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Das Festival für performative Kunst "Urbäng"
"Wie sieht die Stadt von morgen aus?"

Der Nachfolger des Theaterfestivals "Globalize Cologne" und soll richtig einschlagen: Das Festival "Urbäng" setzt sich künstlerisch mit der Zukunft von Städten auseinander. "Globalisierung ist Teil unserer Alltagswirklichkeit", sagte der künstlerische Leiter Jörg Fürst von "Urbäng" im Deutschlandfunk.

Jörg Fürst im Corsogespräch mit Anja Buchmann | 13.10.2017
    Stefan Fürst, Festival-Macher des Urbäng-Festivals, im Funkhaus Köln.
    Stefan Fürst, Festival-Macher des Urbäng-Festivals, im Funkhaus Köln. (Deutschlandradio / Kerstin Janse)
    Anja Buchmann: Wenn man die Begriffe "Urban" und "Bäng" in einen Topf schmeißt und kurz durchschüttelt, dann entsteht: Urbäng! So auch der Name des "Festivals für performative Künste", quasi Nachfolger des Theater- und Tanzfestivals "Globalize cologne", das es zehn Jahre lang gab. Jetzt soll mit "Urbäng" andere Schwerpunkte gesetzt werden: Der Blick ist wieder auch "lokal" statt ausschließlich "global". Jörg Fürst ist Autor, freier Regisseur und Gründer des A.Tonal.Theater, Mitbegründer des Kölner Ensemblenetzwerkes Freihandelszone und er hat das Urbäng-Festival konzeptioniert. Herzlich willkommen zum Corsogespräch.
    Jörg Fürst: Ja, hallo.
    Buchmann: Was sind die dringenden Fragen, die bei Urbäng! gestellt werden?
    Fürst: Ja, also für uns steht im Mittelpunkt, dass wir empfinden, dass wir in einer Zeitenwende leben. Also das Thema Globalisierung, Internationalität ist mittlerweile Teil unserer Alltagswirklichkeit. Und insofern reichte das für uns als Impuls für ein Festival, für ein internationales Theaterfestival nicht mehr aus, und wir wollen den Blick stärker lenken auf lokale Zusammenhänge, auf Wechselwirkungen und auf die Frage, wie sieht die Stadt von morgen aus.
    Wie kann Zukunft gelingen?
    Buchmann: Deshalb also tatsächlich "Urbäng!" statt "Globalize cologne". Es ist ja tatsächlich unüblich, dass ein wirklich gut laufendes Festival, eine gut laufende Marke auch einen anderen Begriff bekommt.
    Fürst: Ja. Wir wollen einfach den Fokus verändern, uns mit Positionen der darstellenden Kunst an der Diskussion um die Zukunft der Städte - und natürlich da auch Kölns - beteiligen. Also wenn man sieht, dass im Zuge der Digitalisierung revolutionäre Änderungen der Arbeitswelt anstehen, zum Beispiel eine Stadt wie Köln um 200.000 Einwohner wachsen soll, das ist ungefähr die Größe der Stadt Mainz, um sich das zu verdeutlichen. Und da wollen wir Positionen präsentieren, die dazu einen Beitrag leisten.
    Buchmann: Wie werden Sie diese Fragen bei Urbäng! künstlerisch bearbeiten? Es geht ja natürlich auch um eine der immer noch drängenden Fragen, um Migration und Integration, um Zusammenleben in unseren jeweiligen Städten. Haben Sie da mal ein Beispiel, wie Sie das angehen wollen künstlerisch beim Festival?
    Fürst: Also wir haben uns zum Beispiel in den letzten eineinhalb Jahren als Co-Produzent von drei Produktionen beteiligt von arabischen Künstlern, die nicht länger als fünf Jahre in die EU immigriert sind. Das heißt, wir nehmen diese Künstler in ihrer Profession ernst, haben ihnen ermöglicht, dass sie hier ihre künstlerische Stimme erheben, wenn man so will, und präsentieren da zwei Deutschlandpremieren auf dem Festival. Zum Beispiel "Transaction" von Mithkal Alzghair, das ist ein syrischer Choreograf, der auch im europäischen Tanzzirkus - wenn man so will - Fuß gefasst hat. Der war unter anderem zu sehen auf dem Theaterspektakel in Zürich, in Avignon oder auch im Hebbel am Ufer in Berlin. Von ihm präsentieren wir die neue Produktion "Transaction".
    Unerwartete Begegnungen
    Buchmann: Dann gibt es - unter anderem - auch noch ein Kochevent 'Around the Fireplace'. Da wird dem Publikum sozusagen ein Flüchtling 'zugeordnet', so habe ich es gelesen. Was verbirgt sich dahinter?
    Fürst: Ja, also uns geht es darum, dass ein Theaterbesucher nicht einfach nur eine Karte für ein Theaterevent kauft, sondern mit dem Kartenerwerb sich und einem Gast eine Begegnung schenkt, die anders nicht stattgefunden hätte. Das heißt, jeder Theaterbesucher, dem stellen wir am Abend einen Gast vor, das wird ein Flüchtling aus einer Kölner Flüchtlingsunterkunft sein, sodass Kartenkäufer, also ein normaler Theaterbesucher und Gast, den Abend gemeinsam verbringen. Es wird gekocht, live gekocht, das Publikum sitzt um eine Feuerstelle während dieses Kochvorgangs, und alle Geräusche während des Kochens werden gesampelt, werden abgenommen und durch den Musiker zu einem Livekonzert verarbeitet. Und im Anschluss wird halt eine große Tafel aufgebaut und alle essen zusammen. Ziel ist einfach, dass wir da eine Atmosphäre und eine Begegnung stiften zwischen Altbürgern - sagen wir jetzt mal - und Neubürgern, die anders nicht stattgefunden hätte.
