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"Das glaube ich schon, dass das das letzte Wort ist"

In Nordrhein-Westfalen ist eine rot-grüne Minderheitsregierung plötzlich wahrscheinlicher geworden. Die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in NRW, Sylvia Löhrmann, hofft nun auf die notwendige weitere Stimme aus einer der anderen Parteien.

Sylvia Löhrmann im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.06.2010
    Christoph Heinemann: Dass ein Interview Auslöser für einen Rücktritt sein kann, hat man schon erlebt, ja gar nicht so lange her. Dass eine Wortmeldung in der Presse die Regierungsbildung beflügelt, ist neu. Nach einer Interview-Äußerung des nordrhein-westfälischen FDP-Vorsitzenden Andreas Pinkwart befürwortet die SPD-Landeschefin Hannelore Kraft jetzt auf einmal doch eine rot-grüne Minderheitsregierung. Wir erinnern uns: Seit dem 9. Mai arbeitete Frau Kraft eine Regierungsoption nach der anderen ab, aber entweder haute das rechnerisch nicht hin, oder es passte politisch nicht. Und so klang das in der vergangenen Woche:

    O-Ton Hannelore Kraft: Wir sind uns einig darüber, dass wir eine Minderheitenregierung derzeit nicht anstreben. Wir wollen inhaltliche Veränderungen und wir werden jetzt, nachdem das Reden jetzt beendet ist, zum Handeln übergehen und wir werden den Politikwechsel im Parlament vollziehen – über Anträge, über Gesetzentwürfe. Dafür gibt es Mehrheiten im Parlament und die werden wir suchen und dann auch finden.

    Heinemann: April, April! Nachdem FDP-Landeschef Andreas Pinkwart nun also gesagt hat, der Koalitionsvertrag mit der Union sei abgearbeitet, befürwortet Hannelore Kraft nun auf einmal eine rot-grüne Minderheitsregierung. Begründung:

    O-Ton Hannelore Kraft: Für uns hat sich nach einem Interview von Herrn Professor Pinkwart eine neue Situation ergeben, denn gemäß diesem Interview hat Herr Pinkwart die Koalition zwischen CDU und FDP aufgelöst, woraus sich die Situation ergibt, dass es keine geschäftsführende Regierung mehr gibt, sondern nur noch geschäftsführende Minister, die sozusagen alleine und einzeln unterwegs sind.

    Heinemann: Der Druck aus der Führung der Bundes-SPD hat also offenbar gewirkt. Hannelore Kraft will sich am 13. oder 14. Juli zur Ministerpräsidentin wählen lassen. Aus eigener Kraft schaffen SPD und Grüne das nicht, eine Stimme fehlt zur Mehrheit im Landtag. Erst ab dem 4. Wahlgang könnte sie, wenn die elfköpfige Linksfraktion nicht mit nein stimmt, mit einfacher Mehrheit zur Ministerpräsidentin gewählt werden. Am Telefon ist Sylvia Löhrmann, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Sie war die Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Landtagswahl, die den Grünen ein hervorragendes zweistelliges Ergebnis beschert hat. Guten Morgen.

    Sylvia Löhrmann: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Frau Löhrmann, nach dem Hü und Hott der vergangenen Wochen, ist das jetzt das letzte Wort?

    Löhrmann: Ja. Das glaube ich schon, dass das das letzte Wort ist.

    Heinemann: Sie sind sich nicht sicher?

    Löhrmann: Doch. Natürlich bin ich mir sicher. Aus grüner Sicht ist es das sowieso und Frau Kraft hat sich gestern auch entschieden und ich glaube, sie ist auch froh und wir sind froh, dass wir jetzt an die Arbeit gehen können und ein Arbeitsprogramm für Nordrhein-Westfalen ausarbeiten können.

    Heinemann: Hannelore Kraft hat gesagt, Nordrhein-Westfalen brauche eine stabile Regierung. Was ist denn an einer Minderheitsregierung stabil?

    Löhrmann: Wir haben 90 Stimmen, Rot-Grün, die CDU hat 67 Stimmen, die FDP 13. Wir haben also 10 Stimmen Vorsprung und alle anderen haben weniger zu bieten. Wir wissen, dass es schwierig ist, dass wir eine zusätzliche Stimme gewinnen müssen für unser Regierungsprogramm, aber wir laden dazu ausdrücklich alle Parteien und alle Fraktionen des Landtags ein. Das ist ein neuer Weg. Wir haben dieses Wahlergebnis, wir haben fünf Parteien im Landtag vertreten und das ist aber nach Lage der Dinge das stabilste, was wir zu bieten haben, und wir haben klare politische Ziele und die sollen die Menschen erkennen, und dann erkennen sie, wer den Weg mitgeht und wer blockiert.

