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Das digitale Logbuch
Toter Onkel

Von Maximilian Schönherr | 06.08.2016
    Als wir Onkel Erik zu Grabe trugen, stand eine Person abseits und guckte grimmig: Eriks Witwe Lo. Tante Lo hatte nie viel geredet und immer grimmig geguckt. Viele sagten, wie soll Onkel Erik jemals einer so grimmigen Gattin treu geblieben sein? Selbstverständlich hatte er andere Frauen, und so quiek lebendig wie er war, sicherlich viele Kinder. So mancher, der ihm die letzte Ehre auf diesem Friedhof erwies, war uns völlig unbekannt.
    Beim Leichenschmaus zog mich Tante Lo zur Seite. Sie mochte mich irgendwie, weil ich ganz genau so grimmig bin wie sie. Sie bat mich (den Programmierer der Familie), Onkel Eriks Facebook- und Whatsapp-Accounts zu hacken. Sie wollte herausfinden, "welche Schlampen da noch auf der Rampe" standen, wie sie sich ausdrückte, also Damen, die ihr Mann gedatet hat, während er schon im Sterben lag.
    Es gelang mir aber nicht, die Konten an seinem PC zu hacken. Die Fotos auf dem Rechner, auch im Papierkorb, waren alle unverfänglich: Sie zeigten vor allem die grimmige Tante Lo auf irgendwelchen Wanderwegen im Odenwald.
    Als es dunkel wurde, die Trauergäste gegangen waren und auch ich aufbrechen wollte, hakte sich Tante Lo bei mir unter und führte mich zielgerecht und wortlos zurück zum Friedhof. Wir verstanden uns sofort: Ich sollte das Handy von Onkel Eric bergen und ausspionieren, das in seiner Hosentasche im Sarg lag.
    Mit den Schaufeln, die noch dastanden, hoben wir das Loch wieder aus. Es war finster. Ich kletterte hinunter, um den Sarg zu öffnen. Tante Lo leuchtete mit ihrer Taschenlampe vom Grabesrand hinein: Onkel Erics Leichnam fehlte!
    Dafür klingelte sein Handy. Wir kannten alle den Je t’aime-Klingelton. Wo war das Handy? Das Display ging an und erleuchtete das leere Innere des mit rotem Samt ausgelegten Sargs.
    "Für dich, Tante Lo!" sprach ich verwundert und reichte ihr das Smartphone hoch. Wer weiß, wer da anrief. Tante Lo streunte durch den Friedhof und, ja, ich hörte sie von weit hinten kichern und mit ganz tiefer Stimme Laute von sich geben, die nach "Eric, du Lauser…" klangen. Vielleicht habe ich mich auch verhört.