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Das Hausschwein der Botanik

Was veranlasst einen Schriftsteller wie den Franzosen Erik Orsenna dazu, sich in der ganzen Welt herumzutreiben, mit Arbeitern und Vorarbeitern, Fabrikdirektoren und Lobbyisten zu reden, mit Produzenten, Zwischenhändlern und anderen Profiteuren? Orsenna, der schon den wichtigsten französischen Literaturpreis gewonnen hat, den "Prix Goncourt", und der in der Acamémie Française sitzt, könnte sich doch auf seinen Lorbeeren ausruhen, ein bisschen am Académie-Wörterbuch mitarbeiten und alle paar Jahre einen gut abgehangenen Roman veröffentlichen. Stattdessen war er in den vergangenen Jahren in Usbekistan und Ägypten, in Brasilien und Texas, in China und Mali. Nicht etwa als Urlauber, sondern als Forschungsreisender. Sein Forschungsobjekt: Eine Nutzpflanze namens Gossypium und ihre Nutznießer. Der deutsche Name dieser Pflanze: Baumwolle, der englische: Cotton.

Von Martin Ebel | 06.05.2007
    " Baumwolle ist das Hausschwein der Botanik: Alles lässt sich verwerten. Und also wird auch alles verwertet. Zuerst kommt das Wertvollste: die Samenhaare. Das sind die langen weißen Fäden, die die Samenkörner umhüllen. Mit Hilfe von maschinen werden sie entkernt. Die Baumwollfasern sind weich, geschmeidig und trotzdem fest. Wasser und Feuchtigkeit können ihnen nichts anhaben. Unser Schweiß stört sie nicht. Sie lassen sich widerspruchslos tausendmal waschen und genauso oft bügeln. Sie nehmen mir nichts, dir nichts jede Farbe an und behalten sie ... Die Baumwolle bekleidet also den Menschen. Aber das ist nicht alles. Wie man weiß, verdanken wir ihr nicht nur Mullkompressen, sondern auch Spezialpapiere (z.B. für Banknoten), Filmmaterial, Kerzendochte. Immer zu unsern Diensten, sind Baumwollfasern auch ein wichtiger Bestandteil kosmetischer Produkte (Lacke, Haarpflegemittel...), außerdem von Zahncremes, Eiscremes... Und selbst wenn der Geschmack einiger italienischer Hackfleischsoßen und mancher deutschen Würste seltsam erscheinen mag, wer käme auf die Idee, dass sie Baumwolle enthalten? "

    Und das ist nur das, was die Fasern der Baumwolle hergeben. Orsenna nennt auch die Produkte, die aus anderen Bestandteilen der Pflanze gewonnen werden:

    " Die Samen sind nicht weniger ergiebig. Mit ihrem hohen Eiweißgehalt sind sie, auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, ein fester Bestandteil vieler Tafelöle. Da die Marketingexperten anscheinend befürchten, die Bezeichnung "Baumwollöl" könne den potenziellen Käufer anwidern, haben sie ihm einen etwas unspezifischeren, allgemeineren Namen gegeben: "Pflanzenöl". Auch die Tiere werden mit Baumwolle ernährt: Sie fressen die Pressrückstände der Samen und Samenkapsel. Die Reste dienen der Herstellung von Seife, Dünger, Sprengstoff (Glyzerin), Pilz- und Insektenvernichtungsmitteln ... und synthetischem Gummi. "

    Die Petrochemie gewinnt Kunststoffe aus den Abfällen, Stiele und Zweige der Baumwollstauden werden als Tierstreu verwendet, oder die Bauern verheizen sie, wenn sie gerade kein anderes Brennmaterial haben.

    Also wahrlich ein großzügiges Geschenk der Natur, diese Allzweckpflanze. Orsennas Reportage zeigt nun, was der Mensch, unter Einsatz seiner gesamten technischen und organisatorischen Intelligenz und getrieben von seinem Drang, aus einer nützlichen eine gewinnbringende Angelegenheit zu machen, mit diesem Geschenk angefangen hat. Ein Segen kann sich zum Fluch verkehren. Intensive Baumwollkultur hat in der Sowjetunion und einem ihrer Nachfolgestaaten, nämlich Usbekistan, dazu geführt, dass der Aralsee, eines der größten Binnengewässer der Welt, auf ein Drittel seiner ursprünglichen Fläche geschrumpft ist; das durch Verdunstung entstandene Land ist versalzen.

    Eine vielfache Katastrophe.