    Heinemann: Das heißt, diese Regierung muss den Linken aus der Hand fressen?

    Löhrmann: Nein. Diese Regierung sucht sich Mehrheiten aus allen Fraktionen und allen Parteien des Parlamentes, und das wird nach Lage der Dinge mal die Linkspartei sein, die immerhin ja auch von fast 500.000 Menschen gewählt worden ist, die eine sozialere Politik wollen. Die wird aber bei Bürgerrechtsfragen doch hoffentlich auch die Unterstützung der FDP finden und die wird an der einen oder anderen arbeitsmarkt- oder kommunalpolitischen Frage doch hoffentlich auch die Unterstützung der CDU finden. Das sind neue Wege, aber es gab jetzt keine Alternative und wir haben eine Minderheitsregierung unter Führung von Rüttgers jetzt, die sich auf 67 Stimmen berufen kann.

    Heinemann: Frau Löhrmann, höre ich einen flehentlichen Unterton aus Ihrer Stimme heraus?

    Löhrmann: Nein! Die Sache ist nüchtern. Wir haben das als Grüne ja letzte Woche analysiert, nachdem klar geworden ist, eine Große Koalition wird es nicht geben, womit wir gerechnet hatten. Wir hatten uns auf die Oppositionsrolle eingestellt, trotz unseres guten Wahlergebnisses und den Zielen, die wir damit verbunden hatten. Frau Kraft hat sich anders entschieden. Ich habe Respekt vor dieser Entscheidung. Ich habe auch wirklich den Eindruck, dass sie diese Entscheidung getroffen hat und es keinen Druck aus Berlin gegeben hat dazu, und deswegen müssen wir das jetzt anpacken für Nordrhein-Westfalen. Das ist der Auftrag.

    Heinemann: Auf Stimmen von CDU und FDP zu hoffen, erscheint ja ein wenig naiv. Das heißt, ausgerechnet am 17. Juni, gestern also, haben Sie die Linke salonfähig gemacht? Sinn für historische Sensibilität haben Sie auch?

    Löhrmann: Herr Rüttgers und Herr Pinkwart haben in den letzten Tagen, als sie sich sozusagen noch im Amt und an der Macht wähnten, darum gerungen, dass man Mehrheiten sucht, dass man zusammenarbeitet. Das war typisch Rüttgers, mit schönen Worten ablenken wollen vom Machtverlust. Rüttgers ist abgewählt. Wir haben auch einen Auftrag der Wählerinnen und Wähler, so vorzugehen. Also hoffe ich doch, dass das diesmal stimmt und nicht wieder nur sozusagen eine Täuschung der Öffentlichkeit durch Herrn Rüttgers ist. Er müsste dazu, sich so zu verhalten, weil er in der Verantwortung steht, und das müssen wir abwarten und dann müssen wir sie ständig in die Verantwortung nehmen.

    Heinemann: Stichwort Wählerauftrag. Hannelore Kraft hat ein miserables Wahlergebnis erzielt, sämtliche Sondierungen vergeigt, ja und nein gesagt zu einer Minderheitsregierung. Kann man einer offenbar taktisch so unfähigen Person eine Regierung anvertrauen?

    Löhrmann: Wir haben die Mehrheit, Rot-Grün vor Schwarz-Gelb. Wir haben für unsere Ziele große Zustimmung bekommen, weil ja auch in den Umfragen und auch jetzt in den Nachbesprechungen und Nachfragen gesagt worden ist, ja, Rot-Grün soll es machen, die Grünen sollen das Land mitgestalten. 61 Prozent der Menschen haben in der Nachwahlbefragung gesagt, die Grünen sollen mitgestalten, weil sie die Zukunftsthemen erkannt haben und weil es vorangehen muss in der Bildungspolitik, weil wir Veränderungen brauchen, um die ökologische, industrielle Revolution in Nordrhein-Westfalen voranzubringen, und weil wir die Kommunen besser ausstatten müssen, damit unsere Städte und Gemeinden nicht vor die Hunde gehen. Das sind die Themen, um die es geht. Frau Kraft hat eine schwere Zeit hinter sich, das will ich auch mal ausdrücklich sagen, mit diesem schwierigen Wahlergebnis. Sie hat jetzt entschieden, wir finden das richtig und deswegen müssen wir für Nordrhein-Westfalen jetzt anpacken.

    Heinemann: Wie will diese Regierung einen Haushalt verabschieden?

