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Das Geschäft mit der Not

Portugal wird als nächster Kandidat für den EU-Rettungsschirm gehandelt. Doch das Land versucht, mit einem rigiden Sparkurs diesem Schicksal zu entgehen. Die Folgen: Viele Portugiesen müssen ihren Familienschmuck zu Geld machen.

Von Jochen Faget | 02.02.2011
    "Ich hätte da ein paar Schmuckstücke, von denen ich gern wüsste, was sie wert sind", sagt Hugo leicht verschämt und zieht einen Lederbeutel aus der Tasche. "Selbstverständlich", antwortet Raquel, die Geschäftsführerin des kleinen Ladens im Lissabonner Vorort Rio de Mouro. "Dann wollen wir doch mal sehen, was Sie bringen."

    Hugo, ein junger Mann Ende 20, sieht zu, wie Raquel einen Ring auf die Goldwaage legt, nachdem sie ihn vorher mit einer Lupe genau untersucht hat. Hugo ist arbeitslos und braucht dringend Geld:

    "Ich war schon ein paar Mal hier. Die Lage ist schlecht. Ich muss die Sachen verkaufen, wegen der Krise. Ich habe keine Arbeit und brauche das Geld. Das ist schade, aber Gold macht eben nicht satt."

    Portugals wirtschaftliche Schieflage hat auch die Finanzen der Familien durcheinandergebracht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Steuern steigen und die Sozialleistungen sinken. Es geht ans Eingemachte. Immer mehr Portugiesen verkaufen selbst ihren Schmuck, um überleben zu können, müssen ihr Gold zu Geld machen, berichtet Raquel Quaresma aus dem Goldladen in Rio de Mouro:

    "Die Leute verkaufen ihr Gold, weil sie nicht anders können. Und je schlimmer die Krise wird, desto mehr verkaufen sie."

    Goldläden, wie der von Raquel, haben Hochsaison in Portugal: Sie annoncieren seitenlang in Zeitungen, werben sogar im Fernsehen. Raquels Geschäft gehört zu einer Kette, die inzwischen 150 Filialen im ganzen Land hat. Das Geschäft mit der Not blüht. Leider, wie Raquel zugibt:

    "Es kommen immer mehr Senioren, weil die Rente nicht mehr für die Miete und die Medikamente reicht. Sie verkaufen ihre Familienerbstücke, um nicht zu hungern und zu überleben."

    Raquel blickt verlegen auf die Goldwaage, zuckt die Schultern:

    "Diesen Menschen würde ich gern mehr für ihr Gold geben. Aber das geht nicht, ich muss mich an die Tageskurse halten. Wenn ich könnte, würde ich ihnen sogar mein eigenes Geld geben, damit es ihnen besser geht. Manchmal ist dieser Job sehr frustrierend."

    Trotzdem tut Raquel ihn gewissenhaft: Auf einem Zettel notiert sie das Gewicht einer Kette, die Hugo mitgebracht hat, legt den nächsten Ring auf die Waage. Gut gearbeitete Stücke bringen etwas mehr, Edelsteine auch. Alte Filigranarbeiten besonders viel, beschädigte Stücke entschieden weniger. Hugos Schmuck ist Durchschnitt. Auch der Anhänger, eine kleine Christus-Figur, den Raquel gerade untersucht. "Ein Weihnachtsgeschenk", sagt Hugo. "Mit sentimentalem Wert. Aber die Krise ist stärker."

    Hugos Frau ist schwanger, da braucht er jeden Cent. Von der Arbeitslosenunterstützung könne die Familie nicht leben und einen neuen Job habe er nicht in Aussicht, berichtet der junge Mann. Also verkaufe er eben seinen letzten Schmuck. Der sei nur zuhause rumgelegen und an Gold liege ihm sowieso nicht viel, sagt Hugo, wenn auch nicht sehr überzeugend.

    Dann zählt Raquel Geldscheine auf den Ladentisch. 690 Euro hat Hugo für seine Schmuckstücke bekommen. Geld, das er und seine Familie dringend brauchen und das sie die nächste Zeit über die Runden bringen wird.

    "Der Preis war okay," meint Hugo und steckt die Scheine ein. "Lang wird uns das nicht über Wasser halten, aber immerhin." Schlimm sei nur, dass er jetzt kein Gold mehr zuhause habe, das er im nächsten Notfall verkaufen kann, sagt Hugo zum Abschied.