    " Die ökologische Katastrophe: das Aussterben Dutzender Tierarten, die Unfruchtbarkeit Tausender Hektar Land wegen der giftigen Salze, die der Wind heranweht. Die wirtschaftliche Katastrophe: aufgegebene Fischfanggründe und Konservenfabriken, somit Massenarbeitslosigkeit. Die medizinische Katastrophe: Krebs (Hals, Schilddrüse), Hepatitis, Atem- und Verdauungsprobleme. Die meteorologische Katastrophe: ein immer wärmeres, immer trockeneres Klima in der Region. "

    In Brasilien gewinnen selbsternannte "Pioniere" durch massive Rodung des Regenwaldes immer mehr landwirtschaftlich nutzbaren Boden. Wo bisher Tausende von Tier- und Pflanzenarten lebten, darunter viele bis heute unbekannte, darf nur noch eine einzige gedeihen: der Baumwollstrauch. Damit sich zu ihm nicht weitere, unerwünschte gesellen, Pilze, Käfer und andere Schädlinge, muss er massiv gedüngt und mit Pestiziden und Insektiziden besprüht werden. Die Nutzpflanze Gossypium verdrängt also das einmalige Artenreservoir des Regenwaldes und nagt an dieser Lunge, die der Planet zum Überleben braucht. Müsste der Regenwald Amazoniens unter diesen Umständen nicht Brasilien, sondern der ganzen Menschheit gehören?, fragt Orsenna. Die Antwort ist so einfach zu geben, wie sie schwer umzusetzen ist. Natürlich wird Brasilien seine Souveränität niemals einschränken lassen - aber auch nicht dem Profitstreben von Agroindustriekonzernen wie Maeda Einhalt gebieten.

    Brasilien ist ein Beispiel für entfesselten Kapitalismus, in dem sich der Staat fast vollständig zurückgezogen hat und, wer immer über Kapital, Einfluss und bezahlte Schläger verfügt, machen kann, was er will. Sogar Eigentumsrechte über riesige Gebiete produzieren, die er nie gehabt hat - durch schlichte Fälschung der entsprechenden Dokumente. Dazu erzählt Orsenna den Trick mit der Grille.

    " Möchten Sie eine falsche Urkunde auf die Schnelle richtig alt aussehen lassen? Ganz einfach, legen Sie diese in eine Schachtel, in die Sie auch eine Grille sperren. Das arme Tierchen! Im Dunkeln fühlt es sich völlig verloren, es dreht durch, kann den Kot nicht halten ... Und anscheinend gibt es nichts Besseres als die Ausscheidungen einer Grille, um neues Papier uralt, das heißt sehr echt aussehen zu lassen. "

    Brasilianische Baumwollproduzenten setzen auf Masse. Sie verfügen im Mato Grosso, schreibt Erik Orsenna, über die größte landwirtschaftliche Nutzfläche der Welt, die sich Jahr für Jahr noch vergrößert. Sie lassen riesige John-Deere-Erntemaschinen in einer Reihe auf die Baumwollstauden los, lagern die Produkte in endlosen Hangars, wodurch sie auch einmal eine Baisse des Weltmarktpreises aussitzen können, und überhaupt fangen sie bei Flächen von mehreren Tausend Hektaren pro Einheit erst an. Sie setzen für die Zukunft aber auch auf Klasse. So, wie die Baumwolle heute ist, soll sie nicht bleiben. Schon jetzt ist die Nutzpflanze das Ergebnis von Züchtung und ständiger Optimierung. Dazu ist seit Neuestem die Gentechnik gekommen. Seit einigen Jahren kann man das Erbgut der Baumwolle so verändern, dass sie nicht nur widerstandsfähiger gegen Witterung und unempfindlich gegen Pflanzenschutzmittel ist, sondern gegen bestimmte Schädlinge selbst das Gift produziert, das diese vernichtet. Die Gentechnik, sagen deren Verfechter, reduziert nicht nur Ernteausfälle, erhöht also den Ertrag pro Hektar, sondern erlaubt es auch, die Chemiekeule weniger oft zum Einsatz zu bringen. Letzteres wird allerdings von Umweltschützern in Frage gestellt. Wie auch immer: Der Anteil genetisch veränderter Baumwollsorten steigt rasant. In den USA liegt er nach neuesten Zahlen bei 83 Prozent, in China bei 65 Prozent. Ein brasilianischer Forscher, den Orsenna in einem Labor in Brasilia besucht, hat noch ganz andere Dinge vor: einen Qualitätssprung durch Manipulationen, wie sie bis vor kurzem nicht einmal die verrücktesten Science-Fiction-Hirne sich ausgedacht hätten. Elibio Rech, so heißt der Forscher, will Tiergene auf Pflanzen übertragen.