    Buchmann: Ist das dann, um es mal ein bisschen provozierend zu sagen, so eine Art Zwangskommunikation?
    Fürst: Ja, es ist erst mal eben keine Zwangskommunikation, weil man ja erst mal dieser Performance beiwohnt.
    Buchmann: Klar, die Leute gehen ja da auch freiwillig hin und wissen in etwa, was sie erwartet.
    Fürst: Ja, und man sitzt erst mal da, hört Musik, der Raum füllt sich nach und nach mit Gerüchen durch das Kochen und man kann sich da auch bewegen. Das ist eine sehr aufwendige Installation aus 30 Europaletten, es gibt ganz viel Kochwerkzeug und eben Musikutensilien. Und dadurch entspinnt sich erst mal so eine ganz eigentümliche Atmosphäre, die, wie soll ich sagen, die Poren öffnet. Nicht nur für das Essen, sondern auch für die Begegnung mit dem Fremden.
    "Lokale und regionale Kategorien sind dann positiv, wenn sie nicht ausgrenzen"
    Buchmann: Mal über das Festival hinausgehend gefragt. Wie sieht für Sie eine Stadt der Zukunft aus? Das globale Dorf Köln, wenn Sie mal einfach vor sich hin spintisieren könnten.
    Fürst: Ja gut, das wissen wir natürlich jetzt en détail nicht. Also es sind natürlich zentrale Fragen. Wie wird die Arbeitswelt von morgen aussehen? Die Leute werden vermutlich mehr Zeit haben für sich zu nutzen, sich vielleicht selbstständig zu machen in Kreativberufen, der Verkehr wird anders organisiert sein, es wird gelten, viele Leute von Außen zu integrieren, die ihre Heimat eben nicht in dieser Stadt haben, sondern, sei es vom Land in die Stadt ziehen oder aus dem Ausland in die Stadt ziehen. Und im Zuge dieser zentralen Probleme, die ich jetzt gerade mal so vielleicht runtergebrochen habe auf Integration, auf Verkehr, auf Wohnen oder auf die Arbeitswelt, ja, das sind ja zentrale Sachen, mit denen man sich über Jahre - glaube ich im Rahmen des Festivals - beschäftigen kann.
    Buchmann: Und welche Rolle kann dann die Kultur - also konkret dieses Festival - bei auch der Entwicklung von Ideen oder vielleicht Änderungen von Einstellungen oder wie auch immer, spielen?
    Fürst: Also wir können natürlich zum Einen einen philosophischen, geistigen Input liefern wie zum Beispiel durch die Eröffnungsproduktion "Suddenly Everywhere is Black with People", wo der Zuschauer sich in der Tanzkompanie bewegt. Das ist eine Auseinandersetzung mit der Philosophie Canettis.
    Buchmann: Elias Canetti.
    Fürst: Elias Canetti. Ganz einfach gesagt, also Vielfalt als Ort für die persönliche, freie Entfaltung. Das kann man da hautnah erfahren, also das wär so eine philosophische Ebene. Und man natürlich ganz handfest Begegnungen stiften, wie wir eben angesprochen haben mit 'Around the Fireplace', die anders, als durch ein Theater oder Tanzerlebnis nie stattgefunden hätten.
    Buchmann: Lokal und regional sind ja auch im Moment - ja, man kann schon sagen - so was wie Modebegriffe dieser Zeit. Lokale und regionale Lebensmittel von der persönlich bekannten Kuh, regionale Spezialitäten, Nachbarschafts- und Quartiersinitiativen, vielleicht auch die Betonung der Herkunft, beziehungsweise Kultur, vielleicht sogar das, wie die Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien. Ist lokal und regional nur positiv besetzt für Sie?
    Fürst: Na es ist dann positiv besetzt, wenn es keine ausgrenzende Kategorie ist. Also wenn es den Kontakt zum internationalen, zum weltoffenen behält, dann ist es eine positive Kategorie. Wenn Heimat und Regionales als Begriffe der Ausgrenzung benutzt werden, dann ist es nichts positives.
    Buchmann: Und Ihnen geht es ja auch um die Verbindung zwischen Lokalem und Globalen?
    Fürst: Das zum Einen. Es geht uns aber auch darum - sagen wir mal - die Expertenkreise der darstellenden Künste, wenn man so will, zu durchbrechen. Also wir haben zum Beispiel seit Juni den Urbäng! Truck, das ist so ein 60er Jahre Umzugswagen, mit dem wir quasi parasitär andere Veranstaltungen besuchen, da eigenes Programm präsentieren. Das heißt, wir versuchen so diesen klassischen Theaterbesucherkreis zu durchbrechen und da auch eine Verbindung herzustellen zwischen internationalen Künstlern und der Bevölkerung, die jetzt nicht prinzipiell geschult ist oder ein professionelles Theaterpublikum ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Weitere Informationen zu "Urbäng!", dem Festival für performative Künste finden Sie hier.