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Das Ende der "Schande"

Der deutsch-französische Freundschaftspreis wird in diesem Jahr an zwei Menschen verliehen, die im Zweiten Weltkrieg in Frankreich geboren wurden - ihre Väter gehörten zur deutschen Besatzungsmacht. Seit zwei Jahren ist es diesen "Kriegskindern" möglich, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen.

Von Suzanne Krause | 08.03.2011
    Der deutsche Soldatenfriedhof Bourdon, gute 2O Kilometer nordwestlich von Amiens gelegen, liegt am Hang, über dem gleichnamigen Dorf. Fahnen knattern im Wind: schwarz-rot-gold, blau-weiß-rot und eine mit unzähligen Grabkreuzen – die Fahne des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Am Eingangsvestibül Hubert Lehmuller, Bereichsleiter des Volksbunds in Nordwest-Frankreich.

    "Auf dieser Tafel am Friedhofseingang haben wir festgehalten: hier wurden 22.187 deutsche Soldaten beerdigt, die im Zweiten Weltkrieg in der Region gefallen sind."

    An Lehmullers Seite steht Jehan Sauval, der den Friedhof für seinen Verein fotografiert hat.

    "Und ich werde die Bilder auf die Webseite unseres Vereins stellen."

    Jehan Sauval ist Mitglied der ANEG, eines Freundeskreises französischer Kriegskinder. Sauval kam 1943 zur Welt, als Sohn einer Französin und eines Deutschen. Sein Vater gehörte den Bautrupps der Organisation "Todt" an und wurde kurz vor Jehans zweitem Geburtstag aus dessen Heimatstadt Amiens abkommandiert. Lebens hat er ihn nie wiedergesehen. Heute unterhält Jehan engen Kontakt zu seinen Halbgeschwistern in Deutschland. Und macht nun fleißig Werbung für die Grabpflege-Kampagnen des Volksbundes. Seit er im letzten Sommer mit seiner Frau einen Vormittag lang Gräber geputzt hat, auf allen Vieren, gemeinsam mit Jugendlichen, die zur Friedensarbeit auf dem Soldatenfriedhof kamen.

    "Es hat mich ungemein aufgebaut, zu sehen, wie deutsche und französische Jugendliche da Seite an Seite zusammenarbeiten."

    Morgens wurde auf dem Friedhof geackert und nach dem Mittagessen konnte ich den jungen Leuten den Verein der Kriegskinder vorstellen und ihnen auch meine eigene Geschichte erzählen. Sie haben sehr viele Fragen gestellt, denn vom Zweiten Weltkrieg wissen sie nicht allzu viel, für sie liegt das zu weit zurück.

    Dass Sauval auch in diesem Sommer mit dem Kriegsgräber-Verein arbeiten will, freut Hubert Lehmuller vom Volksbund:

    "Es ist sehr selten, dass Erwachsene sich an unserer Gräberpflege beteiligen. Da kommt vielleicht mal jemand vom Gedenkverein "Souvenirs français" dazu, oder ein Gemeinderat. Dafür packten im vergangenen Sommer erstmals junge französische Soldaten mit an. Und es kommen auch immer mehr französische Jugendliche zu unseren Grabpflegeaktionen."

    Zu Hause am Computer präsentiert Jehan Sauval stolz Schnappschüsse vom sommerlichen Aktionstag. Neben ihm liegt ein Arbeitsheft für Französisch in der Oberstufe, das ein großer deutscher Schulbuchverlag im vergangenen Jahr herausgab. Darin finden sich selbst verfasste Kurzbiografien, von Jehan und von zwei weiteren Kriegskindern aus dem Verein ANEG. Ihre Lebensgeschichten hatten sie zumeist Jahrzehnte schamvoll für sich behalten. In Frankreich wurden Kinder deutscher Soldaten häufig als "Kinder der Schande" beschimpft. Heute gehen sie mit ihrer Geschichte offensiv um und werben bei der jungen Generation für die deutsch-französische Freundschaft.

    Seit Oktober 2009 ist Sauval sogar deutscher Staatsbürger. Die Bundesregierung hatte vor gut zwei Jahren einen lang gehegten Wunsch der Kriegskinder erfüllt und ihnen deutsche Papiere angeboten. Nun hat Jean Sauval nur noch einen Wunsch:

    "Kürzlich wurde einem ANEG-Mitglied als allererstes Kriegskind vom Pariser Justizministerium gestattet, den Namen des deutschen Vaters an seinen französischen Familiennamen anzuhängen. Mein Antrag läuft – ich möchte Sauval-Schmutzler heißen."