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Das Buch nach dem #Aufschrei
Ein Update für den Feminismus

Vor einem Jahr hat ein Wort, versehen mit einem Doppelkreuz, eine beachtliche Debatte in Deutschland ausgelöst. Auf Twitter forderte Anne Wizorek Frauen auf, unter "#Aufschrei" zu erzählen, wenn und wie sie von Männern diskriminiert worden sind. In ihrem neuen Buch legt sie nun dar, wie ein zeitgemäßer Feminismus aussieht - und das mit viel Humor und Biss.

Von Stephanie Rohde | 19.01.2015
    Ein grün leuchtendes Toiletten-Hinweisschild hängt auf dem Messegelände in Frankfurt am Main unter der Decke
    Ein grün leuchtendes Toiletten-Hinweisschild hängt auf dem Messegelände in Frankfurt am Main unter der Decke (picture alliance / dpa / Uwe Zucchi)
    Wir sind doch schon am Ziel ... – steht da zu Beginn des ersten Kapitels. Ja, Frauen dürfen wählen, studieren, Geld verdienen und Bundeskanzlerin werden.
    "Na, da haben wir ja viel geschafft! Coole Sache. Können wir also die Ärmel wieder runterkrempeln und dieses Buch ist jetzt vorbei. Danke fürs Lesen ..."
    Doch auch hier endet der Satz mit: Punkt, Punkt, Punkt. Und die Autorin Anne Wizorek macht damit klar: So einfach ist es nun auch nicht. Da fehlt doch etwas. Frauen haben noch längst nicht alles erreicht. Noch immer bestimmen Geschlechterstereotype und Sexismen unseren Alltag, von Gleichberechtigung kann keine Rede sein. Viele verstünden noch immer nicht, was schief läuft, beklagt Wizorek:
    "Das Problem ist nicht, dass Feministinnen überall Sexismus sehen, sondern dass so viele Menschen ihn eben bisher gar nicht erst erkennen. (...) Sexismus wird als Problem nicht anerkannt, sondern dessen Existenz erst mal diskutiert."
    Deshalb liefert Wizorek gewissermaßen eine Inventur der drängendsten Probleme des Feminismus - die nicht unbedingt nur Frauen betreffen. Sie fasst die aktuellen Debatten präzise zusammen, etwa über die Frauenquote, die rezeptfreie "Pille danach", über sexuelle Gewalt und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und sie macht auf strukturelle Fehler aufmerksam.
    Den "herkömmlichen" Feminismus entstaubt
    "Die Debatte um die Rezeptfreiheit ist geradezu beispielhaft dafür, wie mit feministischen Themen in der deutschen Politik und Gesellschaft umgegangen wird: Menschen, die nicht betroffen sind, schreiben Betroffenen vor, was sie zu tun haben. Natürlich nicht, ohne uns die ganze Zeit zu erzählen, dass es ihnen ja nur um unser Bestes ginge."
    Was Wizorek beschreibt, ist nicht neu. So weit, so bekannt, könnte man ihr entgegnen. Doch ihre Leistung liegt vor allem darin, dass sie den – in Anführungsstrichen - "herkömmlichen" Feminismus entstaubt und ihm - wie sich das für eine "Netzfeministin" gehört - ein Update verpasst. Damit will sie ihn aufrüsten für die jüngere Generation derjenigen, die die sogenannte zweite Welle der Frauenbewegung in den 60er-Jahren nicht miterlebt haben.
    "Die Idee zum Buch entstand wirklich, weil ich vermehrt auf Veranstaltungen war und dann gerade jüngere Frauen zu mir kamen und gesagt haben, super Feminismus, wo steige ich denn jetzt ein, wenn ich mich weiter damit beschäftigen will? Und ich wollte sagen: Hier nimm dieses Buch. Und ich das Gefühl hatte, so ein Buch, wie ich es jetzt gerne überreichen würde, gibt es noch gar nicht. Dann habe ich das Angebot für das Buch bekommen und dachte mir, dann schreibe ich es halt selber."
