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Das Frauen-Musikfestival "We Make Waves"
"Es braucht Netzwerke!"

In Festival-Line-Ups sind Frauen unterrepräsentiert. Sie haben keine Lobby, verhandeln weniger hart und werden in Tonstudios nicht ernst genommen. Das Festival "We Make Waves" in Berlin will mit einem internationalen Bühnenprogramm und Workshops dagegen angehen. "Alles, was Musiker pusht, fehlt den Frauen!", kritisieren die Gründerinnen Mirca Lotz und Melissa Perales im Dlf.

Mirca Lotz und Melissa Perales im Gespräch mit Bernd Lechler | 09.11.2017
    Blick ins Publikum beim Konzert der deutschen Band AnnenMayKantereit bei Rock im Park.
    Musikerinnen sind auf Festivals unterrepräsentiert und im Musikgeschäft insgesamt benachteiligt (dpa / Daniel Karmann)
    Bernd Lechler: "We Make Waves" heißt, ab heute, ein Festival plus Konferenz von und für Frauen, sowie trans- und intersexuelle WellenmacherInnen. Mit Themen eben vom Beatmaking bis zu Vertragsverhandlungen oder auch: Elternschaft und Musikmachen. Aber wimmelt es im Pop nicht von Erfolgsfrauen? Von Lady Gaga über Beyonce bis Beth Ditto? Die Festivalgründerinnen Mirca Lotz und Melissa Perales gestern beim Corsogespräch in Berlin meinten: "Nö".
    Mirca Lotz: Also wenn man sich die Festival-Line-Ups anschaut, dann kann man das ganz genau sehen, dass die Zahlen von weiblichen, von Transgender, von Non-Binary-Acts wahnsinnig gering sind. Das sind dann teilweise zwei, drei dabei, aber das ist auch wiederum oft so, dass es dann eine Band ist, wo dann vier Männer sind und eine Frau. Und dann wird das im Line-Up quasi als Frauenband verkauft. Es gibt eine tolle Studie vom McKinsey-Institut, die haben berechnet: Wenn Frauen gleichberechtigt arbeiten würden, dann könnte man das globale Bruttoinlandsprodukt um 28 Trillionen, also 26 Prozent, anheben.
    "Alles was einen Musiker pusht, das fehlt für Frauen"
    Lechler: Wenn wir ganz klein anfangen, bei den Festivals zum Beispiel: Wäre da dann eine Quote sinnvoll?
    Melissa Perales Quoten finde ich gerade in dem Bereich in dem wir jetzt gefordert sind gut. Unser Geld kommt teilweise vom Music Board und die haben seit diesem Jahr eine Quote. Bei Festivals müssen sie jetzt 50 Prozent Musikanteil von Musikerinnen haben. Da wo es um Fördergelder vom Staat geht, finde ich das total in Ordnung. Abseits davon geht der Anteil runter. Die Leute sagen immer: "Ich habe niemanden gefunden. Ich konnte niemanden finden. Wo sind die Musikerinnen?" Genau das ist die Frage. Die haben nicht die gleiche Sichtbarkeit und Promotion der PR-Agenturen und Musikmagazine. Alles, was einen Musiker pusht, das fehlt für Frauen.
    Lechler: Wer muss sich da an die eigene Nase fassen? Also von wem erwarten sie vor allem ein geändertes Verhalten, die Frauen mehr einzubeziehen?
    Lotz: Das geht einmal quer durch die gesamte Musikindustrie. Wenn man sich so auch die Zahlen anschaut, sind in den Einstiegsleveln zum Beispiel immer sehr viele oder gleichviele Frauen. Und je höher man kommt, umso weniger. Das heißt im Top-Managerbereich sind es dann vielleicht noch zehn Prozent, oder weniger sogar. Es gibt ganz viele Label, die haben überhaupt keine Labelmanagerin und da reproduziert sich das natürlich. Also Männer empfehlen oft halt Männer. Das ist vielleicht auch so eine Faulheit, die wir jetzt so im System haben und da muss man sich ein wenig umgewöhnen. Das muss aber jeder tun. Männer wie Frauen und wirklich überall: im Festivalbereich, im Pressebereich, im Labelbereich, überall.
    "Als ob es keine Frauen gäbe, die gut wären"
    Lechler: Was kann dann so ein Festival, so eine Konferenz wie hier "We Make Waves", anrichten oder auslösen.
    Lotz: Zwei Sachen, die uns sehr wichtig sind: Das eine ist einfach Sichtbarkeit schaffen. Zu zeigen, dass einfach wahnsinnig viele, total super Künstlerinnen da sind und dass man einen 100 Prozent Line-Up machen kann. Ein Argument von Festivals ist zum Beispiel immer: "Ja, die müssen ja auch gut sein." Als ob es keine Frauen gäbe, die gut wären! Und das man da auch zeigen kann, ja die sind da die Frauen. Und das andere ist: Es braucht Netzwerke. Ganz viel im Musikbereich läuft eigentlich über Netzwerke. Das heißt wir müssen die Netzwerke für Frauen stärken und dabei auch die Männer mit ins Boot holen. Das ist auch ganz wichtig. Es darf jetzt keine geschlossene Frauengesellschaft werden, sondern die Männer müssen mitgehen.
