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Das Denkmal Diem wankt

Der Berliner Historiker Ralf Schäfer untermauert seine These, wonach der Sportfunktionär Carl Diem (1882-1962) Antisemit war. Er weist Diem erstmals antisemitische Zitate für die Zeit der Weimarer Republik nach. Sportwissenschaftler verteidigen den Begründer der deutschen Sportwissenschaft dennoch weiterhin.

Von Erik Eggers | 14.04.2011
    Seit Jahrzehnten wird über den bedeutenden Sportfunktionär Carl Diem gestritten, die letzten erregten Debatten wurden im Dezember 2010 bei Tagungen in Berlin und Köln geführt. Im Zentrum stand dabei die neue Frage, ob Diem, der 1962 starb, als Antisemit einzustufen ist. Eine Debatte, die nicht abgeschlossen ist. Denn noch immer finden sich neue, bedenkenswerte Facetten in der Biographie des Organisators der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, wie der aktuelle Band der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft belegt.

    Darin erhärtet der Historiker Ralf Schäfer mit diversen Fundstellen seine These, wonach Diem eine antisemitische Wahrnehmung vom angeblich jüdischen Körper und Habitus entwickelt habe, auch für die Weimarer Zeit. So beschwerte sich Diem 1920 in einem Brief über das Publikum im Wintersportort Garmisch-Partenkirchen, es sei entsetzlich, "lauter Juden, Schieber und Kriegsgewinnler". Und nachdem er 1925 in Prag, anlässlich des Olympischen Kongresses, die Deutsche Eishockey-Gesellschaft besucht hatte, spottete Diem, dort habe es ein wenig "gejüdelt".

    Der Historiker weist zudem nach, dass Diem schon 1931 mit einem SA-Mann über "Möglichkeiten für die Leibespflege im dritten Reich" nachdachte, und dass er bereits zu diesem Zeitpunkt mit der NSDAP sympathisierte. Unter allen schlechten Regierungsformen sei die Diktatur immer noch die relativ beste, urteilte Diem 1932 in einem Brief.

    Michael Krüger, Sporthistoriker an der Universität Münster, verteidigt den Begründer der deutschen Sportwissenschaft trotz erdrückender Belege weiterhin. Diem sei kein Antisemit gewesen, sagt Krüger, der als Fachbeiratsvorsitzender eines Diem-Forschungsprojekts in die Kritik gekommen war. Das Geschichtsbild der Diem-Kritiker speise sich aus der neomarxistischen Frankfurter Schule, schimpft Krüger. Das Urteil des renommierten Antisemitismus-Experte Wolfgang Benz über die Repliken der Diem-Anhänger indes fällt wenig schmeichelhaft aus: Teile der deutschen Sportwissenschaft versuchten, die Legende aufrechtzuerhalten, Diem habe Distanz zum NS-Regime gewahrt.