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Das ganze Leben in einer Leiste

Die bei Datenschützern umstrittene Facebook-Funktion Timeline, die sich in Deutschland Chronik nennt, führt alle Daten eines Nutzers als Lebensgeschichte zusammen. Es sei nichts anderes als eine andere grafische Aufarbeitung der bisherigen Inhalte, sagt der Computerjournalist Jo Bager. Kritischer bewertet er dagegen das Frictionless Sharing.

Jo Bager im Gespräch mit Georg Ehring | 16.12.2011
    Georg Ehring: Wer Facebook nutzt, teilt der Welt eine ganze Menge über sich mit, und das geht jetzt noch übersichtlicher als bisher. Seit heute können Nutzer ihr ganzes Leben in einer Leiste eintragen, Chronik heißt die neue Funktion, und sie hat im Vorfeld bei Datenschützern für blankes Entsetzen gesorgt. – Jo Bager beschäftigt sich beim Computermagazin "c't" mit Facebook. Guten Tag, Herr Bager.

    Jo Bager: Hallo!

    Ehring: Herr Bager, vorhin habe ich bei Facebook nachgeschaut und die neue Funktion zumindest auf Anhieb noch nicht gefunden. Wo ist sie denn versteckt?

    Bager: Bis jetzt muss ich sie mir quasi erst freischalten und dann erst sehe ich sie in meinem Profil.

    Ehring: Und wenn ich sie dann gefunden habe, wie funktioniert sie?

    Bager: Letztlich ist es erst mal nichts anderes al seine andere grafische Aufarbeitung dessen, was ich sowieso schon von mir gegeben habe. Ich habe ja bisher auch eine Timeline gehabt, die sieht aber eher ein bisschen langweilig aus. Und das Neue, das sieht halt sehr schön aus, das Ganze ist in einem Zeitstrahl, das ist grafisch sehr schön aufbereitet, und ich komme auch besser an Sachen heran, die ich vor längerer Zeit von mir gegeben habe. Bisher musste man da ja ewig runterscrollen, und wenn ich jetzt sehen will, was habe ich denn im Sommer 2008 gesagt, dann sind es zwei Klicks auf 2008 und dann kann ich noch mal in den Sommer scrollen, und ich sehe dann ganz schön, was ich dort von mir gegeben habe.

    Ehring: Nun soll das ja vielleicht nicht jeder sehen. Kann ich denn die Sichtbarkeit meiner Einträge in dieser Chronik beschränken, vielleicht auch einzeln, dass zum Beispiel die großen Feste nicht für jeden sichtbar sind?

    Bager: Die Datenschutzeinstellungen gelten wie bisher. Das ist ja letztlich auch nur eine andere Sicht auf dessen, was ich sowieso schon in Facebook drinstehen habe. Was ich an meine Freunde freigegeben habe, das bekommen auch nach wie vor die nur zu Gesicht, und genauso kann ich auch zukünftig sagen, das hier ist nur für meine Arbeitskollegen, und das nächste, das darf auch die gesamte Öffentlichkeit sehen.

    Ehring: Hat Facebook damit auf Datenschutzbedenken reagiert, oder hat das Entsetzen bei Datenschützern noch andere Hintergründe?

    Bager: So eine Funktion, dass man online posten kann, ich denke, da braucht man schon irgendwie eine Einstellungsmöglichkeit, wohin man das postet. Ich denke, so was kann man heutzutage nicht mehr freischalten, ohne in irgendeiner Form die Adressaten einschränken zu können. Ich denke, die Datenschützer werden eher entsetzt worden sein über eine andere Funktion, die jetzt auch im Rahmen dieser Chronik dazugekommen ist. Das nennt sich frictionless sharing. Da kann ich Drittanbieterdiensten erlauben, Dinge wie alltägliche Verrichtungen, die ich mache, automatisch an Facebook posten zu können, zum Beispiel was ich für Musik höre, aber auch, was ich für Artikel in Zeitschriften lese, oder zum Beispiel, welche Kochrezepte ich abrufe.

    Ehring: Da ist ja eine Werbeflut vermutlich vorprogrammiert. Wird das noch weiter genutzt, oder ist zu befürchten, dass es noch weiter genutzt wird?

    Bager: Je mehr ich von mir in Facebook preisgebe – das Ganze ist natürlich freiwillig, ich muss das nicht nutzen -, je mehr ich Facebook von mir sage, desto mehr weiß Facebook von mir und desto genauer kann Facebook und Werbedienstleister, die Facebook als Plattform nutzen, desto genauer können die ihre Werbung auf mich zuschneiden.

    Ehring: Zu welchem Umgang raten Sie denn? Worauf sollte ich achten, wenn ich jetzt diese Chronik gerne nutzen möchte?

    Bager: Man hat zunächst einmal keine Wahl, die Chronik zu nutzen. Früher oder später werden alle Accounts auf die Chronik umgeschaltet. Sie kommt also auf jeden Fall. Und was Facebook betrifft, gilt zunächst ganz grundsätzlich, erst mal nur Dinge zu posten, die ich auch einem Dritten auf der Straße sagen würde, jemandem fremden, den ich nicht kenne, und ansonsten bei Dingen, die ein bisschen intimer sind, wirklich ganz genau die Kreise auszuwählen, an die ich das poste.

    Ehring: Sind denn die Datenschutzbedenken aus Ihrer Sicht übertrieben, oder ist das durchaus berechtigt, davor zu warnen?

    Bager: Was diese Chronik betrifft, finde ich, gibt es dem Benutzer auch ein bisschen mehr Übersichtlichkeit. Man kann auch als Benutzer genauer sehen, was habe ich denn eigentlich jetzt in den letzten Jahren so von mir gegeben. Das ist im Grunde auch pro Datenschutz, wenn man so will. Man sieht, was man gemacht hat, und kann es dann ja auch löschen. Insofern finde ich das, was das betrifft, nicht so kritisch. Was dieses frictionless sharing, dieses reibungslose Teilen betrifft, wird man erst mal sehen, wie oft die Nutzer das überhaupt einsetzen. Grundsätzlich ist das jetzt erst mal so ein Mittel zur Totalüberwachung.

    Ehring: Herzlichen Dank! – Das war Jo Bager vom Computermagazin "c't" zu einer neuen Funktion bei Facebook.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.