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Das Ehrenwort von Kiel

Einer der skandalträchtigsten Affären der Bundesrepublik war vor 25 Jahre die Aufdeckung einer Bespitzelung des damaligen Oppositionsführers in Schleswig-Holstein, Björn Engholm. Der amtierende Ministerpräsident Uwe Barschel geriet in Verdacht - seine Todesumstände sind bis heute ungeklärt.

Von Dietrich Mohaupt | 02.10.2012
    "Immer, wenn das Stichwort "Barschel" fällt, dann sind alle irgendwie wie elektrisiert – aus den unterschiedlichsten Gründen – es ist einfach die größtangelegte Form von Machtmissbrauch in der Geschichte der Bundesrepublik."

    Der heutige schleswig-holsteinische SPD-Landeschef Ralf Stegner über einen Politskandal, der bis heute nachwirkt und den das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" am 7. September 1987 ins Rollen brachte – mit der Schlagzeile "Waterkantgate: Spitzel gegen Spitzenmann".

    37 Jahre lang hatte die CDU in Schleswig-Holstein ununterbrochen regiert. Bei der Landtagswahl am 13. September 1987 drohte ihr aber der Machtverlust. SPD-Herausforderer Björn Engholm hatte den amtierenden Ministerpräsidenten Uwe Barschel in Sachen Popularität kurz vor der Wahl deutlich abgehängt. Da erschien "Der Spiegel" mit einem Bericht über Detektive, die das Privatleben Engholms ausspionierten. Und über eine anonyme Steueranzeige gegen den Sozialdemokraten. Am Abend vor der Landtagswahl folgten weitere Details. Es wurde bekannt, dass in der am Montag nach der Wahl erscheinenden "Spiegel"-Ausgabe über eine persönliche Verstrickung Uwe Barschels in die Kampagne gegen Engholm berichtet werden würde. Ungeheuerliche Vorwürfe, auch für Jost de Jager, damals Mitglied der Jungen Union, heute Landesvorsitzender der CDU Schleswig-Holstein.

    "Das war schon ein tiefer Schock für die ganze Partei, erleben zu müssen, dass Führungspersonen, die man unterstützt hat, an die man auch geglaubt hat, dass die in solche Umstände geraten sind. Insofern hat es die Partei schon zermürbt, hat auch den Kampfgeist lange zermürbt."

    Informant des "Spiegel" war Barschels Medienreferent Reiner Pfeiffer. Der freigestellte Journalist des Springer-Konzerns behauptete, er habe vom Ministerpräsidenten persönlich den Auftrag erhalten, das angeblich "ausschweifende" Sexualleben des vermeintlich "homosexuellen" SPD-Mannes Engholm auszuspionieren, einen Aids-Verdacht gegen Engholm in die Welt zu setzen und sogar eine Abhör-Wanze zu beschaffen, deren Einsatz dann später der SPD angelastet werden sollte. Alles gelogen, sagte Barschel an diesem Abend vor der Wahl.

    "Das Einzige, was an dem Artikel stimmt, ist die Schreibweise meines Namens."

    Trotzdem geschah am Wahltag, was Uwe Barschel am meisten gefürchtet hatte: Die CDU verlor die absolute Mehrheit, sie sah sich von der linken Kampfpresse um den Wahlerfolg gebracht. Barschel kündigte eine Klage gegen den "Spiegel" an und versprach, die Behauptungen Pfeiffers zu entkräften. Das sollte vier Tage nach der Wahl auf der berühmt gewordenen "Ehrenwort-Pressekonferenz" im Landeshaus an der Kieler Förde geschehen. Jede einzelne der Anschuldigungen Pfeiffers nahm sich der Volljurist Barschel vor, er präsentierte sogar eidesstattliche Erklärungen von Mitarbeitern der Staatskanzlei – mit falschen Inhalten, wie sich später herausstellen sollte – die seine Verteidigung untermauern sollten.