    " Brasilien hat den größten Spinnenreichtum der Welt. Wir haben beschlossen, sie in die Pflicht zu nehmen. Alle müssen ihren Teil zum nationalen Fortschritt beitragen. Die Fäden, die die Spinnen produzieren, zeichnen sich durch eine erstaunliche Feinheit, Elastizität und Festigkeit aus. Alles Eigenschaften, die auch unsere Baumwolle haben soll, damit sie Weltspitze wird. Die Lösung ist einfach. Unter unseren Spinnenarten suchen wir die besten Arbeiterinnen aus, entnehmen ihnen das entsprechende Gen und übertragen es in die wertvollsten Baumwollpflanzen. "

    So die Vision des brasilianischen Gentechnikers Elibio Rech, die schon in wenigen Jahren Wirklichkeit werden kann. Nicht nur mit Masse, sondern auch mit Klasse wird ein erbitterter Kampf um Marktanteile geführt. Um die beste Baumwolle geht es, die längsten Samenfäden, das weichste Weich, das der Haut noch mehr schmeichelt als der Stoff des Konkurrenten. Die Ägypter beanspruchen seit langem, diese Wunderbaumwolle zu produzieren; die im Nildelta wachsende Art Gossypium barbera hat die längsten Fäden. Das lassen die Amerikaner nicht auf sich sitzen, die den Weltmeistertitel für ihre Sorte "Sea Island Cotton" reklamieren. Und natürlich erklärt auch Usbekistan, zweitgrößter Exporteur der Welt, die beste Baumwolle wachse genau dort. Noch mehr konkurrieren die Anbieter in aller Welt aber über den Preis. Und da sind die Voraussetzungen sehr unterschiedlich. In Mali, wo die Baumwolle auf kleinen Flächen von Hand geerntet wird, arbeiten ganze Familien auf den Feldern; die Lohnkosten sind gering. So ist es auch in China. In Brasilien trumpft man mit Riesenfarmen und gigantischen Maschinen auf, ebenso in den USA. Die USA verfügen darüber hinaus noch über einen ganz besonderen Trumpf:

    " Der mächtigste Spieler spielt mit gezinkten Karten. "

    Darunter versteht Orsenna die Subventionen, mit denen die amerikanische Regierung ihre Baumwollfarmer fördert und zugleich den Weltmarktpreis drückt, auf ein Niveau, das schwächeren Anbietern wie den westafrikanischen Staaten das Leben schwer macht. Orsenna hat sich die Verhältnisse in Mali und im benachbarten Burkina Faso genau angesehen. In Mali wird die gesamte Ernte von der halbstaatlichen Gesellschaft CMDT aufgekauft, zu Preisen, die angesichts der Konkurrenz zu hoch sind, die den Bauern zwar das Überleben erlauben, den eigenen Staat aber zu ruinieren drohen. Die Folge: Überschuldung, drohender Staatsbankrott, Auftritt der Weltbank. Deren einziges Rezept, wie Orsenna sarkastisch kommentiert: Privatisierung. Das würde das Ende der Familienbetriebe bedeuten, für viele von der Baumwolle lebenden Familien das Ende schlechthin. Zwischen der Fortsetzung des "Kolchosesystems", wie Orsenna es nennt, und einer "Raubprivatisierung", ebenfalls sein Ausdruck, gäbe es einen dritten Weg. Den hat das Nachbarland Burkina Faso eingeschlagen: Dort werden die Baumwollpflanzer in Genossenschaften zusammengefasst, die Anteile an der nationalen Gesellschaft zeichnen können. Sie sind an der Geschäftsführung beteiligt und können auf die Geschäftspolitik einwirken. Wie das genau funktioniert, erfährt man bei Orsenna nicht, aber allein die Richtung seiner Hinweise ist bedenkenswert. Bedenkenswert übrigens auch die Beobachtung, dass die billigen Textilien, die mit gutem Willen von wohltätigen Organisationen nach Mali und in die Nachbarstaaten geliefert werden, den Aufbau einer heimischen Textilindustrie verhindern. So bleiben die afrikanischen Baumwollstaaten auf dem Status des bloßen Rohstofflieferanten stehen; den höheren Profit, der aus der Weiterverarbeitung des "weißen Goldes" zu schlagen ist, machen andere. Die Chinesen machen es anders. Sie haben ihre eigene Baumwolle, und sie verarbeiten sie selber. Zum Beispiel in Datang, der Welthauptstadt der Socke. Erik Orsenna kann seine Faszination nicht verhehlen:

