Das Feature

Der verspätete Römer

Michael Langer · 07.09.2001
München-Schwabing. Fin de siècle. Gehüllt in eine Art Toga eilt eine gedrungene Gestalt heftig gestikulierend durch die Nacht. "Stellen Sie sich vor", schreibt Rilke,"dass ein Mensch, von einer intuitiven Einsicht ins alte kaiserliche Rom her, eine Welterklärung zu geben unternahm, welche die Toten als die eigentlich Seienden, das Totenreich als einziges unerhörtes Dasein, unsere kleine Lebensfrist aber als eine Art Ausnahme davon darstellte."
Rainer Maria Rilke, der Dichter der "Sonette an Orpheus", war nicht als einziger fasziniert und beeinflusst vom Privatgelehrten Alfred Schuler. Im berühmten Kreis der "Kosmiker" um Stefan George genoss Schuler lange höchsten Respekt. Der Geheimniskrämer, der sich als Inkarnation eines alten Römers sah, galt als Autoriät, was antike Kulte und Mysterien betraf. Doch selbst unter Esoterikern und Okkultisten, unter den vielen Außenseitern, die sich damals in der bayerischen Metropole ein Stelldichein gaben, blieb Schuler ein Sonderling: "Ich bin das Licht, das aus der Nacht dich saugt/ Ich bin das Leben."