Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


"Das hat mit Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun"

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß fordert eine Reform des Übernahmerechts. Wenn ein gesundes Unternehmen zum Freiwild eines hoch verschuldeten Konzerns werde, habe das nichts mit fairem Wettbewerb zu tun, so die Kritik gegenüber dem spanischen Konzern ACS.

Joachim Poß im Gespräch mit Jasper Barenberg | 05.01.2011
    Jasper Barenberg: Der größte feindliche Übernahmeversuch der vergangenen Jahre in Deutschland, er wird aller Voraussicht nach Erfolg haben. Bald schon werden wohl Manager des spanischen Konzern ACS in der Zentrale von Hochtief in Essen das Ruder in die Hand nehmen. Mehr als 30 Prozent der Anteile dienen dafür als Grundlage, damit hat ACS jetzt freie Hand, den Anteil, den eigenen, an der Börse weiter aufzustocken. Für ein ganz normales Geschäft hält das die Bundesregierung und hält sich abseits, mischt sich ausdrücklich nicht ein, und dafür wird sie von der SPD zum Beispiel heftig kritisiert. Die Sozialdemokraten fordern, die Regeln für unerwünschte Übernahmen in Deutschland deutlich zu verschärfen. Warum? Darüber wollen wir in den nächsten Minuten mit Joachim Poß sprechen, dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag. Einen schönen guten Morgen, Herr Poß!

    Joachim Poß: Guten Morgen, Herr Barenberg!

    Barenberg: In den vergangenen Jahren haben deutsche Unternehmen ja durchaus fleißig selbst im Ausland zugekauft, jetzt geht es einmal andersherum. So funktioniert doch eigentlich Marktwirtschaft, oder?

    Poß: Das ist ja auch nicht zu kritisieren, nur zu kritisieren ist, wenn ein kerngesundes deutsches Unternehmen wie Hochtief zum Freiwild eines hoch verschuldeten spanischen Konzerns gemacht wird und das gefördert wird durch unser Übernahmerecht. Das hat mit fairen Wettbewerbsbedingungen eben nichts mehr zu tun. Das Problem liegt daran, dass in anderen europäischen Staaten wir es mit einem schärferen Übernahmerecht, also mit einem Übernahmerecht, das höhere Anforderungen stellt an denjenigen, der übernehmen will, zu tun haben als in der Bundesrepublik. Und deswegen sind wir initiativ geworden im letzten Jahr und haben gesagt, an der Stelle müssen wir etwas ändern.

    Barenberg: Auf die Einzelheiten können wir sicherlich gleich noch zu sprechen kommen. Zunächst einmal, Sie haben den Ausdruck Freiwild genannt – nun hat sich ja ACS penibel an Recht und Gesetz gehalten, was bringt Sie zu dieser Schlussfolgerung?

    Poß: Ja, es hätte ja verhindert werden können. Wenn die anderen Bundestagsparteien unserer Initiative gefolgt wären, hätte man eine Situation gehabt – und das wäre auch juristisch möglich gewesen, man hätte dann Tempo machen müssen, indem also dieser Prozess, so wie er jetzt stattgefunden hat, nicht hätte stattfinden können.

    Barenberg: Wieso hat denn ACS in Ihren Augen getrickst?

    Poß: Ja, sie haben ja zunächst erklärt, dass sie eine solche Übernahme nicht anstreben, damals, als sie sich engagiert haben bei Hochtief und Herr Pérez, der Unternehmenschef, hat ja offenkundig da sein Wort gebrochen. Er hat sich dann mithilfe anderer sozusagen herangeschlichen, um an diese strategische Schwelle von 30 Prozent zu kommen, und ist jetzt vollkommen frei zu agieren, ohne weitere rechtliche Bindung, die es in anderen europäischen Staaten gibt, um dann 50 Prozent anzustreben. Also es ist ein etwas komplizierter Prozess, aber darum geht es im Kern, das zu erschweren, im Interesse der Aktionäre, sondern der freien Aktionäre, aber eben auch des Konzerns, der dieses gar nicht will, und der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die davon möglicherweise betroffen sind, wenn ein solcher Konzern dann von einem hoch verschuldeten Unternehmen – das ist ja sozusagen Kaufen ohne Geld. Von einem hoch verschuldeten spanischen Unternehmen wird ein wie gesagt gesundes Unternehmen übernommen, das hat mit Marktwirtschaft überhaupt nichts mehr zu tun.