    "Meine Damen und Herren, über diese Ihnen gleich vorzulegenden eidesstattlichen Versicherungen hinaus gebe ich Ihnen, gebe ich den Bürgerinnen und Bürgern des Landes Schleswig-Holsteins und der gesamten deutschen Öffentlichkeit mein Ehrenwort – ich wiederhole: Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort! – dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind."

    Zwei Wochen später trat Barschel als Ministerpräsident zurück und verabschiedete sich zunächst einmal in den Urlaub nach Gran Canaria. Noch am gleichen Tag setzte der Landtag einen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorfälle ein. Zeugen belasteten den ehemaligen Regierungschef so schwer, dass er für eine Aussage vor dem Ausschuss aus dem Urlaub wieder zurück nach Kiel gerufen wurde. Zu dieser Aussage kam es aber nicht mehr. Barschel starb am 11. Oktober 1987, einen Tag vor seinem geplanten Auftritt im Kieler Untersuchungsausschuss, beim Zwischenstopp auf dem Rückflug von Gran Canaria in der Badewanne eines Zimmers im Genfer Hotel Beau Rivage.

    Die Schweizer Ermittlungsbehörden kamen schnell zu dem Ergebnis: Es war Selbstmord. Eine Schlussfolgerung, der der ehemalige Oberstaatsanwalt Heinrich Wille nie so recht folgen mochte. Von 1994 bis '98 war er bei der Staatsanwaltschaft Lübeck verantwortlich für die Ermittlungen im Todesfall Barschel. Fakt ist, dass der Tod Barschels durch acht verschiedene Beruhigungs- und Schlafmittel verursacht wurde. Selbstmord, Sterbehilfe oder Mord – das sei bis heute völlig offen, meint Heinrich Wille.

    "Wie er gestorben ist, woran er gestorben ist, lässt sich mit sehr hoher Sicherheit sagen. Was sich eben nicht mit so hoher Sicherheit sagen lässt: durch wen."

    Bei der Klärung dieser Frage sollten gentechnische Untersuchungen der Kleidung Barschels und anderer Utensilien aus dem Genfer Hotelzimmer helfen – im Sommer dieses Jahres zerschlug sich diese Hoffnung jedoch. Experten des Landeskriminalamts Kiel hatten auf einem Handtuch aus Barschels Hotelzimmer, auf der Strickjacke, den Socken und der Krawatte DNA-Fragmente entdeckt – sogenannte Mischspuren von mindestens zwei Personen, erläutert Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders.

    "Man hat festgestellt, dass DNA-Befunde sowohl von Herrn Dr. Dr. Barschel dort vorhanden waren, auf der anderen Seite auch DNA-Spuren von anderen Personen als dem verstorbenen Ministerpräsidenten. Bei diesen Fremdspuren ist es nun so, dass sie keine Recherchefähigkeit zulassen. Sie können also nicht als DNA-Profile genutzt und zur Einstellung in eine DNA-Analysedatei verwendet werden."

    Man könne zwar, so Anders, die gefundenen DNA-Fragmente theoretisch mit Proben von lebenden Personen vergleichen, dafür reiche das Material wahrscheinlich. Problematisch sei allerdings, dass es keinen konkret eingrenzbaren Kreis von potenziellen Tätern gebe, den man in solche Untersuchungen einbeziehen könne.

    "Die Strafprozessordnung gibt uns keine Möglichkeit, an Personen heranzutreten, die nicht beschuldigt in diesem Verfahren sind. Um DNA von Personen abzunehmen und sie abzugleichen, brauchen wir zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für Straftaten durch diese Personen. Sodass die Staatsanwaltschaft keinerlei rechtliche Handhabe jetzt hat und auch keinen Sinn darin sieht, sich von diversen Personen, von denen Hunderte, vielleicht sogar Tausende in Betracht kommen könnten, DNA-Spuren zu holen und diese dann in einen Abgleich zu stellen."

