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"Das ganze Theater ist unverständlich"

Die Aussage von Altkanzler Helmut Kohl von 1982 über eine "Reduzierung" der Türken in Deutschland hat für Wirbel gesorgt. Unberechtigt, findet der Historiker und Migrationsforscher Klaus Bade. Die 80er-Jahre seien in Sachen Integrationspolitik ein verlorenes Jahrzehnt gewesen.

Klaus Bade im Gespräch mit Jürgen Liminski | 03.08.2013
    Jürgen Liminski: Nach 30 Jahren werden als geheim oder vertraulich eingestufte Berichte und Informationen meistens zur Veröffentlichung freigegeben. Das ist auch mit einer Äußerung von Altkanzler Helmut Kohl nun geschehen. Sie betrifft seine Ansicht über türkische Emigranten, und er tat sie in einem Gespräch mit der damaligen britischen Premierministerin Margaret Thatcher, weshalb es auch in London ans Licht der Welt kam. Von dort Friedbert Meurer .

    Liminski: Friedbert Meurer aus London, und mitgehört hat der Historiker und Immigrationsforscher Klaus Bade, guten Morgen!

    Klaus Bade: Morgen!

    Liminski: Herr Bade, das Büro des Altkanzlers hat die Äußerung also bestätigt, will sie aber nicht kommentieren. Ist das nun ein Anflug von Rassismus oder lautes Nachdenken in einer Zeit, da man eben so dachte?

    Bade: Na ja, im Grunde genommen ist das ganze Theater eigentlich unverständlich. Das ist eine aufgeblasene Ente im Sommerloch. Wenn man das ein bisschen in den historischen Kontext stellt, dann kommt man doch zu sehr klaren Ergebnissen. '81, '82 hatte die CDU die damals herrschende sozialliberale Koalition sturmreif geschossen mit ausländerpolitischen Argumenten. Zu viele Ausländer, zu wenig Integrationspolitik, keine Initiativen in diesem Zusammenhang. Darauf kippte auch Bundeskanzler Helmut Schmidt um und erklärte im Februar 1982 "Mir kommt kein Türke mehr über die Grenze", zitiert heute gerne die NPD, also: Es gibt auf beiden Seiten die Vorstellung, es muss etwas gegen den Zuzug getan werden, es muss die Zahl reduziert werden. So etwas sagt Kohl dann gegenüber Thatcher, aber immerhin, er hat schon bei seiner ersten Regierungserklärung im Oktober 1982 gesagt, Integration ist nur möglich, wenn die Zahl der bei uns lebenden Ausländer nicht weiter steigt.

    Und im März '83, also ein paar Tage nach der Bundestagswahl, einigen sich CDU/CSU darüber, dass, ich zitiere, "der Ausländeranteil in den nächsten zehn Jahren halbiert werden soll", und dann, im Mai 1983, bei den Grundsätzen der Ausländerpolitik der neuen Regierung, bei der die FDP ja umgestiegen war, heißt es, die Grundsätze der Ausländerpolitik seien Integration, Begrenzung des Zuzugs und Förderung der Rückkehrbereitschaft. Das ist der Zusammenhang, und bei dem kann man dann als ersten Schritt das sogenannte Rückkehrförderungsgesetz von 1983 sehen, was ein Bluff gewesen ist. In Wirklichkeit hat die neue Koalition das in den Schubladen gefunden. Das hatte die SPD vorher entworfen und dann nicht mehr umgesetzt, weil sie gesagt hatte, das gibt ja nur Mitnahmeeffekte, und lasst uns das nicht machen. Genau das hat sich dann ergeben. Es gab einen Rückwanderungsstau, bis das Gesetz wirklich komplett umgesetzt war, und dann hat man das Geld mitgenommen, nämlich 10.500 Mark Prämie für einen Arbeitnehmer plus 1500 Mark für jedes Kind, das mitging. Und die Auszahlung der Beiträge an die Sozialkassen, allerdings nur der Arbeitnehmerbeitrag. Aber im Ergebnis war das ein Flopp, denn im Jahr 1982 gab es 4,6 Millionen Ausländer in Deutschland, und am Ende der Ära Kohl, 1998, gab es 7,3 Millionen, also alles vergeblich.

    Liminski: Wie beurteilen Sie denn die Integrationsergebnisse der letzten Jahrzehnte, also seit der Äußerung von Kohl?

    Bade: Nun, wir können sagen, dass in den 80er-Jahren das sozusagen ein verlorenes Jahrzehnt in Sachen Integrationspolitik gewesen ist. Angeblich ist das heute Multi-Kulti gewesen, was die Regierung damals daran gehindert hat, anständige Integrationspolitik zu machen. Das ist natürlich eine Legende, wenn man nur an den Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann mit seinen vergeblichen Versuchen, da ein Ausländerintegrationsgesetz zu machen Mitte der 80er-Jahre, erinnert. Schäuble hat dann 1990 eine Reform des Ausländerrechts gemacht, damit ging es ein Stück weit voran, aber auch wieder ein Stück weit zurück, denn es war sehr viel leichter, Deutscher zu werden, als eine Aufenthaltsberechtigung in Deutschland zu bekommen.