    Gerechtigkeit und Gleichbehandlung nicht nur für Frauen
    Wizorek versteht unter Feminismus vor allem eine emanzipatorische Geisteshaltung – ihr geht es um Gerechtigkeit und Gleichbehandlung nicht nur für Frauen, sondern ebenso für Männer, Migrantinnen, Dicke oder Transgender, also Menschen, die sich mit ihrer angeborenen Geschlechterrolle nicht identifizieren. Dieses "netzfeministische" Update kommt mit neuem lockeren Sound und diskriminierungsfreiem Schriftbild daher. Wizorek spricht von Feminist_innen, und bezieht mit Zeichen wie Unterstrich und Sternchen auch Menschen ein, die sich weder als männlich noch als weiblich definiert werden wollen. Und sie bezeichnet Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt, ganz bewusst als Cis-Gender, also das Gegenteil von Transgender. Auch inhaltlich gelingt es Wizorek, die Lesenden zu sensibilisieren für verschiedene Formen von Diskriminierung, die zum Beispiel eine schwarze Lesbe erfährt.
    "Mehrfachdiskriminierung ist zu komplex, um in das mediale Bild des Geschlechterkampfes gepresst zu werden, und so drehen sich auch die dort erzählten Geschichten belästigter Frauen nahezu ausnahmslos um junge, normschöne, weiße, heterosexuelle Cis-Frauen. Obwohl dies nicht der Realität entspricht und obwohl gerade auch #Aufschrei das wiedergab, gehen Transfeindlichkeit, Homophobie- und Rassismuserfahrungen, Dickenfeindlichkeit und so weiter in der medialen Übersetzung ebenfalls verloren."
    Besonders spannend lesen sich Wizoreks Beschreibungen neuerer Phänomene wie der "Rape Culture", also dass junge Mädchen sexuelle Übergriffe für völlig normal halten, weil – Zitat - "Jungs eben so sind". Oder auch den Retro-Sexismus, der nach dem Motto funktioniert: Gleichberechtigung ist, wenn Männer und Frauen gleich mies behandelt werden und das Ganze dann Humor genannt wird.
    Etwas langatmig hingegen erscheinen die Passagen, in denen Wizorek die #Aufschrei-Debatte beschreibt. In diesem Zusammenhang stellt sie sich auch die Frage, was der Hashtag überhaupt gebracht hat. Zum einen habe die Debatte gezeigt, wer Sexismus verharmlost und wer nicht. Und sie habe bewiesen, dass Netzfeminismus manchmal mehr Aufmerksamkeit generieren könne als der "herkömmliche" Feminismus mit Straßendemos.
    Ein Aufruf, selbst aktiv zu werden
    "Was die Debatte zeigt, ist aber auch, dass sich die Fronten verhärtet haben, dass die Leute, die sagen, das ist kein Problem mehr oder es dreht sich hier nur um Einzelfälle, das eben auch wieder verstärkt kundtun und es nicht minder schwierig geworden ist, zu zeigen, dass dieses strukturelle Problem noch immer da ist."
    Wer theoretisches Futter sucht, wird wohl eher in einer Genderstudiesvorlesung fündig als in diesem praxisnahen Buch, dessen zweiter Teil ein packender Aufruf ist, selbst aktiv zu werden.
    "Also mir war es wichtig, Leuten zu zeigen, so sieht's aus, aber bitte hängt jetzt nicht deprimiert in der Ecke rum, sondern tut auch was dagegen - denn ihr seid Teil der Gesellschaft. Also das Optimistische ist mir ganz wichtig."
    Diesen Rekrutierungsversuch richtet die Autorin explizit auch an Männer. Unter anderem auch wegen der Grundregeln für Einsteiger, der Liste von Verweisen auf Kampagnen und weiterführende Internetseiten, dem Glossar und der Timeline der Frauenbewegung hat dieses Buch das Potenzial, zur Feministinnenbibel zu werden. Mit pointierten politischen Positionen, die in lockeren Häppchen verpackt werden, legt Wizorek ein Manifest des neuen Netz-Feminismus vor. Schade, dass man diese neue feministische Agenda noch analog lesen muss, schreit sie doch mit ihren ganzen Verweisen auf Videos nach einer digitalen Darstellung. Dennoch gelingt es der durchaus digital denkenden Wizorek, auch analog Kampfeswillen zu versprühen, der sich dann gerne mal so anhört:
    "Feminismus? Fuck Yeah!"
    Anne Wizorek: "Weil ein #Aufschrei nicht reicht. Für einen Feminismus von heute", Fischer Taschenbuch, 336 Seiten, 14,99 Euro