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Das Ende des Schweigens

Es war eines der ersten literarischen Werke, das nach Ende der Franco-Diktatur das Schweigen über den Spanischen Bürgerkrieg brach: der Roman "Wie ein Stein im Geröll" von Maria Barbals, der bereits 1985 auf katalanisch erschien. Mittlerweile gilt die Schilderung des bäuerlichen Lebens während der Franco-Diktatur als Klassiker.

Von Wera Reusch | 07.12.2007
    Was an diesem Roman am meisten verblüfft, ist seine Kürze. Auf etwas mehr als 100 Seiten schildert eine alte Frau im Rückblick ihr Leben. Conxa, so der Name der Ich-Erzählerin, wächst in einem entlegenen Dorf in den Pyrenäen auf. Als 13-Jährige wird sie zu Tante und Onkel geschickt, um der kinderlosen Verwandtschaft bei der Feldarbeit zu helfen. Bei einem Dorffest verliebt sie sich in den lebhaften Jaume, heiratet ihn und bekommt drei Kinder. Als der spanische Bürgerkrieg ausbricht, entscheidet sich ihr Mann, dem republikanischen Widerstand beizutreten und wird von den Faschisten verschleppt:

    Ich wusste, dass er tot war und dass ich ihn niemals mehr bei mir haben würde, denn der Krieg, das ist die Bosheit schlechthin. Wie sie über den Boden kriecht und ihre Schlangenbrut zurücklässt, ihre Saat aus Feuer und Messern mit offenen Klingen. Und meine Kinder und ich, wir waren barfuss. Noch nicht einmal Trauerkleidung trug ich, denn mein Toter war nicht wie die anderen. Er war ein Ermordeter, den man sofort vergessen muss. Und vor seinem Namen müssen Mund, Augen und Ohren mit dickflüssigem Zement verschlossen werden.

    Conxa wird den Verlust ihrer großen Liebe nie überwinden, sie zieht jedoch stoisch ihre Kinder groß, erträgt die Anfeindungen der Franco-treuen Dorfbewohner und bewirtschaftet mit viel Mühe ihren kleinen Hof. Den Ausgangspunkt des Romans bildeten die Erfahrungen ihrer Großmutter, erzählt die katalanische Schriftstellerin Maria Barbal:

    "Ich habe zum Teil auf reale Ereignisse zurückgegriffen, auf Geschichten, die in meiner Familie, aber auch von anderen Frauen dieser Generation erzählt wurden. Ich schildere eine sehr konkrete Geschichte, sie sollte nicht exemplarisch sein, aber die positiven Reaktionen auf dieses Buch zeigen, dass sich viele Menschen darin wiederfanden, ihren Schmerz und das lang anhaltende Schweigen darüber."

    "Wie ein Stein im Geröll" erschien 1985 auf Katalanisch. Barbal, die 1949 in den Pyrenäen geboren wurde, gehörte damit zu den ersten, die nach dem Ende der Franco-Diktatur 1975 das Schweigen über den Spanischen Bürgerkrieg brachen:

    "Mein Anliegen war es zunächst, mir diese Figur verständlich zu machen und ihr durch das Schreiben auch etwas Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Das war zunächst ein ganz persönliches Anliegen, aber als der Roman dann 1985 erschien, gab es viele Stimmen, die sagten, wir haben über diesen Krieg bislang nicht ausreichend gesprochen. Seither sind viele weitere Bücher zu diesem Thema erschienen. Ich denke, das hat auch etwas mit meiner Generation zu tun. Wir sind die Enkel derer, die den Krieg direkt erlebt haben, wir haben ihn durch unsere Familien auf gewisse Weise geerbt. Daher das Bedürfnis, diese Geschichten zu erzählen."

    Maria Barbal erzählt die Geschichte Conxas mit einer formalen Strenge, die schon fast dokumentarisch wirkt. In chronologischer Folge erinnert sich die Ich-Erzählerin an zentrale Momente ihres Lebens. Sie schildert das bäuerliche Leben in den Bergen, ihre Liebesgeschichte und die traumatischen Kriegserlebnisse schlicht und würdevoll. Große Sensibilität bewies auch die deutsche Übersetzerin, Heike Nottebaum, die den verhaltenden und herben Charakter dieses Romans großartig wiedergibt. Barbals Einfühlungsvermögen in ihre Protagonistin ist bemerkenswert, zumal sie jegliches Pathos vermeidet.

