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"Das entlädt sich einfach in einer ganz großen Wut"

Katajun Amirpur, deutsch-persische Islamwissenschaftlerin und Publizistin, wagt keine Prognose, wie der Machtkampf im Iran ausgehen wird. Das einigende Band sei, dass man nicht mehr von Präsident Mahmud Ahmadinedschad regiert werden möchte. Sein Herausforderer Mirhussein Mussawi eigne sich durchaus als Integrationsfigur, da er ein konservativer Reformer sei.

Katajun Amirpur im Gespräch mit Jochen Spengler | 17.06.2009
    Jochen Spengler: Wie eigentlich bezeichnet man die politische Ordnung in Iran? Eine Demokratie westlicher Provenienz ist es gewiss nicht. Was dann? Eine Diktatur, eine Theokratie? Herrschaft der Mullahs sagen manche Iranexperten, die sich allesamt mit einer genauen Definition schwer tun. Das liegt vor allem an den vielen unterschiedlichen Drahtziehern im iranischen Herrschaftssystem.
    Am Telefon ist nun die deutsch-persische Islamwissenschaftlerin und Publizistin Katajun Amirpur. Guten Morgen, Frau Amirpur.

    Katajun Amirpur: Guten Morgen!

    Spengler: Was ist Iran für Sie? Würden Sie das System Diktatur nennen, oder ist das zu einfach?

    Amirpur: Ich glaube, Diktatur ist zu einfach, im Moment jedenfalls. Ich weiß ja nicht, wie die Ereignisse sich weiter entwickeln und was dabei heraus kommt. Vielleicht haben wir dann am Ende tatsächlich eine Militärdiktatur in Iran. Aber in den vergangenen Jahren, glaube ich, war Iran das nicht. Ich würde zwar nicht ausschließen, dass bestimmte Herrschaftskreise das immer so wollten, dass es das wird, aber im Moment ist es eine merkwürdige Mischung zwischen einem republikanischen System und einem System, wo sehr, sehr viele wichtige Entscheidungen von Repräsentanten getroffen werden, die sich eher auf eine göttliche Macht berufen.

    Das ist schon in der Verfassung sehr dualistisch angelegt. Selbst wenn man sich nur den Verfassungstext anschaut, kann man nicht wirklich entscheiden, wer eigentlich der Souverän in diesem Land ist, und das lässt sich auch in der Praxis nicht so genau sagen. Zum Teil finden in dem iranischen Parlament sehr lebendige, sehr heftige Debatten statt, das würde man Iran gar nicht zutrauen, und auf der anderen Seite gibt es dann immer wieder Leute, die ihr Veto einlegen können und sagen, das hat Gott mir gerade so befohlen. Es ist einfach alles sehr, sehr schwierig zu sagen, wie das grundsätzlich ist.

    Spengler: Aber wenn am Ende einer das Sagen hat, der geistliche Führer, kann man das dann nicht doch Diktatur nennen?

    Amirpur: Im Grunde natürlich ja, wenn man sich diesen reinen Entscheidungsprozess anschaut, aber andererseits ist es natürlich auch so, dass sich dieser Führer zum Teil versucht, auf den Volkswillen zu berufen und sich eben doch nicht nur göttlich legitimiert sieht. Auch da gibt es ganz verschiedene widerstreitende Kräfte. Auch Khomeini hat immer gesagt, man muss das Volk mit einbeziehen in die Entscheidungen, das Volk ist sehr, sehr wichtig. Es gibt Kräfte in Iran, die heutzutage sagen, man soll eigentlich diesen Namen "Islamische Republik" schon umändern, nur in "Islamisches System", denn alles was republikanisch ist an diesem System könne man getrost streichen. Das sagt beispielsweise der geistliche Mentor von Mahmud Ahmadinedschad, das ist ein Ayatollah namens Mesbah-Yazdi. Der ist da sehr, sehr strikt und sehr ausgesprochen, aber diese Elemente lagen immer im Widerstreit und ich finde, sie liegen auch heute noch sehr stark im Widerstreit, gerade jetzt im Moment in diesem aktuellen Machtkampf, den wir da beobachten.

    Spengler: Gestern Morgen hat Gernot Erler, der Staatsminister im Auswärtigen Amt, folgenden Satz hier im Deutschlandfunk gesagt. Wir hören den uns kurz mal an.

