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Das Drama von Lascaux

Nicht nur dem Dresdener Elbtal, sondern auch einem der berühmtesten Kulturdenkmäler der Welt droht, der Titel UNESCO-Welterbe entzogen zu werden: Der Höhle von Lascaux, die mit ihren prähistorischen Malereien zu den größten Kunstwerken der Urgeschichte gehört. Noch sechs Monate Zeit geben die Weltkulturerbe-Schützer der französischen Regierung, um die Höhle vor dem Befall durch Schimmelpilze zu retten.

Von Björn Stüben | 18.07.2008
    Manchmal kann schon der Bau einer Brücke ausreichen, um eine Kulturlandschaft, die von der UNESCO zum Welterbe erklärt wurde, auf deren "Rote Liste" der gefährdeten Kulturgüter abrutschen zu lassen. Was die Planung der Waldschlösschenbrücke dem Dresdner Elbtal vor genau zwei Jahren bescherte, dafür drohen jetzt in der südwestfranzösischen Grotte von Lascaux die Schimmelpilze zu sorgen, die die weltberühmten, knapp 17.000 Jahre alten Wandmalereien seit dem Jahr 2001 befallen.

    Die Drohung des UNESCO-Welterbekomitees, die Grotte von Lascaux in spätestens einem Jahr auf seine "Rote Liste" zu setzen, geht an die Adresse des französischen Staates, der das Problem endlich in den Griff bekommen solle. Neben dem Dresdner Elbtal wäre die Grotte von Lascaux dann die zweite gefährdete Kulturstätte in Europa, die auf der 30 Einträge zählenden Liste erschiene. Eine blamable Aussicht für Lascaux, das sich bereits seit 1979 mit dem Prädikat des UNESCO-Schutzes schmückt.

    Dabei hatte in Lascaux eigentlich alles wie in einem Märchen begonnen. Vier Jungendliche und ein Hund durchstreifen 1940 den Wald bei Montignac. Plötzlich verschwindet der Vierbeiner in einem Loch, das ein umgestürzter Baum in den Boden gerissen hat. Die Grotte von Lascaux ist entdeckt und ihre faszinierenden Malereien in Rot-, Ocker-, Braun- und Schwarztönen, die Stiere, Pferde und Hirsche darstellen, tragen ihr bald den Titel der "Sixtinischen Kapelle der Frühgeschichte" ein.

    Und diese zieht seit 1948 die Besucher in Scharen an. Bis zu 1700 kommen täglich. Der Zustand der Malereien verschlechtert sich. Kalkspat und Flechten lagern sich ab. Jahrtausende beinahe hermetisch abgeschottet reagieren die fragilen Kunstwerke deutlich auf den Kontakt mit der Außenwelt. Kulturminister André Malraux veranlasst 1963 die endgültige Schließung der Grotte für Touristen. Nur fünf Besucher, überwiegend Wissenschaftler, sind fortan pro Tag in der Höhle erlaubt. Und länger als 35 Minuten dürfen sie sich hier nicht aufhalten.

    20 Jahre später eröffnet Lascaux II, die nur wenige hundert Meter entfernt eingerichtete originalgetreue Kopie, die die Touristen erneut in Staunen versetzt. Technisch genau überwacht scheint das Original beinahe seine frühere Ruhe wiedergefunden zu haben bis im Jahr 2000 eine neue, hochmoderne Klimaanlage eingebaut wird. Kurz darauf überzieht ein weißer Schimmelpilz das Innere der Grotte. Sind hierfür die Schuhsohlen der Arbeiter oder vielmehr das neue Belüftungssystem verantwortlich zu machen?

    Die Behörden reagieren. Antibiotika und Biozide kommen zum Einsatz. Ungelöschter Kalk wird auf dem Grottenboden verteilt. Der weiße Schimmel verschwindet allmählich, doch plötzlich tauchen erste schwarze und graue Flecken auf, ebenfalls Pilze, die mit bis zu vier Zentimetern Größe jetzt auch einige der Malereien deutlich entstellen. Das Pariser Kulturministerium ruft 2002 ein wissenschaftliches Komitee zur Krisenbekämpfung ins Leben. Aber auch bei passionierten Lascaux-Bewunderern klingen die Alarmglocken.

    2004 formiert sich in den USA das "Internationale Komitee zur Bewahrung von Lascaux", das sich aus Malern, Bildhauern, Schriftstellern und Universitätsprofessoren zusammensetzt. Die Maßnahmen der Wissenschaftler des französischen Kulturministeriums gehen indes weiter. 2006 wird die Grotte von Lascaux sich gänzlich selbst überlassen, in der Hoffnung, das mikrobiologische Gleichgewicht werde sich von selber wieder einstellen. Als deutliche Temperaturveränderungen im Innern der Grotte festgestellt werden, wird ein neuer Auslöser für den Pilzbefall vermutet, der allgemeine Klimawandel. Für die amerikanischen Lascaux-Bewahrer ist das wenig erfolgreiche und in ihren Augen überdies schlecht koordinierte Vorgehen der französischen Denkmalbehörden ein Zeichen von Inkompetenz und Ratlosigkeit.

    Petitionen mit Hunderten von Unterschriften sollen die UNESCO schließlich davon überzeugen, die Grotte von Lascaux auf die "Rote Liste" einzutragen, um die französische Regierung zu entschlossenerem Handeln zu bewegen. Bei ihrer gerade zu ende gegangenen Jahrestagung in Québec hat nun die UNESCO zumindest mit dieser Eintragung gedroht und Fristen gesetzt. Bis zum 1. Februar 2009 muss der französische Staat einen detaillierten Bericht über den Zustand der Malereien und über effiziente Maßnahmen zu deren Konservierung vorlegen. Auch muss er sich hierbei von unabhängigen Beobachtern, die von der UNESCO bestimmt werden, über die Schulter schauen lassen.

    Die französische Kulturministerin hat ebenfalls reagiert. Sie bestätigt in einem Kommuniqué ihr Vertrauen in die Arbeit ihrer hauseigenen Wissenschaftler und schlägt überdies ein internationales Symposium vor, auf dem über Maßnahmen zur Erhaltung ausgemalter Grotten diskutiert werden solle.

    Doch die Zeit drängt und Frankreich kann es sich nun nicht mehr leisten, unter Ausschluss der Öffentlichkeit wissenschaftliche Experimente in Lascaux zu veranstalten. Beim Erhalt von Weltkulturerbe sollte Rat eben auch weltweit eingeholt werden. Und in den kommenden Monaten wird die Welt ganz genau hinschauen, was in der "Sixtinischen Kapelle der Frühgeschichte" im französischen Lascaux geschieht.