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Das Dauerprojekt "Politische Union"

Der EU-Gipfel in Brüssel behandelt heute das drängende Thema Finanzkrise und den Ausweg heraus. Angela Merkels Vision sieht eine "Politische Union" vor. Doch sie ist nicht die Erste, die diesen Vorschlag macht und viele sind schon an der Umsetzung gescheitert.

Von Doris Simon | 28.06.2012
    Viele Jahre lang war die Europäische Union eine Schönwetterveranstaltung. Nachkriegs-Europa wurde erfolgreich befriedet, den heftigsten Streit gab es um die Verteilung von Agrarsubventionen. Doch anders, als der Name Europäische Union suggerieren sollte, blieb die EU weit entfernt von einer politischen Union. Daran änderte auch die gemeinsame Währung nichts, auch wenn mancher, so wie der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl, im Ja zum Euro den entscheidenden Schritt zu einer gemeinsamen Staatlichkeit sah.
    "Ich denke auch, dass die Kollegen begriffen haben, dass ich persönlich hier meine volle politische Existenz einbringe in diese spezielle Frage, dass das Haus Europa gebaut wird."

    Damals, 1992 in Maastricht, glaubten viele, die tägliche Praxis einer gemeinsamen Währung würde die Euroländer am Ende zu einer engeren Zusammenarbeit zwingen. Das ist nicht passiert, die Widerstände in den Mitgliedsstaaten waren zu groß. Deutschland wollte sich bei der Wirtschaft nicht dreinreden lassen, Frankreich hielt an seiner nationalen Außenpolitik fest, alle zusammen sperrten sich dagegen, Macht nach Brüssel abzugeben.

    Jetzt, in der tiefsten Krise der Europäischen Union, spüren die Mitgliedsländer, dass es so nicht weitergeht. Ein Präsidentenquartett rund um den EU-Ratsvorsitzenden Herman van Rompuy hat nun Vorschläge auf den Tisch gelegt, wie die EU ziemlich zügig zu einer echten Union zusammenwachsen soll. Die Chefs der Eurogruppe, der EU-Kommission, der EZB und des Europäischen Rates empfehlen den Regierungschefs, neben einer Banken - und Fiskalunion auch eine enge Verzahnung der Wirtschaftspolitik zu beschließen und die nationalen Haushalte letztlich einer europäischen Aufsicht zu unterstellen. Van Rompuy, Juncker, Barroso und Draghi fordern auch, die demokratische Legitimation der EU zu stärken.

    Keiner dieser Vorschläge ist neu, doch so radikal und umfassend hat bislang kein europäischer Verantwortungsträger den Umbau der EU verlangt. Für etliche Änderungen müssten die Europäischen Verträge umgeschrieben werden. Die meisten Regierungen in den Mitgliedsstaaten zucken ohnehin zurück, wenn es um Verzicht auf Souveränität und Gestaltungsspielraum geht, um Verlagerung von Kompetenzen hin zu einer gemeinsamen europäischen Staatlichkeit. Deshalb warnt EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso davor, die Vorschläge gleich wieder zu verwässern:
    "Wir müssen unsere Vorstellung deutlich machen - wohin wir gehen und welchen Weg wir dafür konkret einschlagen wollen. Ich bin nicht sicher, ob man in allen Hauptstädten begreift, wie dringend dieses ist."
    Europa hat derzeit keinen besonders guten Klang. Nicht nur die Regierungen zögern, auch in der Bevölkerung hält sich die Begeisterung über einen europäischen Bundesstaat in engen Grenzen. In Zeiten von Globalisierung und wirtschaftlicher Unsicherheit sehnen sich die Menschen eher nach Überschaubarkeit und Nähe als nach Größe und Stärke. Hinzu kommen die traditionellen Schwierigkeiten auf dem Weg nach Europa. In Frankreich etwa fürchten die Bürger um die Souveränität des französischen Nationalstaates und um das französische Sozialmodell. In Deutschland wird jeder europäische Schritt von unzähligen Verfassungsklagen und einem wachsenden Misstrauen begleitet. Daran ändern auch die Appelle der Bundeskanzlerin nichts:
    "Wir brauchen mehr Europa, wir brauchen nicht nur eine Währungsunion, sondern auch eine Fiskalunion, mehr gemeinsame Haushaltspolitik, und wir brauchen vor allem auch eine politische Union. DH, wir müssen Schritt für Schritt im weiteren Verlauf doch auch Kompetenzen an Europa abgeben, Europa auch Kontrollmöglichkeiten einräumen."
    Die Krise mag die Widerstände aufgeweicht haben, aber sie sind immer noch da. Sollte sich am Ende des EU-Gipfels der Weg in eine Politische Union abzeichnen, dann wäre das eine Revolution. Dass die Staats- und Regierungschefs so weit gehen, ist eher unwahrscheinlich. Die Europäische Union ist kein Ort für Revolutionen.