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Das Geheimnis vom hellen Klang

Neurowissenschaft.- Ein "heller Klang", ein "dunkler Ton", solche Sprachbilder verwenden wir jeden Tag, ohne groß darüber nachzudenken. Aber ist die allgemeine Verknüpfung von hellen Farben und hohen Tönen Zufall? Ein Experiment, das in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" vorgestellt wurde, geht dieser Frage nach.

Von Volkart Wildermuth | 06.12.2011
    "Es ist ein weiter Weg von hier nach hier."

    "Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du kaum einen Hauch. Die Vögelein schweigen im Walde, warte nur, balde ruhest Du auch."

    Von den Lauten der Schimpansen zu Goethes Worten. Ein wichtiger Trittstein auf diesem Weg könnten scheinbar willkürliche Assoziationen darstellen, wie die zwischen hohen Tönen und hellen Farben. Die Biopsychologin Vera Ludwig von der Berliner Charité hat die Spur dieser Verknüpfung zurück durch die Evolution verfolgt, bis hin zu unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen.

    "Beim Menschen, den können wir auch fragen, und da kriegt man immer die gleichen Antworten: ein hoher Ton ist hell. Und da wir Schimpansen natürlich nicht fragen können, ob sie jetzt diesen Ton mit einer bestimmten Helligkeit zum Beispiel verbinden, ist diese Aufgabe ganz gut geeignet, das zu testen."

    Diese Aufgabe, das ist ein klassisches Experiment der Wahrnehmungspsychologie, bei der die Versuchspersonen schnell erkennen sollen, ob ein kleines Quadrat schwarz oder weiß ist.

    "Was man eben schon aus Studien mit Menschen weiß, ist, dass wenn ein Ton im Hintergrund gespielt wird, der nicht zu der Farbe passt, dass ich dann langsamer werde oder mehr Fehler mache."

    Das gilt bei den Psychologen als Beleg für eine Verknüpfung zwischen eigentlich getrennten Wahrnehmungsbereichen, zwischen Tonhöhe und Helligkeit. Die Testaufgabe benötigt keinerlei sprachliche Reaktion, deshalb, überlegte sich Vera Ludwig, sollte sie auch für Affen erlernbar sein. Am japanischen Primaten-Forschungszentrum in Kyoto trainierte sie sechs Schimpansen mit viel Geduld und noch mehr Rosinen als Belohnung. Einige der Tiere benötigten nur ein paar Tage, andere einige Monate, am Ende reagierten aber alle Schimpansen auf das weiße oder schwarze Quadrat genauso sicher und verlässlich, wie menschliche Versuchspersonen. Das eigentliche artübergreifende Experiment konnte beginnen. Vera Ludwig spielte einen dunklen oder hellen Ton ein. Was die Menschen betraf, brachte der Versuch keine Neuigkeiten. Passt der Ton nicht zur Farbe, verlängert sich die Reaktionszeit.

    "Bei den Schimpansen hat es sich in den Fehlern geäußert, die haben mehr Fehler gemacht, wenn der Ton nicht zur Farbe gepasst hat. Und wir schließen eben daraus, Schimpansen haben auch diese Verknüpfung zwischen hohem Ton und hellerer Farbe."

    Es sieht so aus, als ob diese scheinbar willkürlichen Verknüpfungen eben doch nicht so willkürlich sind. Wenn wir von einem "hellen Klang" sprechen, ist das kein allein kulturell geprägtes Wortbild. Vera Ludwig vermutet, dass es tiefe evolutionäre Wurzeln hat, die zumindest bis zum gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse zurückreichen.

    "Wahrscheinlich ist es zurückzuführen, auf die Art und Weise, wie unser Gehirn Sinneswahrnehmungen verarbeitet."

    Die optischen und die akustischen Nervenzentren organisieren ihre Sinneseindrücke entlang von Skalen wie eben Helligkeit oder Tonhöhe, zwischen denen es offenbar Verbindungen gibt. Diese Assoziationen spielen für das Leben der Schimpansen vermutlich keine Rolle. Die Vorfahren des Menschen nutzen sie aber möglicherweise für ihre ersten Worte. Die mussten ja nicht nur gesprochen, sondern vor allem auch verstanden werden. Woher aber sollte ein Zuhörer wissen, was der andere mit diesem seltsamen Laut ausdrücken wollte? Das Problem ist kaum zu lösen, wenn Klang und Bedeutung rein gar nichts miteinander zu tun haben. Die in allen Gehirnen gleich fest verdrahteten Assoziationen bieten da einen möglichen Anknüpfungspunkt.

    "Die Idee ist, dass als die Sprache aufkam, dass wir da systematische Beziehungen zwischen dem Klang eines Wortes hatten und dem was es benannte. Zum Beispiel könnte es sein, dass unsere Vorfahren ein Objekt, das heller war, eher mit sozusagen heller klingenden Worten benannten haben. Das heißt, es ist tatsächlich möglich, dass unsere Vorfahren diese Verknüpfung zwischen diesen Sinneswahrnehmungen hatten und dass das das erste Vokabular geprägt hat."

    Diese Theorie, so Vera Ludwig, wird durch ihr Experiment mit Menschen und Schimpansen nun weiter untermauert. Das Wortbild vom hellen Klang kann so paradoxerweise selbst die Entstehung der Sprache beleuchten.