    Deswegen war zum Beispiel ich auch so empört, wenn Herr Brüderle oder andere aus der Koalition sagen, das entspräche doch dem marktwirtschaftlichen Verständnis. Das zeigt nur, dass das gedanklich bei solchen Leuten wie Brüderle und so überhaupt nicht durchdrungen ist. Von einem marktwirtschaftlichen Verständnis kann man nur dann sprechen, wenn wir es mit gleichen Rahmenbedingungen in Europa zu tun hätten, und das haben wir nicht.

    Barenberg: Und welche Rahmenbedingungen würden Sie ändern wollen?

    Poß: Ja, wir haben dazu einen konkreten Vorschlag entwickelt, den ich jetzt nicht technisch darstellen will, dass eben mit dem Einziehen einer weiteren Schwelle, so wie es auch in anderen europäischen Staaten auch in Übereinstimmung mit der europäischen Richtlinie festgelegt ist, mit denen dann die Aktionäre auch dann wirksam geschützt bleiben, wenn ein Erwerber 30 Prozent der Stimmrechte – wie es jetzt ist der Fall, ja, 30 Prozent sind erworben – erworben ist und diese Beteiligung weiter ausbaut. Da gibt es eben Regelungen in anderen Ländern, die dann so wirken, dass ein weiterer Schutz gegeben ist. Diese Regelungen entfalten weit über ihre unmittelbare Anwendung hinaus Wirkung. Sie vermeiden eben Übernahmekonzepte, die ja von ACS verfolgt wurden, die darauf setzen, zur Ausnutzung ungünstiger Durchschnittskurse ein wenig attraktives Übernahmeangebot abgeben zu können und nachfolgend eben frei von Verpflichtung zu fairen Angeboten – ich hab es erwähnt – die Beteiligung weiter ausbauen zu können. Also das ist der Vorgang, um den es hier geht, der sicherlich relativ kompliziert ist von außen betrachtet, weil wir ja alle in der Regel damit nichts zu tun haben. Aber es ist schon so, dass dann solche Konzerne, um sich selbst helfen zu wollen, wie dieser ACS-Konzern, unterwegs sind, um sich sozusagen gesundzustoßen, zulasten eines bisher kerngesunden deutschen Unternehmens.

    Barenberg: Aber Herr Poß, ich hab Sie da an dem Punkt richtig verstanden, die Regelung, die Sie vorschlagen, oder die Verschärfung hätte nichts an dem bisherigen Ablauf der Übernahme geändert, sondern es würde nur ab jetzt eine neue Schwelle eingezogen.

    Poß: Ja würde nur – es ist eben die Meinung auch aller derjenigen, die sich da intensiver als ich mit beschäftigen, oder andere. Es würde dazu führen, dass …ein anderes Recht hätte dazu geführt, dass ein solcher Prozess von ACS erst gar nicht in Gang gesetzt worden wäre.

    Barenberg: Nun stellt sich die Bundesregierung ja auf den Standpunkt, dass eine Exportnation wie Deutschland auf offene Märkte angewiesen ist, und auch darauf, dass Investitionen frei fließen. Wollen Sie daran irgendetwas ändern, an diesem Grundsatz?

    Poß: Nein, wir wollen an dem Grundsatz überhaupt nichts ändern, das ist ein vordergründiges Argument, wie auch alle wissen. Das Kanzleramt hat ja zunächst geschwankt, wie es sich verhalten soll. Es gab ja auch von Frau Merkel und aus dem Kanzleramt gegenüber Hochtief andere Signale. Aber dann gab es offenkundig Besuche – so wurde ja unwidersprochen berichtet – von deutschen Banken, die andere Interessen bei diesem Übernahmeprozess haben, die wohl da zu einem Meinungswandel geführt haben. Und ich sage mal, diese dogmatische oder von ideologischer Ignoranz geprägte Position der FDP kam möglicherweise noch dazu.

