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Das Erlöschen der Flamme

Die diesjährigen Olympischen Spiele stehen unter politischen Vorzeichen wie lange nicht mehr. In Paris musste die Fackel aus Sicherheitsgründen gleich dreimal gelöscht und der Fackellauf am Ende sogar abgebrochen werden: ein fast symbolisch zu nennendes Ereignis.

Von Hans-Joachim Lenger | 07.04.2008
    Das Olympische Feuer hat im Verlauf seiner Geschichte ja schon so manches erlebt. Es durchquerte den Polarkreis auf Skibob und Motorschlitten, wurde von Tauchern transportiert, reiste mit Überschall-Geschwindigkeit in der Concorde, stürzte mit Fallschirmspringern in die Tiefe, schaukelte in einem indianischen Kanu, bleckte auf einem Mississippi-Dampfer oder wurde auf dem Rücken von Pferden und Kamelen voranbewegt. Die Organisatoren der Olympischen Spiele, der Welt größtes Stelldichein von Sponsoren, Werbefachleuten und Marketing-Strategen, sind dem zugeschalteten Publikum schließlich etwas schuldig.

    Die olympische Fackel darf nicht einfach von A nach B, von Griechenland zum jeweiligen Wettkampf-Ort befördert werden. Unterwegs muss sie sich mit einem symbolischen Mehrwert aufladen, der die Fernsehzuschauer aufs große Spektakel der Marken und Logos einstimmt. Und so kommt es dann zu den erwähnten abenteuerlichen Konstellationen - zu Land, zu Wasser und in der Luft.

    Anschläge mit dem Feuerlöscher wie jetzt in London musste das Feuer, soweit bekannt, dabei bislang nicht überstehen. Auch Versuche, es den Läufern zu entreißen, hat es nicht gegeben. Insofern dürfte der diesjährige Fackellauf tatsächlich neue Akzente setzen. Jeder Meter, den es vorangeht, erinnert an die politischen Verhältnisse, die im Gastgeberland China herrschen. Und unverse-hens gerät der Fackellauf des Friedens dabei zu einer Art Spießrutenlauf.

    In Paris, wo heute gelaufen wurde, konnten selbst 3.000 Polizisten nicht verhindern, dass die Flamme beim Versuch, sie am Flackern zu halten, schließlich erlosch. Das heilige Feuer der Völkergemeinschaft hörte auf zu brennen, im Nu war es um die Unversehrtheit eines Symbols geschehen, dessen archaischer Glanz doch wie aus der Retorte kommt: ganz so, als sei die Friedensbotschaft, die da im Klamauk der Medien und Marken durch die Kontinente und Länder geht, einem Selbstdementi erlegen, das ganz einfach an der Zeit war.

    Insofern entbehrt die Situation nicht einer gewissen Komik. Der politische Protest gegen die chinesische Regierung griff nicht nur in die glatte Selbstinsze-nierung eines Regimes ein, das unausgesetzt die eigene Verfassung bricht; er unterbrach nicht nur das Spektakel einer Menschheitsverbrüderung, für das die Sponsoren schließlich hohe Summen aufbringen - zuletzt, 2004, war die Lauferei den Konzernen Coca Cola und Samsung nicht weniger als 18 Millionen Euro wert gewesen. Zugleich unterbrach der Protest in Paris die Versuche der großen Firmen, sich mit dem mythischen Glanz der Antike auszustatten.

    Olympia, so ihre Botschaft, lebt fort in Coca-Cola, Sparta in Nike, und das Ethos des Schönen und Guten kehrt im entfesselten Neoliberalismus des Weltmarkts wieder. Mythen in Tüten also: für einen Moment setzte dieses Kalkül jetzt aus. Die Flamme erlosch; und unversehens blitzte in diesem Augenblick eine Erinnerung an etwas auf, das man tatsächlich "Aufklärung" nennen könnte.