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Das Ende der ETA (1/5)
Mein Freund, der Terrorist

Der bewaffnete Kampf der baskischen Untergrundorganisation ETA ist zu Ende. 2011 verkündete sie das Aus, in diesem Jahr will sie sich gänzlich auflösen. Durch den Terror der Separatisten starben seit 1959 viele Menschen. Familien und ganze Freundeskreise unterstützten lange den Kampf der Aktivisten.

Von Hans-Günter Kellner | 22.05.2018
    Ein Pro-ETA-Grafitti an einem verlassenen Haus im baskischen Ort Zuaza
    "Die Leute der ETA waren für uns nicht vom anderen Stern. Sie waren unsere Brüder, Freunde, gehörten zur Familie. Leute aus dem Volk. Wir bewunderten sie für ihren Mut, zu den Waffen gegriffen zu haben", sagt die einstige ETA-Sympathisantin Maite Goizueta (AFP/ Rafa Rivas)
    Es sind wohl viele Faktoren zusammengekommen, die zum Ende des Terrors geführt haben. Die spanische Polizei arbeitete immer effektiver und sehr eng mit den französischen Sicherheitsbehörden zusammen. Der interne Druck bei den militanten Separatisten wuchs, seit ihre Partei, Batasuna, zeitweise verboten war. Und selbst in den eigenen Reihen, bei den zeitweise mehr als 750 Mitgliedern der ETA in den Gefängnissen, bröckelte die Front. Häftlinge widersprachen der Führung offen.
    Einer der ersten Dissidenten war Kepa Pikabea, der inzwischen seit mehr als 20 Jahren in Haft ist, zunächst in Frankreich, inzwischen in Spanien. Maite Goizueta hat ihn als Sympathisantin in allen Gefängnissen besucht, in die er immer wieder verlegt worden ist. Darüber sind die beiden ein Paar geworden:
    "Die Leute der ETA waren für uns nicht vom anderen Stern. Sie waren unsere Brüder, Freunde, gehörten zur Familie. Leute aus dem Volk. Wir bewunderten sie für ihren Mut, zu den Waffen gegriffen zu haben".
    Wie Kepa und Maite ein Paar wurden
    Maite Goizueta erzählt im Park von Zubieta in der Nähe von San Sebastián aus ihrer Jugend – das war zu Beginn der 1980er-Jahre im Baskenland. Als alle glaubten, die ETA kämpfe für die Freiheit.
    "Ein Cousin erzählte mir von Kepa. Kepa hatte in der gleichen Fabrik wie mein Vater gearbeitet. Wir gingen in eine Kneipe und mein Cousin stellte uns vor".
    Nein, sie war nie Mitglied der ETA, sagt sie entschlossen und mit fester Stimme, fuhr aber als junge Frau oft ins französische Baskenland zu den "baskischen Flüchtlingen", wie sie die Mitglieder der baskischen Terrorgruppe nennt. Immer wieder traf sie dort auf Kepa Pikabea, schon damals ein bekanntes Mitglied der Organisation: Aber nein, sagt sie, und schüttelt mit dem Kopf, verliebt waren sie da noch nicht.
    "Als ich ihn kennenlernte, war er gerade nach Frankreich geflohen. Wir sprechen vom nördlichen Baskenland. Das Kommando war bereits aufgeflogen. Sie lebten Jahre dort. Wir sahen uns oft, tranken Kaffee zusammen, aber nur als Freunde. Er lebte sein Leben und ich meins. Wir waren uns sympathisch, aber nicht mehr."
    Maite war inzwischen in einem Hilfskomitee für die hunderten in Spanien und Frankreich inhaftierten ETA-Gefangenen aktiv, organisierte Reisen in die teilweise weit entfernten Gefängnisse. Als Kepa Pikabea 1994 in Frankreich verhaftet wurde, besuchte sie auch ihn. Die spanischen Behörden machten ihn für mehr als 20 Morde verantwortlich. Im Untersuchungsgefängnis von Paris funkte es zwischen den beiden.
    Ausstieg in Raten
    Nach einiger Zeit wollte das Paar auch ein Kind. Das Paar fügte sich den Verordnungen nicht und überlistete stattdessen die französischen Wächter. So kam der Sohn zur Welt. Da waren dem einst so überzeugten Terroristen längst Zweifel am Sinn der Gewalt gekommen. Entscheidend waren die Mordanschläge der ETA auf baskische Kommunalpolitiker, die Mitte der 1990er-Jahren begannen.
    "Während eines Besuchs sagte er mir: Maite, Du musst wissen, ich bin aus der ETA ausgestiegen. Ich sagte ihm, dass ich ihn respektiere und für mich sich nichts ändert. Auf der Straße sahen mich die Leute aus den linksnationalistischen Gruppen plötzlich anders an. Aber er war noch im Gefangenenkollektiv. Da waren die Reaktionen nicht so schlimm."
    Denn bis dahin war Pikabea noch kein Dissident, der seinen Austritt öffentlich machte. Das änderte sich 2006. Aus Protest gegen den Anschlag auf den Madrider Flughafen inmitten einer Waffenruhe verließ Pikabea auch die Organisation der Häftlinge der ETA, das Gefangenenkollektiv. Stattdessen gründete er zusammen mit anderen Dissidenten eine neue Gruppe. Sie nannten sich: "Häftlinge, die sich dem Friedensprozess im Baskenland verpflichtet fühlen".
    "Das hatte natürlich Konsequenzen, nicht nur für sie selbst, sondern auch für uns, die Angehörigen, die draußen sind. Die haben ja Anwälte, politische und soziale Unterstützung, das ist plötzlich alles weg. Auch ich, die draußen ein großes soziales Netz hatte, hatte plötzlich niemanden mehr. Wir sind vollkommen ins Leere gefallen. Dann kamen sehr schwerwiegende Anschuldigungen hinzu, die sich natürlich als falsch herausgestellt haben."
    Feuerwehrleute im Parkhaus des Flughafens Barajas in Madrid nach der Autobombenexplosion am 30. Dezember 2006, die auf das Konto der baskischen Terrororganisation ETA ging
    Aus Protest gegen den Anschlag auf den Madrider Flughafen 2006 stieg Kepa Pikabea endgültig aus der ETA aus (AFP/ Javier Soriano)
    "Wir haben an die künftigen Generationen gedacht"
    Die Dissidenten wurden als Verräter und Kollaborateure beschimpft.
    "Uns war klar, dass Schluss sein musste. Wir konnten den künftigen Generationen, unserem eigenen Sohn, dieses Leid nicht mehr zumuten. Ich bin durch so viele Gefängnisse gereist und habe dabei so viele Kinder gesehen, die ihre Väter im Gefängnis besucht haben. Wir haben nicht das Recht, ihre Zukunft zu zerstören! Niemand sollte mehr leiden. Das war mir und Kepa sehr wichtig. Wir haben vor allem an die künftigen Generationen gedacht."
    Inzwischen muss Pikabea nur noch nachts ins Gefängnis. Doch die Beziehung hat die Lockerung im Strafvollzug nicht ausgehalten. Maite ist ihrem Partner bei seinen vielen Verlegungen in Gefängnisse in Spanien und Frankreich hinterhergereist, doch jetzt haben sie sich getrennt. Es ist nicht die erste Partnerschaft, die die Freiheit nicht aushält, sagt Maite gedankenversunken