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Das dritte Geschlecht

Als Hijras werden im südasiatischen Raum Menschen bezeichnet, die im falschen Geschlecht geboren wurden. Die Begegnung mit dem kulturellen Phänomen des dritten Geschlechts hat Angie Hiesel zu einer Performance veranlasst, die in Köln-Poll in einem Gewächshaus aufgeführt wird.

Von Alice Hasters | 09.10.2013
    In einem Gewächshaus der Stadtgärtnerei in Köln Poll stehen zwei Performerinnen aus Bangladesch inmitten von Bauchvasen und bunten Kleiderkartons. Sie packen geschäftig die darin liegenden Saris aus, hängen diese an eine Stange, ziehen selbst eines an. Gotha und Onuna sind als Männer geboren und sehen heute aus wie Frauen. Sie sind Hijras, die Bezeichnung für das dritte Geschlecht im südasiatischen Raum, der eine Jahrhunderte alte Kultur vorausgeht. Früher hatten sie einen etablierten Platz in der Gesellschaft, dienten als Priesterinnen, segneten Neugeborene. Heute lebt der Großteil in marginalisierten Gemeinschaften, muss betteln oder sich prostituieren, um an Geld zu kommen - eine Folge der Kolonialzeit. Unter dem Glasdach des Gewächshauses, zwischen Pflanzen und Erde bekommt man also Einblick in diese fremde Kultur aus einer fremden Kultur. Für Angie Hiesel war die Begegnung mit den Hijras der Anfang von "ID Clash".

    "Wir sind vor drei Jahren vom Goethe Institut eingeladen worden nach Bangladesh, nach Dhaka zu kommen. Wir haben viele Hijra-Menschen dort kennengelernt und dieses kulturelle Phänomen, was es eben hier nicht gibt. Wir haben einen Assistenten dort gehabt in Bangladesch der uns in die Kultur reingeführt hat, sodass bei uns der Wunsch entstanden ist, wieder zurückkommend dann nach Deutschland eben zu gucken, wie ist es hier mit Transidentität."

    Angie Hiesls Performances, die sie stets zusammen mit Roland Kaiser inszeniert, zeichnen sich durch die ungewöhnliche Nutzung des öffentlichen Raums aus. Sie ließen schon Wiesenflächen in einer U-Bahn-Station auslegen oder Menschen über den Köpfen von Passanten sitzen - auf einen an einer Hauswand befestigten Stuhl. In ihren Performances lassen sie Alltäglichkeit und unbequeme Themen aufeinandertreffen und schaffen so eine Balance zwischen Zugänglichkeit und Irritation. Wie auch hier in der Stadtgärtnerei, wo die Assoziation von Wachsen und Gedeihen auf einmal eine andere Bedeutung bekommt.

    "Es geht um Kultur pflanzen, um Entstehen, um Werden. Interessanterweise ist dieser Ort eingebettet zwischen dem Deutzer Friedhof und dem TÜV, also wir verstehen das Ganze wirklich als Ort zwischen Normiertheit und Niedergang, Tod. Also vieles von dieser Transition und Trans-Sein bedeutet ja auch was hinter sich lassen, was Neues entstehen zulassen. Zum Teil sind‘s krasse biografische Schritte die Menschen tun müssen damit sie überhaupt wieder lebensfähig sein können."

    Auch diese Schritte machen Hiesl und Kaiser deutlich. Kurz vor der Premiere hat eine der Perfomerinnen noch geschlechtsumwandelnde Operationen durchführen lassen. Sie arbeitet als Tänzerin, kann sich in ihrem Zustand jedoch nur reduziert bewegen. Der Prozess einer Transidentität ist aber nicht nur eine enorme körperliche Belastung, sondern wirft vor allem auch gesellschaftliche Fragen auf. In dem System, in dem wir leben, wird das dritte Geschlecht in den meisten Fällen entweder als kurios oder abnormal betrachtet. Auch in Bangladesch wird es den Hijras schwer gemacht sich zu integrieren- allein wegen eines fehlenden Kästchens auf einem Formularblatt.

    "Wir haben nicht die Möglichkeit bestimmte Rechte zu erlangen. Wir dürfen zum Beispiel keine Universitäten besuchen, denn wir müssten uns als Frau oder Mann einschreiben. Aber nicht nur das, wir können auch keine ordentliche gesundheitliche Versorgung bekommen. Viele Hijras würden gerne als Politikerinnen oder in anderen Büros arbeiten, aber das dürfen sie nicht, nur weil sie weder Mann noch Frau sind."

    Mit der Performance "ID Clash" geben Angie Hiesl und Roland Kaiser dem sonst so oft übersehenem Geschlecht in unserer Gesellschaft eine Stimme. Eröffnet aber ebenso einen Raum, wo man ohne Scheu hingucken, irritiert und neugierig sein darf und sich Fragen stellen kann. Es ist eine Konfrontation, ein Clash, eben.

    "Es ist nicht umsonst, dass wir das Projekt 'ID-Clash' genannt haben und das kommt schon zum Tragen, dass es einen Clash gibt, der nicht nur in den Transidenten ist, sondern eher ein Clash ist mit der Gesellschaft mit uns allen einzelnen. Wie sehen wir auch einzelne Menschen, wie sehen wir uns selber? Jetzt noch mal ausgerichtet auf Sexualität, auf Gender, ist wirklich immer wieder die Frage, kehrt man wirklich immer wieder zurück, zu dem binären System oder kann man sich öffnen einem Anderen, einem, was über ein drittes, ein viertes Geschlecht hinausgeht. Kann man sich das vorstellen oder ist das etwas, womit man leben kann, wo mit man andere leben lässt. Wo findet man Verständnis und wo findet man kein Verständnis und warum?"