    Der eigentliche Wendepunkt war dann erst um die Jahrtausendwende herum. Das war dann die rot-grüne Koalition mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, aber auch da gab es schon wieder einen düsteren Punkt: Es war nämlich die Auskreisung sozusagen der Türken mit diesem Optionsmodell, und der eigentliche Start ist im ersten Jahrzehnt dieses Jahrtausends, des neuen Jahrhunderts sozusagen, indem es einen mit Siebenmeilenstiefeln vorangebrachten Aufholprozess in Sachen Integrationspolitik gibt, über das Zuwanderungsgesetz bis hin zum Anerkennungsgesetz heute. Nur, das kommt, wiewohl es immer besser wird, wie typisch in Deutschland in diesem Zusammenhang, rund ein Vierteljahrhundert zu spät.

    Liminski: Nun hat auch der Vorgänger Kohls, Helmut Schmidt, Sie haben ihn ja auch eben zitiert, eine andere, vergleichbare Äußerung getan, und zwar in diesem ersten Jahrzehnt, also erst vor ein paar Jahren, 2008, in seinem biografischen Werk "Außer Dienst". Da schreibt er, "wer die Zahlen der Moslems in Deutschland erhöhen will, nimmt eine zunehmende Gefährdung unseres inneren Friedens in Kauf." Ist das die große Sorge der Altkanzler gewesen, der innere soziale Friede?

    Bade: Ja, das ist natürlich eine kulturrassistische Äußerung, die muss man mal sehr klar als eine solche bezeichnen. Es geht ja nicht um "die Muslime", es geht nicht um die kulturellen Probleme. Es ging bei diesem Zusammenhang darum, dass hier ein im Grunde genommen wirtschaftliches Problem im Hintergrund stand, an dessen Ende dann hinterher Ausländerfeindlichkeit stand. Am Anfang hatte man Anwerbepolitik, das hatte eine doppelte Entlastungsfunktion. Ausländer sollten kommen, um Ersatzfunktionen am Arbeitsmarkt zu übernehmen. Sie sollten gleichzeitig eine Exportfunktion im Falle von Krisen haben, also Export der Arbeitslosigkeit. Das funktionierte nicht - warum? Weil es einen Familiennachzug gab, deswegen sank die Erwerbsquote.

    Das erhöhte die Adhäsionskraft in Deutschland, das bedeutete, in Krisen führte das nicht zu einem Export von Arbeitslosigkeit, sondern zu erhöhter Transferabhängigkeit, und das war genau das Gegenteil von dem, was man haben wollte. 1982 hat man das gemerkt. Arbeitsmarkt, Arbeitslosigkeit, erstmals Ende 1982 ungefähr zwei Millionen Arbeitslose, so viel wie Anfang der 1950er-Jahre - und dann der Versuch, gegenzusteuern und gemeinsam Politik und Leitmedien in der Bundesrepublik sorgen dafür, dass die Haltung gegenüber Ausländern steigt, die Abwehrhaltung. 1978 gibt es 39 Prozent, die sagen, wir sind für eine Rückkehr der Ausländer in Deutschland, 1982 sind das zwei Drittel der Bevölkerung, und das betrifft insbesondere die Türken. Und das ist die lange Spur hin zu der Turkophobie, zu dieser Islamophobie, die dann auch in den Memoiren des früheren Bundeskanzlers eine Rolle spielt. Und heute freut sich Herr Sarrazin und sagt, schau, schau, Herr Kohl hat damals schon das Richtige gesagt. Pass alles zusammen durchgehend bis herauf zur Sarrazin-Debatte und zu den Problemen, die wir heute haben, das sind gemachte Probleme, das muss man sehen.

    Liminski: Nun ist die Präsenz von Muslimen in Deutschland oder allgemein von Menschen aus anderen Kulturen ein Faktum. Wer muss sich da ändern? Was ist die Grundlage eines, sagen wir mal, neuen Konsenses?

    Bade: Die Grundlage eines neuen Konsenses ist die Akzeptanz der Realitäten. Man muss eigentlich mit dem, was der frühere Bundespräsident Christian Wulff einmal sehr richtig gesagt hat in seiner sogenannten Islam-Rede, das war ja gar nicht das Entscheidende darin, in der Rede, da hat er gesagt, ich sage es jetzt mal in meinen Worten: In einer Einwanderungsgesellschaft mit schon mehreren Generationen von Einwanderern aus verschiedenen Kulturen ist die Annahme des steten Wandels die erste Bürgerpflicht. Der Mann hatte also erkannt, dass es eine Eigendynamik im ständigen kulturellen Wandel in einer Einwanderungsgesellschaft gibt. Denn die besteht aus dem Zusammenwachsen von Mehrheitsbevölkerung und Zuwandererbevölkerung in einem Prozess, der sich ständig verändert und den man nicht stoppen kann, sondern den man nur annehmen kann. Das ist der Punkt, um den es geht, und deswegen müssen beide Seiten hier etwas dazulernen.

    Liminski: Der Historiker und Immigrationsforscher Klaus Bade heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Bade!

    Bade: Gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.