    Die Ermittlungsakte "Barschel" bleibe also geschlossen, so Anders weiter. Eine Erklärung, mit der sich der ehemalige CDU-Landtagsabgeordnete Werner Kalinka nicht so recht anfreunden kann. Er hatte vor gut zwei Jahren die Suche nach einem genetischen Fingerabdruck angeregt. Der frühere Journalist ist einer von vielen, die schon seit Jahren versuchen, Licht in das Dunkel des Barschel-Falls zu bringen. Er ist fest davon überzeugt: Es war Mord. Jetzt gebe es, zum ersten Mal überhaupt, so etwas wie eine konkrete Spur. Und die Staatsanwaltschaft reagiere einfach nicht, kritisiert Kalinka ganz offen.

    "Man hat so das Gefühl seit einiger Zeit, dass an weiteren Ermittlungen kaum Interesse bei der Staatsanwaltschaft in Lübeck besteht. Aber das steht im Widerspruch dazu, dass bei Einstellung des Verfahrens 1998 mitgeteilt worden ist: Die Verdachtsmomente auf Mord haben sich erhärtet, aber da wir keinen Mordverdächtigen haben, müssen wir jetzt die Ermittlungen schließen – aber sobald wir neue Hinweise haben, werden wir erneut die Akten öffnen."

    Und auch der ehemalige Chefermittler Heinrich Wille sieht seinen Mordverdacht durch die neuen Spuren bestätigt. Barschel war unmittelbar vor seinem Tod nicht allein im Hotelzimmer. Davon ist Wille fest überzeugt. Die neu entdeckten DNA-Spuren seien zusätzliche Indizien dafür, betont er. Wichtiger sind ihm aber Hinweise, auf die er auch in einem Buch über den Fall schon intensiv eingegangen ist. Ein abgerissener Knopf zum Beispiel von Barschels Oberhemd.

    "Ein kleiner, feiner Hemdknopf, der nicht dort war, wo er hingehörte – nicht mehr am Hemd. Er ist auch nicht abgefallen, weil er etwa lose hing, sondern er ist mit einer beträchtlichen Kraft abgerissen worden. Das kann man deswegen rekonstruieren, weil dabei auch noch ein Stück Hemdstoff mit abgegangen ist."

    Diesen zweiten Knopf von oben hat Uwe Barschel sich nicht selbst vom Hemd gerissen, glaubt Wille. Warum hätte ein von diversen Medikamenten schon halb betäubter Selbstmörder das tun sollen – und vor allem wie hätte er es tun sollen, fragt der ehemalige Oberstaatsanwalt.

    "Ein zum Suizid Entschlossener hätte von oben nach unten in einer völlig unnatürlichen Bewegung sich diesen Knopf abreißen müssen – was für mich unvorstellbar ist und was nach meiner Überzeugung auch gar nicht geht. Das ist also eindeutig ein Hinweis auf diskrete Gewalt von anderer Seite."

    Und Wille verweist auch auf eine kleine Whiskyflasche aus der Minibar. Leer, aber nicht einfach ausgetrunken, sondern fein säuberlich ausgespült. In dieser Flasche wurden Spuren eines der Gifte gefunden, die auch im Blut des toten Uwe Barschel nachgewiesen wurden. Noch mehr offene Fragen.

    "Warum soll jemand ein solches kleines Whiskyfläschchen ausspülen? Im Zusammenhang mit Suizid macht das keinen Sinn. Es kann eigentlich nur Sinn machen als Spurenbeseitigung."