    Löhrmann: Indem sie auch dazu Menschen und die anderen einbindet, indem wir im Parlament einbinden und Mehrheiten suchen. Das wird natürlich die erste Hürde sein, aber man wird sehen, wer blockiert und wer dann verhindert, dass politische wichtige Entscheidungen für Nordrhein-Westfalen nicht zum Zug kommen. Das ist sicher der erste Punkt, an dem man sehen kann, geht es, trägt es dauerhaft, oder geht es nicht. Aber dann sind auch die Verantwortlichkeiten klar. Das ist auf jeden Fall der wesentlich bessere Weg, als sozusagen aus der Opposition heraus die Regierung zu treiben, die ja nun durch die Exekutive wesentlich mehr Möglichkeiten hat.

    Heinemann: Und das ganze nennen Sie stabile Regierung?

    Löhrmann: 90 Stimmen sind jetzt in diesem Parlament das stabilste, was da ist. Alles andere hat weniger Stimmen und ist instabiler und ist sozusagen auch zerrüttet. Die CDU hat große interne Probleme und zwischen CDU und FDP läuft auch so gut wie nichts mehr, und deswegen ist das die stabilste Konstellation und wir müssen dieses Wagnis gehen und wir laden alle dazu ein, mit dazu beizutragen, dass es um Nordrhein-Westfalen geht und nicht um parteipolitische Spielchen.

    Heinemann: Frau Kraft hat lange nein gesagt, der SPD-Vorsitzende ja zur Minderheitsregierung. Ist Hannelore Kraft die Marionette von Sigmar Gabriel?

    Löhrmann: Nein, das sehe ich nicht so, sondern ich sehe es so, dass Frau Kraft gestern entschieden hat, dass sie gestern diese Interviews so gedeutet hat, dass diese Regierung, die wir jetzt haben, abgewählt ist, dass sie nicht mehr stabil zusammenarbeiten kann, dass wir nur noch geschäftsführende Minister ohne klaren Auftrag im Amt haben, und hat dann gesagt, okay, dann gehen wir den Weg auch jetzt, und ich habe Respekt vor dieser Entscheidung.

    Heinemann: Frau Löhrmann, was soll im rot-grünen Minderheitskoalitionsvertrag denn unter dem Kapitel Energieträger Kohle stehen?

    Löhrmann: Wir werden gemeinsam und haben ja auch schon angefangen in den Sondierungsgesprächen ausgestalten, wie der Weg in die Zukunft Nordrhein-Westfalens gestaltet wird, und auch die SPD hat ja ganz klar erkannt, dass die Zukunft erneuerbar ist, dass wir kleine, dezentrale Kraftwerke brauchen. Das ist sicher ein schwieriger Punkt in den Verhandlungen. Die Grünen wissen, was sie da wollen, die SPD will das auch, da werden wir kluge Kompromisse finden, damit wir wegkommen von Kohlekraftwerken, sondern hin zu kleinen, dezentralen Kraftwerken, die zukunftsfähig sind, die arbeitsplatzintensiv sind und die eben auch klimapolitisch angesagt sind.

    Heinemann: Frau Löhrmann, in Hamburg droht der grünen Schulpolitik der Schiffbruch. Am 18. Juli findet das Schulreferendum statt. Wollen Sie auch in Nordrhein-Westfalen untergehen?

    Löhrmann: Wir wollen in Nordrhein-Westfalen einen Weg gehen, der auf den regionalen Konsens setzt.

    Heinemann: Das haben die in Hamburg auch versucht.

    Löhrmann: Man kann nicht ein Flächenland wie Nordrhein-Westfalen mit Hamburg vergleichen. Deswegen haben wir ja gesagt, wir setzen nicht auf einen Sofortumbau und einen Sofortumstieg unseres Schulsystems, sondern wir setzen auf den regionalen Konsens, und wir haben heute schon in etlichen Gemeinden Anträge vorliegen für Gemeinschaftsschulen mit dem Wunsch nach längerem gemeinsamen Lernen, der auf einstimmigen Ratsbeschlüssen basiert, den die CDU-Bürgermeister wollen, wo die Eltern mit 80 Prozent ihre Kinder anmelden wollen. Das heißt, die Menschen hier in Nordrhein-Westfalen sind schon viel weiter als die CDU-Landespolitik, und das war ja auch einer der Gründe, warum Jürgen Rüttgers abgewählt worden ist. Wir haben viel Zustimmung für diesen Weg, der von unten wächst, der dieses längere gemeinsame Lernen von unten möglich macht, und das werden wir, denke ich, mit der SPD vereinbaren und dann gibt es in Nordrhein-Westfalen keinen Schulkrieg, sondern innovative Schulentwicklung von unten.

    Heinemann: Sylvia Löhrmann, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Löhrmann: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.