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Das Ende des Tangosängers

Tomás Eloy Martínez galt als einer der wichtigsten argentinischen Gegenwartsautoren. Hierzulande allerdings war der Journalist und Schriftsteller weniger bekannt. Dennoch: Seine Romane über die politischen Zustände in Argentinien sind von großer Durchschlagskraft. Nun ist Martínez im Alter von 75 Jahren gestorben.

Kulturjournalist Peter B. Schumann im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 01.02.2010
    Burkhard Müller-Ullrich: Das Thema alter Mann sucht junge Geliebte ist ja tausendfach anschlussfähig in der Literatur. Ein Beispiel dafür, eines bei uns nicht so wahnsinnig bekannten, argentinischen Schriftstellers, Tomás Eloy Martínez. Ein Buch, das bei uns auf Deutsch unter dem Titel "Der Flug der Königin" erschienen ist. Da geht es um einen 60-Jährigen, der eine lieblose Ehe hinter sich hat und sich in eine Redakteurin, die 30 Jahre jünger ist als er, vernarrt. Und das Ganze erzähle ich, weil der Autor, wie wir heute erfahren haben, gestorben ist. Peter B. Schumann, Sie sind unser Lateinamerika-Experte. Wer war denn Tomás Eloy Martínez?

    Peter B. Schumann: Tomás Eloy Martínez war einer der, glaube ich, wichtigsten argentinischen Gegenwartsautoren, vor allen Dingen einer, der sich sein ganzes Leben lang von seinem ersten Buch "La pasión de Trelew" 1972 über ein Massaker an geflüchteten Guerillieros bis zu seinem letzten Roman von 2009 "Fegefeuer" über die Verschwundenen der Militärdiktatur mit der Wirklichkeit seines Landes auseinandergesetzt hat. Und auch "Der Flug der Königin", da geht es nicht nur um diesen alten Sack und seine Liebe, sondern dieser alte Sack ist ein Medienmogul, der seine Macht über alle Menschen ausbreitet und der Film, das Buch ist eigentlich eine Metapher für den Teufelskreis der Macht. Und insofern ist es nicht ganz dicht an der argentinischen Wirklichkeit wie seine vorhergehenden Romane, aber es ist jedenfalls auch ein Buch mit einer politischen Geschichte.

    Müller-Ullrich: Selbstverständlich, denn natürlich denken wir immer an Politik, wenn wir an Lateinamerika denken. Wir denken einerseits an fantastischen Realismus, aber wir denken natürlich auch an die Zustände dort, wir denken an Perón, an den Peronismus, an Evita Perón, eine der großen Figuren, die Martínez auch bearbeitet hat.

    Schumann: Aber diese beiden Romane, "La novela de Perón”, der auf Deutsch heißt "Der General findet keine Ruhe" von '85, und "Santa Evita" zehn Jahre später 1995 – die beiden Romane bilden sozusagen den Mittelpunkt seines Werks, des Werks von Tomás Eloy Martínez. Es ist natürlich nicht ganz einfach für jemanden, der noch dazu kein Peronist ist, vielleicht ist es für ihn noch einfacher, sich damit auseinanderzusetzen, aber da die nötige Distanz zu bekommen. Und ihm ist das gelungen dadurch, dass er eine Methode ironischer Dekonstruktion entwickelt hat, die den Mythos selbst dort demontiert, wo sie scheinbar vorgibt, ihn aufzubauen, und der bei dieser Gelegenheit aber auch mit einer Fülle von Dokumenten arbeitet. Das hat er gelernt als Journalist, ganz früh, er hat ja seinen Lebtag lang als Journalist gearbeitet, diese Präzision im Umgang mit Details, mit Dokumenten vor allen Dingen. Aber er hat dabei auch die Möglichkeit, aus der Erfahrung heraus, dieser Kennerschaft heraus, mit diesen Details und Dokumenten umzugehen und auch sie zu jonglieren. Und das macht er in diesen beiden wunderbaren Romanen auf eine unglaubliche Weise, dass sie kritische Bilder sind, sehr kritische Bilder von Perón, aber auch von Evita und dennoch auch große Literatur.

    Müller-Ullrich: Journalistische Tätigkeit und Kritik, dann auch als Romanautor, ist nicht ganz ungefährlich in jener nachperonistischen Epoche, da musste er sogar abhauen, nach Venezuela zunächst mal.

    Schumann: Das erste Buch "La pasión de Trelew" über das Massaker an den Guerillieros im Gefängnis von Trelew, das – damals herrschten die Rechtsperonisten in Argentinien und die Killerkommandos von Isabelita Perón, der zweiten Frau, haben ihn mit dem Tod bedroht, deshalb musste er gehen. Zwei Jahre später, als dann die Militärs zuschlugen, haben sie dieses Buch sogar in Córdoba verbrannt und das hat ihn eine lange Exilzeit bis zum Ende und über die Militärdiktatur hinaus bereitet, aber er war dort als Journalist und als Gründer von Zeitschriften, Zeitungen, Kulturbeilagen äußerst aktiv und natürlich auch in der Vorbereitung dann seiner beiden, na ich möchte nicht sagen antiperonistischen Romane, aber jedenfalls mythenzertrümmernden Romane über General Perón und "Santa Evita".

    Müller-Ullrich: Und er ging noch in die USA, wo er eine ganze Weile als Gastprofessor tätig war.

    Schumann: Er hat an vielen Universitäten gelehrt, auch hier in Berlin eine Zeit lang. Er war ein großer Essayist, ein unglaublich guter Vermittler auch von lateinamerikanischer Literatur. Er hat ja Bände mit Essays über Filme gemacht, er hat Bände mit Essays über lateinamerikanische Literatur und auch über andere Vorbilder der Weltliteratur geschrieben. Er war unermüdlich sozusagen in der Aufarbeitung der Themen, die ihn beschäftigt haben. Kultur auf der einen Seite und die Wirklichkeit seines Landes auf der anderen.

    Müller-Ullrich: Auskünfte von Peter B. Schumann über Tomás Eloy Martínez, den argentinischen Schriftsteller, der 75-jährig gestorben ist.