    Ein abgerissener Hemdknopf, eine kleine Whiskyflasche, dazu weitere Spuren wie Schmutzflecken auf einem Badvorleger und einem Handtuch: Wille sieht darin klare Hinweise auf die Anwesenheit eines Unbekannten in Barschels Hotelzimmer. Und damit schlagende Argumente für Mord. Gegen Suizid spreche außerdem, dass Barschel von seiner Persönlichkeit her einfach kein potenzieller Selbstmörder gewesen sei, meint Heinrich Wille. Nichts in seinem Verhalten im Zusammenhang mit der Kieler Affäre um die Bespitzelung und Verleumdung Björn Engholms habe auf tiefe Verzweiflung angesichts einer ausweglosen Situation hingewiesen. Von einer persönlichen Krise und Selbstzweifeln ist auch in einem telefonischen Interview Barschels mit dem Deutschlandfunk am Morgen nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident am 02. Oktober 1987 nichts zu bemerken. Leicht sei ihm das nicht gefallen, zumal ja auch andere – namentlich sein Medienreferent Reiner Pfeiffer – für die Aktionen gegen Engholm verantwortlich gewesen seien, betonte der Ex-Ministerpräsident.

    "Ich denke aber auch, dass es für das Land das Beste gewesen ist, dass ich zurückgetreten bin. Denn die Tatsache bleibt ja, dass Pfeiffer au der Pressestelle heraus aktiv geworden ist. Ich wollte die Schuld nicht auf andere abwälzen und den Einen oder Anderen entlassen, sondern habe die politische Verantwortung für mich übernommen und bin zurückgetreten. Und jetzt richten sich meine Gedanken nach vorn: Das sind erfreuliche Gedanken, denn ich fahre am Montag zunächst einmal mit meiner Frau für zehn/zwölf Tage in Urlaub."

    Mit den Gedanken im Urlaub auf Gran Canaria und bei diversen Alternativen für den weiteren beruflichen Werdegang – Uwe Barschel klingt in diesem Interview wahrlich nicht, als mache er sich um seine Zukunft große Sorgen.

    "Ja, ich bin ja Rechtsanwalt und Notar. Ich überlege, ob ich in meine Kanzlei wieder zurückgehe. Ich erwäge aber auch, in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft eine Tätigkeit zu übernehmen. Dies alles ist aber offen, weil ich ja ganz gerne mein direkt gewonnenes Landtagsmandat wahrnehmen möchte."

    Dieser Barschel passt so gar nicht zu der schon früh veröffentlichten offiziellen Selbstmordthese der Schweizer Ermittlungsbehörden, meint nicht nur Heinrich Wille. Auch beim damaligen "Stern"-Chefredakteur Heiner Bremer warfen die Todesumstände Barschels schnell Fragen auf. Zwei Reporter des Magazins hatten den Politiker am 11. Oktober in seinem Hotelzimmer tot aufgefunden. Die beiden hatten vorher mehrfach vergeblich versucht, Kontakt zu Barschel aufzunehmen. Schließlich hatten sie sein Zimmer betreten und den Leichnam im Bad entdeckt, berichtete Heiner Bremer am Tag nach dem Vorfall im Telefoninterview mit dem Deutschlandfunk.

    "Sie mussten halt feststellen, dass Herr Barschel leblos in der Badewanne lag. Und zwar in Gänze – nicht etwa nur mit dem Oberkörper reingestürzt, sondern tatsächlich mit der gesamten Körperlänge. Also, wie man in der Form in die Badewanne stürzen kann, wenn es ein Unglücksfall war – wofür ja im Augenblick nach Polizeierkenntnis sehr vieles spricht – bleibt ein bisschen fraglich."

    Unklar ist auch, warum Uwe Barschel überhaupt in Genf war. Eigentlich wollte er von Gran Canaria aus nach Kiel zurückfliegen. Dort sollte er vor dem Untersuchungsausschuss zu der Bespitzelungsaffäre gegen Engholm befragt werden. Heiner Bremer berichtete von einem Treffen Barschels mit einem Unbekannten in Genf, der angeblich entlastende Informationen für den Ex-Ministerpräsidenten gehabt haben soll.

    "Wir wissen, dass er ein Treffen gehabt hat. Wir wissen aus anderen Quellen, die noch mit Herrn Barschel am Samstagabend telefoniert haben, dass er nach dem Treffen eigentlich sehr euphorisch war, sehr optimistisch war, dass er die Vorwürfe entkräften könne."