    Gernot Erler: Es ist eine nach meiner Beobachtung jedenfalls sehr kritische Situation, die auch ein bisschen erinnert an die letzten Jahre der 70er-Zeit, als die Revolution gegen den Schah gemacht wurde, und es ist auffällig, dass die Rufe identisch sind, was wohl bedeutet, dass die Betroffenen die Situation ganz bewusst gleichsetzen wollen.

    Spengler: Frau Amirpur, erinnert Sie das heutige Geschehen im Iran auch an die Revolutionszeit, als der Schah verjagt wurde, oder erinnert Sie das eher an den Aufstand der Studenten vor zehn Jahren, der dann blutig niedergeschlagen wurde?

    Amirpur: Bei den Studentenprotesten waren es einfach viel, viel weniger, die da auf den Straßen waren, und es waren Studenten. Mit denen haben sich zwar sehr, sehr viele von den anderen Segmenten der Bevölkerung in Gedanken solidarisiert, denke ich, aber es war ganz, ganz stark ein studentisches Anliegen, was damals formuliert wurde. Inzwischen geht das doch nun weit darüber hinaus. Inzwischen sind das verschiedenste Teile der Bevölkerung, die auch ganz verschiedene Anliegen haben.

    Spengler: Was wollen die denn eigentlich?

    Amirpur: Nun, es gibt ganz verschiedene Sparten, die sich aus verschiedenen Gründen einfach schlicht betrogen fühlen. Das erste war, glaube ich, dass man seine Wut zeigen wollte, dass man einfach nur maßlos enttäuscht darüber war, wie umgegangen worden war mit einem, denn man hat sich ja nun bereit erklärt, in diesen extrem eng gesetzten Grenzen, die das System einem bietet. Das war ja nun weit entfernt von einer demokratischen Wahl, was da passiert ist letzte Woche Freitag. Auch schon im Vorfelde sind Hunderte von Kandidaten ausgeschlossen worden. Man kann sowieso nur einen Menschen wählen, der grundsätzlich sich zum System dieser Republik bekennt. Alles andere wird einem nicht gewährt an Wahl. Wenn man sich dann doch entschließt, innerhalb der gesetzten Grenzen etwas zu tun für einen Machtwechsel, und wird dann so maßlos enttäuscht, ich glaube, das entlädt sich einfach in einer ganz großen Wut.

    Das ist in den ersten Tagen passiert. Inzwischen sind es aber eben auch Leute, die sagen, wir haben alles das nicht bekommen, wofür wir einstehen wollten. Das sind zum Beispiel die Frauen, die sich hinter Mussawi geschart haben, weil gerade seine Frau sehr stark für Frauenrechte eingetreten ist, und die sich gedacht haben, mit dieser Frau an seiner Seite würde er vielleicht wirklich etwas für Frauenrechte tun können. - Das sind zum Teil die Minderheiten. Der Präsidentschaftskandidat Cajuwi, der andere Herausforderer, hat sich sehr stark für die ethnischen Minderheiten ausgesprochen und gesagt, dass die mehr Rechte bekommen sollen.

    Spengler: Also das sind ganz unterschiedliche Ziele. Gibt es denn ein einigendes Band?

    Amirpur: Ich glaube, das einigende Band ist im Moment nur, dass man einen Wechsel möchte und dass man nicht von Ahmadinedschad regiert werden möchte. Das ist das einigende Band und ich denke, Mussawi eignet sich gar nicht mal so schlecht als Integrationsfigur oder als Figur, die all das unter sich vereinigen kann. Er ist kein wirklicher Spalter, er steht nicht nur für eine Richtung, er ist ein konservativer Reformer. Auch viele eher traditionell denkende Menschen mit einer doch eher noch konservativeren Aussicht, denn auch die haben ja zum Teil Ahmadinedschad abgewählt wegen der Wirtschaftspolitik, auch solche Leute kann er durchaus hinter sich ziehen, auch die wirtschaftlich Unzufriedenen, weil sie ihm zutrauen, dass er die Wirtschaft in den Griff kriegen kann.

    Spengler: Aber wahrscheinlich reichen die Demonstranten allein nicht aus. Was müsste passieren? Wer müsste sich mit ihnen verbünden, um den Präsidenten endgültig los zu werden?