    Barenberg: Und die Interessen der Aktionäre vor allem wollen Sie schützen und nicht etwa verhindern, dass Unternehmen aus dem Ausland deutsche Unternehmen übernehmen?

    Poß: Der formale Vorgang, es wird … die Interessen der Aktionäre, die sollen genau denselben Schutz haben wie die Aktionäre in anderen europäischen Staaten. Das führt aber eben auch dazu, dass damit den Interessen des deutschen Unternehmens, auch der Arbeitnehmer, die dort beschäftigt sind – darum geht es uns nun auch sehr stark, daraus machen wir ja keinen Hehl, dass wir Sozialdemokraten da sehr stark auch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blick haben –, damit die nicht zum Spielball solcher doch merkwürdigen, jedenfalls mit Marktwirtschaft nichts zu tun habenden Prozesse werden.

    Barenberg: Nun beteuert ja ACS, dass sie Hochtief gar nicht zerschlagen wollen, sollen als eigenständiges börsennotiertes Unternehmen weiterführen wollen, der Firmensitz soll in Essen bleiben – das kann doch eine Erfolgsgeschichte werden, oder nicht?

    Poß: Das sind die Beteuerungen, das sind Goodwill-Erklärungen, und ich glaube, es gab ja auch in der Vergangenheit, wenn man mal, obwohl das schon etwas länger her ist, Mannesmann und andere Dinge sich anschaut im Falle feindlicher Übernahmen. Da wurden solche Goodwill-Erklärungen en masse abgegeben, und es stellte sich dann sehr schnell eine andere Realität hinaus. Keiner von uns kann jetzt mit Sicherheit sagen, was geschehen wird, wenn ACS erfolgreich sein sollte und nicht noch juristisch Fallstricke sich ergeben – das wird ja von der BaFin, der Finanzaufsicht noch zu prüfen sein, ob es einen Prozess gegeben hat mit Absprachen, so wie berichtet wird in den Medien, das – ich glaube, Southeastern heißt das Unternehmen, das dazu benutzt wurde, sozusagen diese jetzt vorhandene 30-Prozent-Schwelle zu überschreiten. Also das ist jedenfalls die Behauptung, das wird zu prüfen sein, es geht noch um eine juristische Prüfung, ob auch Aktionäre, die angenommen haben, das Angebot, zurücktreten werden und so weiter, das bleibt abzuwarten, das kann mit letzter Sicherheit nicht gesagt werden. Und es bleibt dann auch abzuwarten für den Fall, dass ACS erfolgreich gewesen sein sollte, was sie denn konkret machen unternehmenspolitisch, das wird man dann auf der Hauptversammlung im Mai schon sehen können. Aber es ist ja nicht zu leugnen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Unternehmensleitung größte Befürchtungen haben, dass es dann doch zu einer ungünstigen Zerschlagung kommen wird. Möglicherweise nicht im ersten Schritt, das ist ja dann auch ein längerer Prozess, ein Prozess der Auszehrung, der da sich vollziehen kann, den man in anderen Fällen schon erlebt hat. Und es geht darum, wo inzwischen wieder Übernahmen populär sind, Übernahmen auch dieser Art populär sind, dass also es endlich auch hier in Deutschland dann gelingt, dass wir uns rechtlich so stellen, wie das fast durchgehend alle anderen europäischen Staaten tun. Das nennt man im Englischen Level Playing Field.

    Und es gibt keinen rationalen und nachvollziehbaren Grund, warum die Bundesregierung sich weigert oder auch die Fraktionen, die bisher nicht mitgemacht haben – also CDU/CSU und FDP – sich weigern, oder auch die grüne Fraktion, die ja wackelt wie so ein Wackelpeter, was überhaupt nicht rational verständlich ist, warum eine solche Maßnahme – die hat mit Protektionismus eben nichts zu tun – warum eine solche Schutzmaßnahme, wie wir sie vorgeschlagen haben, keine Mehrheit im Deutschen Bundestag finden sollte.

    Barenberg: Sagt der Fraktionsvize der SPD im Bundestag. Vielen Dank für dieses Gespräch, Joachim Poß, danke!