    Mit wem könnte sich Uwe Barschel am 10. Oktober 1987 in Genf getroffen haben. Und vor allem: warum? Seit 25 Jahren stehen diese Fragen im Zentrum zahlloser Spekulationen. Meist ist die Rede von nie bewiesenen Verwicklungen Barschels in illegale Waffengeschäfte. Unter anderem hat ein früherer Mitarbeiter des Geheimdienstes Mossad aus Israel in einem Buch behauptet, israelische Hintermänner hätten beim Tod des deutschen Politikers ihre Hände im Spiel gehabt. Der Mossad teilte daraufhin der Bundesregierung offiziell mit, dass sein ehemaliger Mitarbeiter verrückt sei. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lübeck brachten, wie auch bei Hinweisen auf die CIA, die Stasi und sogar den Bundesnachrichtendienst BND, keine Klarheit. Immer wieder sei seine Behörde bei Ermittlungen in Richtung bestimmter Geheimdienste auf Hindernisse gestoßen, Fragen seien einfach nicht beantwortet, Akteneinsicht verweigert worden, erzählt der damalige Chefermittler Heinrich Wille. Anfangs habe er noch versucht, die Quelle dieser permanenten Störfeuer zu finden, aber:

    "Ich habe es irgendwann aufgegeben, hier Vermutungen anzustellen – schon recht frühzeitig, weil ich sonst meine Arbeit damals gar nicht hätte machen können. Da noch Zeit zu vergeuden. Zu überlegen, wo es denn herkommt, wenn wir bei den Ermittlungen behindert werden. Das hätte nur Sinn gemacht, wenn wir die Ursachen hätten beseitigen können. Und dazu sah ich keine Chance."

    1998 wurden die Akten dann geschlossen – selbst intensive Ermittlungen in alle möglichen Richtungen hatten die Staatsanwaltschaft Lübeck am Ende doch nicht den entscheidenden Schritt weiter gebracht.

    "Das Verfahren musste dann eingestellt werden mit einem Ergebnis, das immerhin theoretisch Selbstmord offen ließ, aber nach meiner damaligen Überzeugung schon ganz klar in Richtung Mord ging. Wir hatten nur keine Spuren, die noch weiter auswertbar waren in Richtung auf einen denkbaren Täter. Das war das Problem und das ist heute immer noch das Problem und ich denke, es wird es auch bleiben. Dieser Fall wird nie aufgeklärt werden."

    Barschels ungeklärter Tod in Genf: Nur scheinbar war das das Ende einer beispiellosen Polit-Affäre. Der Kieler Untersuchungsausschuss setzte seine Arbeit fort. Mitarbeiter des ehemaligen Ministerpräsidenten zogen in den folgenden Wochen ihre eidesstattlichen Versicherungen zurück und erklärten, von Barschel zu Falschaussagen gedrängt worden zu sein. Für die Mehrheit im Ausschuss war schnell klar: Uwe Barschel war Strippenzieher der Machenschaften gegen Engholm.

    Erst 1993 warf die sogenannte "Schubladenaffäre" ein neues Licht auf Barschel und seine Verstrickung in die Aktivitäten Pfeiffers im Jahr 1987. Es stellte sich heraus, dass der damalige SPD-Landesvorsitzende Günter Jansen mehr als 40.000 Mark an Pfeiffer gezahlt hatte. Aus sozialen Gründen, wie Jansen betonte. Das Geld habe er in seiner Küchenschublade gesammelt. Außerdem kam heraus, dass die SPD-Landesspitze schon früher als bisher zugegeben von Pfeiffers Aktivitäten gewusst hatte. Björn Engholm – inzwischen Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, SPD-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat – musste einräumen, 1988 vor dem Untersuchungsausschuss einen Meineid in dieser Sache geleistet zu haben. Nur die Verjährungsfrist bewahrte ihn vor einer Strafverfolgung, seine politische Karriere aber war zu Ende.

