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Das Ende von P183

Was der russische Graffitikünstler Pavel Puchov, der sich P183 nannte, machte, war schnelle, politische Kunst. In einem unfreien Land könne man Stacheldraht nur wie einen Weihnachtsbaum schmücken. Das tat er malend. Mit nicht einmal 30 Jahren ist Puchov in Moskau gestorben.

Von Anastassia Boutsko | 06.04.2013
    Eine der letzten Arbeiten von P183: ein verschneites Fußballfeld irgendwo zwischen trostlosen Plattenbauten am Moskauer Stadtrand. Suburbane Tristesse unter bleiernem Himmel. Plötzlich kommt ein junger Mann mit einem Eimer roter Farbe. Er sprüht eine rote Schleife auf den Schnee und verwandelt damit das Fußballfeld in eine riesige Torte. "Ein glückliches neues Jahr 2013" schreibt er darauf. Dazu erklingt der Song des russischen Rappers Vladi von der Gruppe "Kasta":

    "Es gibt kein besseres Ziel – das hab ich begriffen – als den Menschen zu nutzen. Wenn ich nur einen aufgeweckt oder getröstet habe – so war nicht alles umsonst"

    So war die Kunst von P183: direkt, etwas naiv und melancholisch, stets leicht surreal. Eine einsam stehende Betongarage verwandelte er etwa mit 3D-Wandzeichnungen in ein umgekipptes Palais. Herumstehende Betonplatten (davon hat man im Betonland Russland immer genug) wurden zu Schokoladentafeln der nostalgischen Marke "Aljonka", mit fordernd dreinblickendem Kindergesicht. Rührend auch seine überdimensionale "Brille": ebenso auf den Schnee gezeichnet, so groß, dass eine Straßenlaterne gerade als Bügel passte.

    Doch P183 war alles andere als harmlos: "Wahrheit für Wahrheit" heißt eine seiner berühmtesten Arbeiten. Auf die gläsernen Eingangstüren der Moskauer Metro klebte er nachts überlebensgroße Bilder der schwer bewaffneten Polizisten, wie man sie in Moskau beim Auflösen von Demos in der letzten Zeit häufig erlebt hat. Oder: ein geisterhaftes Mädchen, eine Kartonfigur, die aber ganz reale Glaskugeln auf den ganz realen Stacheldraht des Gefängnisses "Matrosskaja Tischina" anbrachte. Im Gefängnis war der Jurist Sergej Magnitskij zu Tode geprügelt worden, hier wartete auch Michail Chodorkovski auf seine Prozesse. "Wir leben in einem unfreien Land", - sagte P183 in einem Interview. "Es bleibt uns nichts anderes übrig, als den Stacheldraht unseres Gefängnisses wie einen Weihnachtsbaum zu schmücken".

    Bei aller Vergänglichkeit des Materials wurden die Arbeiten von P183 zum Markenzeichen des "Putin 3.0"-Russlands - obwohl der Schnee irgendwann auch in Russland taut und nicht zugelassene Wandmalereien von der Moskauer Stadtobrigkeit in der Regel in nur wenigen Tagen mit grauer Wandfarbe übermalt werden. Natürlich wurden Entstehungsprozesse und Ergebnisse fleißig gefilmt, zu Videoclips gestaltet und auf Youtube und seine eigene Seite www.183art.ru gestellt. Die Russische Suchmaschine Jandex findet drei Millionen Treffer für p183.

    Am 01. April kam Pavel Puchov, so hieß nämlich P183, mit 29 Jahren ums Leben. Unter möglichen Todesursachen vermutet man einen Unfall, eine Vergiftung oder plötzlichen Herzstillstand. Auch von Selbstmord ist im Internet die Rede (zumal einige seiner Videoclips mit Graffiti-szenentypischem Sprung vom Dach enden). Die Informationen über die genauen Todesumstände von P183 werden geheim gehalten.

    Mit 14 zeichnete Pavel sein erstes Graffiti. Mit 28 wurde er durch einen Artikel im "Guardian" schlagartig berühmt – sozusagen stellvertretend für die vitale und mannigfaltige russische Street-Art-Szene. Der britische Journalist Jake Hanrahan taufte ihn einen "russischen Banksy". Pavel Puchov gefiel dieser Vergleich nicht, obwohl sein Stil dem des berühmten Bristoler Kollegen ähnelte. Er mochte halt keine "Etiketten". "Nennt lieber Putin Banksy, - sagte P183. – Er ist der Autor (beziehungsweise Verursacher) der Protestbewegung, die ich für die größte Kunstaktion halte".

    Wie die meisten russischen Künstler nicht nur seiner Generation fand P183 die Atmosphäre in Russland unerträglich und träumte von einem freien Land. Wobei für seinen Begriff der Freiheit auch die Freiheit vom Konsum, von der Macht des Geldes und von der Verblödung durch Massenmedien zentral waren. Die Kunst von P 183 arbeitete mit Symbolen. Sein Tod ist auch eins geworden.