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Das Ende der ETA (2/5)
Große Geste einer Witwe

Im November 1993 wurde Joseba Goikoetxea von der ETA in die Luft gesprengt, der Gründer und Chef der baskischen Polizei. Seine Witwe Rosa Rodero hat den Tätern die Hand zur Versöhnung gereicht. Die Separatisten haben die Waffen niedergelegt und sie ist froh, dass ihre Enkel ohne nationalistischen Terror aufwachsen.

Von Hans-Günter Kellner | 23.05.2018
    Rosa Rodero, Witwe des von der ETA getöteten Polizisten Joseba Goikoetxea, an der Seite des früheren baskischen Justizministers Joseba Azkarraga bei einer Demonstration in Bilbao
    Rosa Rodero, Witwe des von der ETA getöteten Polizisten Joseba Goikoetxea, bei einer Demonstration in Bilbao (AFP/ Ander Gillenea)
    Die Liebe geht weit über den Tod hinaus. Die Wohnung von Rosa Rodero zeigt das sofort. Seit mehr als 20 Jahren ist ihr Mann Joseba Goikoetxea schon tot, ermordet von der ETA, aber die Räume im Zentrum von Bilbao sind voller Erinnerungen:
    "Das ist von unserem Hochzeitstag. Joseba brauchte vier Jahre, um mich zu überzeugen."
    Ganz in weiß hatte Rosa damals geheiratet, das Bild zeigt das Paar vor einem Fluss. Das war im kleinen Dorf Plencia, direkt am Atlantik, in der Nähe von Bilbao, erklärt die Witwe. Den Tod von Joseba wird sie wohl nie überwinden. Ihr Mann war Chef und Gründer der autonomen baskischen Polizei, der Ertzaintza. Die ETA tötete ihn am 22. November 1993:
    "Er verließ die Wohnung am Morgen, wie immer. Er setzte unseren Sohn an der Bushaltestelle ab, weil er mal wieder viel zu spät dran war. Der war damals 16 Jahre alt. Eine Viertelstunde später verließ auch ich das Haus. Auf der Straße sah ich dann alles. Das zerstörte Auto. Aber mein Mann und mein Sohn waren nicht da. Die Polizisten erzählten von dem Anschlag. Ich ging hoch ins Büro. Ich rief seinen besten Freund an: 'Sie haben ihn getötet.'"
    Mitglieder der baskischen Regionalpolizei Ertzaintza bei einer Zeremonie zum 30. Jubiläum ihrer Gründung in der baskischen Stadt Arkaute
    Mitglieder der baskischen Regionalpolizei Ertzaintza bei einer Zeremonie zum 30. Jubiläum ihrer Gründung in der baskischen Stadt Arkaute (AFP/ Rafa Rivas)
    "In diesem Moment sollte er wissen, wie sehr ich ihn liebe"
    Rosa holt ein weiteres Foto vom Regal. Es zeigt Männer und Frauen hinter einem Spruchband. "Joseba, wir sind hier", steht darauf in Euskera, in der baskischen Sprache. Kollegen Josebas, erklärt Rosa, die vor dem Zimmer ihres Mannes eine Krankenwache abhielten. Fünf Tage lang lag er im Koma.
    "An die fünf Tage bis zu seinem Tod kann ich mich kaum erinnern. Ich wollte unbedingt zu ihm. Als sie mich endlich zu ihm ließen, sagte ich nur: Ich liebe Dich. Wir gehen immer davon aus, dass wir das wissen. Unser Partner liebt uns und wir ihn. Aber in diesem Moment sollte er wissen, wie sehr ich ihn liebe. Was er für mich bedeutet hat. Und was er mir heute noch bedeutet. Ich sagte immer nur: Ich liebe Dich. Ich liebe Dich - ich liebe Dich!"
    Eine Umarmung mit Symbolkraft
    20 Jahre später wurde Rosa in ganz Spanien noch einmal zum Aufmacher der TV-Nachrichten. Zu einer Gedenkveranstaltung für ihren Mann in Bilbao kam auch Carmen Guisasola, die schon Jahre zuvor aus der ETA ausgestiegen war und ihre Haftstrafe abgesessen hatte. Die ehemalige Terroristin und die Witwe des ETA-Opfers gingen vor laufenden Kameras aufeinander zu, umarmten und unterhielten sich. Guisasola war nicht unmittelbar am Anschlag auf Joseba beteiligt, trotzdem war Rosa schon damals klar, wieviel Symbolkraft in dieser Umarmung lag:
    "Mein Mann war lange hinter dieser Frau her. Einmal hätte er sie fast geschnappt. Sie will, dass dieser Schmerz, für den sie sich verantwortlich macht, aufhört. Als wir diese Ehrung für Joseba veranstaltet haben, kam dieser Schmerz wieder hoch. Es war ja genau an dem Ort, wo er starb. Am Platz der Concordia, am Platz der Eintracht. Die ETA hatte zwei Jahre vor dieser Veranstaltung das Ende des Terrors angekündigt. Da schloss sich der Kreis, das Ziel meines Mannes war erreicht. Seine ganze Arbeit hatte das Ende der Gewalt zum Ziel. Das alles lag in dieser Umarmung."
    Entschlossen, die Mörder nicht zu hassen
    Die Vokabel "Versöhnung" klingt ihr zu religiös. Aber Rosa Rodero hat sich entschlossen, die Mörder nicht zu hassen. Das bedeutet nicht, dass sie alles überwunden hätte. Sieben Jahre nach dem Anschlag fiel sie in eine tiefe Depression. Die Medikamente benötigt sie heute immer noch.
    "Der Traum war, zusammen alt zu werden, Arm in Arm spazieren zu gehen. In ein Café zu gehen. Ja, ich bin fröhlich, ich unterhalte mich gerne. Aber - mit 62 Jahren wäre jetzt die Zeit, in der ich das Leben mit meinem Mann genießen könnte. Ausgehen. Aber ich bin allein. Die Kinder sind aus dem Haus - und ich bin allein."
    Traurig will sie trotzdem nicht in die Zukunft blicken. Die ETA hat die Waffen niedergelegt, sogar die Übergabe ihres Arsenals versprochen, die ihr nahestehende Partei ist wieder legalisiert. Rosa nimmt ihre Jacke und den Müll, den die Kinder vergessen hatten, rauszutragen. Sie will zu ihren Enkelkindern:
    "Seit fünf Jahren muss ich beim Aufstehen nicht mehr denken: Mein Gott, wer ist heute dran? Verliere ich noch mehr Freunde? Jetzt sehe ich meine Enkel: In der Schule lernen sie Spanisch und Baskisch gleichzeitig. Drei Kinder, zwischen zwei und fünf Jahre alt. Und sie sind so unbeschwert. Das hat uns gefehlt."