    "Im Bewusstsein der getanen und geleisteten Arbeit und in der Absicht, mein Land und meine Partei davor zu bewahren, mit meinem politischen Fehler identifiziert zu werden, werde ich mein Amt als Ministerpräsident und meine Funktionen in der SPD aufgeben."

    Die Zahlungen an Pfeiffer und indirekt auch die Barschel-Affäre selbst wurden wieder Thema eines Untersuchungsausschusses. Der am Ende feststellte, dass man Barschels Urheberschaft an der Affäre von 1987 nicht beweisen könne. Unstrittig blieb allerdings, dass die Vorgänge damals von der CDU-geführten Staatskanzlei ausgegangen waren.

    25 Jahre später ist das Wort "Barschel" noch immer ein Reizwort in Schleswig-Holstein. Der Name des CDU-Politikers stehe auch heute unbestritten noch für einen eigentlich kaum vorstellbaren Machtmissbrauch, so der SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner.

    "Fakt ist schon, dass in einem Land, in dem die Union 38 Jahre lang regiert hat. Und demokratische Normalität, also Regierungswechsel, nicht stattgefunden haben. Und es möglich war, dass man seinerzeit sagte, es könne jemand in Schleswig-Holstein nicht Schulleiter werden, der nicht der CDU angehört – solche Dinge sind ja im Grunde unvorstellbar. In dieser Situation hat sich eine Form von Machtmissbrauch entwickelt, die bei Uwe Barschel dann kulminiert ist."

    Barschelei – das ist der Begriff, der seit 1987 als Schatten über der CDU Schleswig-Holstein liegt. Viele Jahre habe fast jeder in der Partei praktisch unter Generalverdacht gestanden, erinnert sich CDU-Landeschef Jost de Jager.

    "Zunächst einmal war es so, dass natürlich eine ganze Partei moralisch diskreditiert wurde für etwas, das ein Einzelner gemacht hat. Das ist das, was auch immer noch nachwirkt. Dieser moralische Pauschalverdacht gegen alle Anhänger und auch gegen alle aktiven Politiker der Union. Da ist auch miese Politik mit gemacht worden und das ist schon auch etwas, was nachhängt."

    Barschel und kein Ende – auch 25 Jahre nach seinem Tod bieten die Affäre selbst, aber vor allem natürlich die ungeklärten Umstände seines Todes weiter jede Menge Raum für Spekulationen, für neue Mord- oder Verschwörungstheorien. Gefördert wird das durch zahlreiche Pannen, die es bei den Ermittlungen sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland immer wieder gegeben hat.

    Ein Beispiel dafür ist das berühmte Haar aus der Asservatenkammer der Staatsanwaltschaft Lübeck. Gefunden wurde es 1987 auf dem Bett in Barschels Zimmer im Hotel Beau Rivage. Kein Haar von Barschel, das steht fest. Aber von wem stammt es dann? Das wird man nie herausfinden, denn als das Haar im vergangenen Jahr ebenfalls gentechnisch untersucht werden sollte – war es verschwunden. Oberstaatsanwalt Ralf Peter Anders.

    "Das ist kein guter Befund, so etwas darf nicht passieren. Wir müssen gleichwohl abstrakt betrachten, welchen Wert die DNA-Analyse eines solchen Haars gehabt hätte. Dieses Haar wurde meiner Kenntnis nach auf dem Kopfkissen im Zimmer von Herrn Dr. D. Barschel gefunden. Auch dort hätte man dann sehen müssen, wem hätte man dieses Haar zuordnen können? Und wenn es dann ein Bediensteter gewesen wäre, wäre der Beweiswert auch nicht besonders groß gewesen."

    Das sehen zumindest die Witwe des früheren schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, Freya Barschel, und ihr Anwalt ganz anders. Sie haben Anzeige wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt gegen die Lübecker Staatsanwaltschaft erstattet. Der Fall liegt seit September vergangenen Jahres in den Händen der Staatsanwaltschaft Kiel.

    Erkenntnisse bisher, wie zu so vielen Fragen rund um das Thema Barschel: keine!