Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Das Ende der Fahnenstange

Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, pocht darauf, dass die Orchester weiterhin an der Vergütungsentwicklung des öffentlichen Dienstes teilnehmen. In den letzten 15 Jahren hätten die Musiker massiven Verzicht geleistet. Jetzt müsse es auch mal wieder eine Lohnentwicklung nach oben geben, betonte Mertens.

Gerald Mertens im Gespräch mit Rainer Berthold Schossig | 01.12.2008
    Rainer Berthold Schossig: Eigentlich sollten ausgehandelte Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst für Angestellte im gesamten Tarifgebiet der Bundesrepublik gelten. Doch dies gilt anscheinend doch nicht für Orchestermusiker. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di beklagt, dass derzeitig eine ganze Gruppe von Angestellten im öffentlichen Dienst ausgeschlossen werde. So gibt es jetzt Druck auf die Politik, Streik im Orchestergraben. Frage an Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, nach den Orchesterwarnstreiks der vergangenen Woche soll mit einem Spitzengespräch der Tarifstreit um die Orchestermusiker beigelegt werden. Streitpunkt, eine angeblich drohende tarifliche Abkopplung von Orchestermusikern. Worum geht es Ihnen?

    Gerald Mertens: Es geht uns darum, dass die deutschen Orchester wie in den vergangenen Jahrzehnten weiterhin an der Vergütungsentwicklung des öffentlichen Dienstes teilnehmen. Der Deutsche Bühnenverein, der zuständige Arbeitgeberverband, möchte das jetzt aber teilweise auflösen und dagegen wehren sich die deutschen Orchester.

    Schossig: Der Bühnenverein dementiert, dass es um eine Abkopplung gehe, sondern um notwendige Differenzierung. Viele sagen, es gehe bei dem Protest der Orchestermusiker eher um Privilegienerhalt.

    Mertens: Das ist die übliche Formulierung des Deutschen Bühnenvereins. Nur wenn ein Musiker nach 20-jähriger Ausbildung als Tuttist mit 25 Jahren dann in ein Orchester kommt und dort in einem kleineren, mittleren Orchester 2100 Euro verdient, weiß ich nicht, wo das Privileg sein soll. Es geht vielen deutschen Orchestermusikern nicht so gut, wie das in der Öffentlichkeit gerne dargestellt wird. Und von daher ist die Ankopplung an den öffentlichen Dienst, die es ohne Differenzierung aus unserer Sicht durchzusetzen gilt, nach wie vor das A und O, damit wir diese Orchesterlandschaft auch in Zukunft erhalten können.

    Schossig: Die Einführung von Normverträgen führt ja zu Kosten, die viele kleinere kommunale Träger nicht schultern können. Ausweg ist dann immer bürokratische Personalreduzierung. Wäre es nicht sinnvoller, dass die Orchester selber sich auf ein angemessenes Preis-Leistungs-Verhältnis besinnen?

    Mertens: Die Orchester haben in den vergangenen 15 Jahren, haben nicht nur in den neuen Bundesländern, aber auch in den teilweise in den alten Bundesländern schon massiv auf Vergütung verzichtet. Es gibt in den neuen Bundesländern rund 40 Haustarifverträge mit Einschnitten in das laufende Gehalt. Da ist das absolute Ende der Fahnenstange erreicht. Und es muss dann auch ein Stück weit mal wieder nach oben gehen. Und wie gesagt, es geht nicht darum, dass Musiker hier Rosinen klauben wollen, sondern es geht nur darum, dass sie wie bisher wie der öffentliche Dienst gleichbehandelt werden wollen.

    Schossig: Wie optimistisch ist denn die Deutsche Orchestervereinigung, dass das Spitzengespräch jetzt in dieser Woche oder noch Weihnachten zu einer zufriedenstellenden Lösung führt?

    Mertens: Wir hoffen, dass die Streiks an den acht Standorten, und das ist ja erstmals seit den 50er-Jahren, dass es wirklich Vollstreiks von Orchestern gegeben hat, jetzt beim Deutschen Bühnenverein zu einem Einlenken führen werden.

    Schossig: Wenn Lokführer streiken, dann tut das ja weh. Wen juckt es denn, wenn die Instrumente im Theater schweigen?

    Mertens: Wenn die Instrumente im Theater schweigen, juckt das als Allererstes die Musiker, weil Musiker haben an sich keine Streikerfahrung. Es trifft auch das Publikum, dass wissen wir. Aber das lässt sich im Moment an dieser Stelle nicht vermeiden. Wir hoffen ja auch, diese Sache bald beenden zu können.

    Schossig: Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung zum Streit um die Besoldung öffentlicher Orchestermusiker in Deutschland.