich Wurzeln des Spiels, wie sie im virtuellen Bereich des neuen Netzes bei einer jüngeren Generation ausbildet."

    Die Leipziger Buchmesse hat aber auch immer Impulse gegeben. Das Hörbuch boomt immer weiter, mit 120 Verlage sind präsent, Leipzig liefert die Plattform, auch in Form vieler Hörbuchnächte. Es gibt aber auch ein veritables Trendsetter-Thema. Wolfgang Marzin:

    "Vor einem Jahr haben wir gesagt: Frühkindliche Bildung wird ein nächster Schwerpunkt sein. Wir konnten nicht ahnen, dass die Debatte sich in dieser Richtung bewegt, wie wir sie im Moment noch nicht mal als Scheitelpunkt erleben, frühkindliche Bildung als Wettbewerbsvorteil für den Nachwuchs, möglicherweise als demografische Stellschraube. Wir glauben, dass die 500 Veranstaltungen durchaus Nachrichten bringen werden hier aus Leipzig, wie werden wir sie im Alter von drei bis fünf Jahren, wo die Kleinen noch Schwämme am Kopf haben, nicht lernen müssen, sondern aufsaugen, wie kriegen wir das in die Köpfe aller hinein und wie kann das umgesetzt werden in die Tat?"

    Wenn die Slowenen sich etwas wünschen dürften, dann solche Schwämme am Kopf ihrer Leser. Slowenien ist Schwerpunktland der Buchmesse, die sich nach wie vor als Vermittler osteuropäischer Literatur auf dem deutschen Buchmarkt versteht. Die Slowenen gelten als literatur-versessen; auf ihrer Zwei-Euro-Münze haben sie keinen General, auch kein Bauwerk, sondern einen Dichter abgebildet. Bis Sonntag sollen wir viel mehr als das über sie erfahren.

    Überblick über die Berichterstattung zur Buchmesse im Deutschlandradio