    Lechler: Eine der Veranstaltungen der Konferenz heißt "Media Takeover. Challenging the Status Quo". Was ist der mediale Status Quo, und wie soll der angegangen werden?
    Perales Journalisten und Magazine entscheiden "Was in den Charts ist, das promoten wir auch". Aber was ist die Realität? Ist es nicht auch der Sinn der Magazine und Radios neue Musiker zu promoten und neue Leute hervorzubringen? Natürlich wollen wir alle die hören, die wir kennen, aber wir wollen auch neue Künstler hören, neue Frauenstimmen im Interview lesen, in Record Reviews.
    "Manche Themen muss man frauenspezifisch angehen"
    Lechler: Die Medien sind Thema in der großen Konferenz. Es geht um Kulturpolitik, aber eben auch um so ganz praktische Dinge: Es geht um Mutterschaft oder Elternschaft in der Musik, um Finanzen, es gibt einen Workshop für öffentliches Sprechen, also auch so ganz konkrete Handreichungen. Sind die, von der Mutterschaft jetzt abgesehen, frauenspezifisch?
    Lotz: Manche Themen muss man schon frauenspezifisch angehen, weil Frauen ein antrainiertes - also nicht ein natürliches, sondern ein antrainiertes - sozialisiertes Verhalten haben. Da müssen wir glaube ich ansetzen, dass wir sagen: Welche Verhaltensmuster müssen wir ändern, damit wir quasi auf gleicher Ebene mit Männern verhandeln können? Ganz klassisch ist ja, dass Frauen sich oft nicht trauen, nach einer höheren Gage oder einem höheren Gehalt zu fragen. Oder dass sie in Verhandlungen oft schneller nachgeben. Und das sind ganz viele gelernte Muster, die man aber ändern kann. Und da muss man schon schauen: Wie machen das Frauen, wie machen das Männer? Und wie kann man das angleichen?
    Lechler: Und es geht nicht nur um die Bühne in der Musik. Es gibt ja auch Frauen bei Labels oder im ganzen Technikapparat. Die Tonstudios sind auch eine reine Männerwelt. Aus Neigung oder Sexismus?
    Lotz: Es ist schon schwieriger für eine Frau sich erst mal durchzusetzen. Gerade bei Technikern ist es schon sehr oft so, dass sie sehr zusammenhalten und eine sehr männerspezifische Art haben. Das ist nicht bei allen so, das muss man auch sagen. Aber gerade bei Live-Technikern habe ich oft mitbekommen, wenn ich Bands auf Tour war, wenn Frauen sagen: "Ich möchte meine Settings so und so haben", dann sagen die erst mal: "Nö, wir machen das nicht". Und das würden sie bei Männern wahrscheinlich nicht tun. Ich denke nicht, dass es eine Neigung ist. Ich denke wir müssen da auch wieder Arbeit leisten. Es ist total wichtig, wenn man jungen Mädchen und Frauen schon früh beibringt, dass sie das alles auch können und dass das nichts ist was nur Männer können, dann werden sie das auch später machen. Wenn es Vorbilder gibt, wenn es Sichtbarkeit gibt, werden sie dem auch nach folgen.
    "Wir müssen immer diesen nächsten Schritt gehen"
    Lechler: Da klingt aber jetzt vieles danach, als wären es schon nicht nur die Institutionen und Traditionen, sondern auch die Frauen selber, die sich bewegen müssen.
    Lotz: Ja natürlich. Aber das hängt ja alles zusammen. Was wir bei Festivals oft gesehen haben, dass es Konferenzen gab, wo die Themen auch immer sehr negativ besprochen wurden, aber dieser nächste Schritt dann nicht gemacht wurde, und alle sind in einem Jammertal zusammen. Dann wird sich nichts ändern. Also das alleine reicht nicht, wir müssen immer diesen nächsten Schritt gehen: Wie ist dann eine Strategie? Wie kann ich mit diesem Problem umgehen?
    Lechler: Frauen und Nichtbinäre-Menschen, wie es heißt. Ist den Trans- oder Queer-Sein nicht noch einmal ein ganz eigenes Thema. Also wieso wollten Sie das mit reinnehmen? Macht es das nicht auch kompliziert? Hätte es ein reines Frauenfestival nicht auch getan?
    Perales Nein, weil ich finde wir hören so viel vom Trans-Leuten in den Medien, aber die haben nicht die gleichen Möglichkeiten. Es ist besser wenn wir sagen: Wir sitzen alle in einem Boot, wir helfen einander. "Safer Spaces" für uns alle.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.