    "Ich habe mir eine Situation vorgestellt, in der ich meiner Großmutter zuhöre und dies aufschreibe. Und weil es auch um ein schmerzhaftes Erbe geht, wollte ich nicht in den Wunden bohren. Wahrscheinlich habe ich aus diesem Gefühl heraus diese reduzierte Form gewählt. Es schien mir nicht angemessen, das mit schwülstigen Details zu schildern, denn es war eine Generation von Frauen, die ihr Leid mit großem Ernst und sehr viel Würde ertragen hat. Auch später haben sie sich nie beklagt und keine Forderungen gestellt, sondern höchstens geweint. So habe ich sie wahrgenommen. Und ich wollte sie so schildern, wie ich sie gesehen habe."

    Barbal würdigt mit ihrem Roman eine Generation von Frauen, deren Leben alles andere als selbstbestimmt verlief. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren, war ihr Alltag von endloser Arbeit, strikter Loyalität zur Familie, kleinen Freuden und schmerzhaften Verlusten geprägt.

    Politische Ereignisse brachen über sie herein wie Naturgewalten, denen sie nichts entgegensetzen konnten. "Ich fühle mich wie ein Stein im Geröll", bemerkt Conxa einmal:

    Wenn irgend jemand oder irgend etwas mich anstößt, werde ich mit den anderen fallen und herunterrollen; wenn mir aber niemand einen Stoß versetzt, werde ich einfach hier bleiben, ohne mich zu rühren, einen Tag um den anderen.

    Mehr als zwanzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen ist die zentrale Bedeutung dieses Romans unumstritten: Barbal verlieh denen eine Stimme, die in der Geschichtsschreibung häufig untergehen - der bäuerlichen Bevölkerung, den entlegenen Regionen. "Wie ein Stein im Geröll" wurde von vielen auch als ländliches Pendant zu Mercè Rodoredas Roman "Auf der Plaça del Diamant" verstanden, der in Barcelona spielt. Die wichtigste katalanische Autorin des 20. Jahrhunderts hatte darin die Geschichte Colometas erzählt, einer jungen Frau aus einfachen Verhältnissen, die ebenfalls im Bürgerkrieg ihren Mann verliert. Maria Barbal selbst weist diesen Bezug allerdings bescheiden zurück:

    "Nein, nein. das hätte ich nie gewagt. 'Auf der Plaça del Diamant' ist ein großartiger Roman, und Rodoredas Stil ist unglaublich. Sie ist für alle Katalanen von sehr großer Bedeutung, vor allem aber für meine Generation, die nachfolgende. Merkwürdigerweise habe ich beim Schreiben überhaupt nicht an 'Auf der Plaça del Diamant' gedacht, erst nachher haben mich andere auf die Parallelen aufmerksam gemacht. Die beiden Figuren gleichen sich vielleicht auf den ersten Blick. Sie sind jedoch im Grunde ganz unterschiedlich: Colometa hält ihren Schmerz zurück, bis sie schließlich, lange nach dem Krieg, einen befreienden Schrei ausstößt. Conxa ist anders. Als Jaume stirbt, ist ihr Leben zerstört, aber sie würde nie schreien."

    Klaglos erträgt Barbals Protagonistin auch den letzten großen Verlust: Wie so viele Bewohner der Pyrenäen verlässt Conxa in den achtziger Jahren ihr Dorf, um den Lebensabend bei ihrem Sohn in Barcelona zu verbringen.

    Barcelona, das ist ein kleines Brot, das jeden Tag aufgegessen wird, und das ist Milch aus einer Flasche, ganz weiß, ohne Rahm und ganz dünn im Geschmack. Barcelona, das ist Lärm ohne Worte und ein klebriges Schweigen, erfüllt mit ganz bestimmten Erinnerungen. Barcelona, das ist für mich etwas sehr Schönes. Die letzte Stufe vor dem Friedhof.

    Barbal, Maria: Wie ein Stein im Geröll
    Aus dem Katalanischen von Heike Nottebaum
    Transit Verlag, Berlin 2007, 125 Seiten, 14,80 Euro