    Amirpur: Es müsste sich der Strippenzieher im Iran mit ihnen verbünden, und es hat auch fast den Anschein, dass er im Moment da in großem Maße tätig wird. Sie haben es ja eben angesprochen in dem Vorbeitrag, diese komplizierte Machtstruktur in Iran. Ayatollah Khamenei ist mit Sicherheit der mächtigste Mann in Iran, aber der zweitmächtigste ist nicht der Präsident, sondern der Vorsitzende des Schlichtungsrates. Das ist Rafsandschani. Rafsandschani möchte, glaube ich, auf keinen Fall, dass Ahmadinedschad noch mal Präsident wird. Er hat einen persönlichen Clinch mit ihm auszufechten, weil er vor vier Jahren in der Präsidentenwahl gegen Ahmadinedschad unterlegen ist, und er hat aber auch ganz deutlich immer gesagt, dass Ahmadinedschad seiner Meinung nach völlig falsch regiert, sowohl außenpolitisch als auch in Bezug auf die Wirtschaft. Deswegen hat Rafsandschani offensichtlich sein gesamtes Gewicht und vor allem auch sein Geld in die Wahlkampagne von Mussawi gesteckt und es ist anzunehmen - das wird auch aus Oppositionskreisen jetzt immer wieder so dargestellt -, dass das im Moment die Leute sind, die tatsächlich verhandeln über das, was jetzt passieren sollte in der nächsten Zeit. Dass Leute wie Rafsandschani - und dann gibt es noch Khatami, den ehemaligen Präsidenten, der auch acht Jahre lang in Iran regiert hat und der eine sehr integere Persönlichkeit ist und immer noch von sehr gutem Ruf -, dass diese Leute jetzt tatsächlich mit Khamenei versuchen, wie man aus dieser Situation herauskommen kann, und zwar so, dass auch Khamenei nicht sein Gesicht verliert, denn er hat sich schon im Vorfelde der Wahlen sehr deutlich hinter Ahmadinedschad gestellt. Es wird immer wieder das Gerücht kolportiert, von dem man nicht weiß, ob es stimmt, aber was inhaltlich sicherlich richtig ist, das heißt, wenn Ahmadinedschad verliert, dann ist das auch eine Niederlage für mich, und aus dieser Situation muss man ihn jetzt einigermaßen herausbugsieren, dass er das Gesicht noch wahrt.

    Spengler: Wer steht denn hinter Ahmadinedschad? Sie haben den obersten Geistlichen schon angesprochen. Wer unterstützt ihn aber noch? Es sind ja auch Leute aus dem Volk, die Ahmadinedschad, den Präsidenten unterstützen, oder?

    Amirpur: Ja, das durchaus. Man kann nicht behaupten, dass Ahmadinedschad überhaupt gar keine Anhänger habe. Ich würde auch nicht mal so weit gehen zu sagen, dass Ahmadinedschad absolut unterlegen ist in dieser Wahl.

    Ahmadinedschad hat durchaus Leute, die ihn wählen, und es kann gut sein, dass er auf 40 Prozent gekommen ist im ersten Wahlgang. Es gibt sehr viele Leute in der Landbevölkerung, gerade unter den einfacheren Leuten, denen hat er vor vier Jahren sehr viele Versprechen gemacht und zum Teil hat er sie eingelöst. Er ist sehr stark eingegangen auf Bittschreiben von ihnen beispielsweise, da ist er immer auf die Leute zugegangen. Allerdings: Diese Geldgeschenke, die er gemacht hat, die sind inzwischen entwertet worden, weil die Inflation so hoch ist, die Arbeitslosigkeit so hoch ist, dass die Leute damit eigentlich auch gar nichts mehr anfangen können.

    Spengler: Frau Amirpur, Sie haben noch eine halbe Minute, mir zu antworten. Wie wird der Machtkampf ausgehen?

    Amirpur: Ich kann es Ihnen nicht sagen. Entweder es könnte tatsächlich umschlagen in eine Militärdiktatur, es kann aber auch sein, dass sie sich versuchen, tatsächlich einigermaßen im Reinen noch irgendwie zu einigen. Aber im Moment, finde ich, kann man das kaum sagen.

    Spengler: Die deutsch-persische Islamwissenschaftlerin und Publizistin Katajun Amirpur. Danke für das Gespräch, Frau Amirpur.