    " Hinter Datangs stillen Fassaden und seinen breiten ruhigen Strassen befinden sich mehrere tausend Firmen. Hinzu kommen viele Tausende mehr in den etwa zwanzig umliegenden Dörfern. Insgesamt kümmern sich zwölf- oder dreizehntausend Familienbetriebe ausschließlich um Socken. Man arbeitet nach Auftragslage. Und da es nie an Aufträgen mangelt, arbeitet man unaufhörlich. Häufig sieben Tage pro Woche und zwölf Stunden am Tag. Für ein Einheitsgehalt: tausend Yuan pro Monat (hundert Euro). Kost und Logis (in Schlafsälen) frei. Ein guter Chef gewährt einmal pro Jahr eine Woche Urlaub, damit man seine Verwandten am anderen Ende Chinas besuchen kann. "

    Pionierin dieser Entwicklung ist Frau Hong, die Königin der Socke. Ursprünglich war sie Lehrerin, schied dann aus dem Schuldienst aus, kaufte mit dem Ersparten ihrer Familie drei alte Maschinen und fing an, wieder mit allen Familienmitgliedern, Socken herzustellen. Sie kaufte den Rohstoff auf dem Markt in Haining, brachte bald auch den Nachbarn eine Lieferung mit, gegen Provision. Kaufte die nächsten Maschinen, neuere und größere Maschinen, machte noch mehr Profit. Heute beschäftigt sie 1000 Angestellte und produziert jedes Jahr 50 Millionen Socken. Und Frau Hong hat zahlreiche Nachfolger. Mit einem "Landwirtschaftskredit" können viele Chinesen eine kleine Maschine kaufen. Den Rohstoff bringt der Großhändler, der auch die fertigen Socken abnimmt. Ein Wirtschaftswunder auf dem Land. Hier vollzieht sich noch einmal, im rasenden Tempo und in sehr viel größeren Dimensionen, was vor zweihundertfünfzig Jahren in Europa mit kleinen Webstühlen begann: die Mechanisierung der Produktion, die Übertragung von immer mehr Handgriffen vom Menschen auf die Maschine.

    Orsennas historischer Blick - nicht umsonst ist er Autor einiger historischer Romane - führt zu faszinierenden Beobachtungen. Die Globalisierung ist zwar ein Phänomen unserer Zeit, und die Baumwolle vorzüglich geeignet, sich ihre Funktionsweise vor Augen zu führen. Aber gerade der Handel mit Baumwolle hat sich schon im 19. Jahrhundert in globalen Zusammenhängen vollzogen. Die Spinnereien im damals bereits hochindustrialisierten England verarbeiteten Baumwolle aus den USA. Als wegen des amerikanischen Bürgerkrieges der Nachschub ausblieb, mussten neue Produzenten her. Man baute sie in der Kolonie Indien auf und in Ägypten. Beide Länder gehören noch heute zu den größten Baumwollproduzenten der Welt. Aus Ägypten kommt eine Baumwollart von besonderer Weichheit. Sie stammt ursprünglich aus der Neuen Welt, entdeckt hat sie in einem Park in Kairo ein französischer Botaniker, den Anbau gefördert der Statthalter des Osmanischen Reiches, Mohamed Ali, eigentlich ein Albaner. Über diese Zusammenhänge gerät Erik Orsenna ins Schwärmen:

    " Ein sehr aufgeklärter albanischer Despot, ein Samenkorn, das, man weiß nicht, wie, von Barbados gekommen war, ein afrikanisches Flussdelta, ein französischer Botaniker, ein innerer Konflikt in Amerika, Fabriken in Lancashire... Wer kann da noch die Globalisierung ein neues Phänomen nennen. "

    Orsenna gerät nicht selten ins Schwärmen. Er hat sich in die Baumwolle verliebt, und er zeigt sich beeindruckt von großartigen Landschaften, die er kennen lernt, aber auch von den gigantischen Dimensionen ihrer Bearbeitung, ihrer Ausbeutung, ihrer Misshandlung. So ist es kein leichtes Los, schreibt er, als Fluss durch Zentralasien zu fließen.

    " Armer Amur-Darja! Wenn er sein Schicksal kennen würde, das ihn in der Ebene erwartet, würde er sich dann mit so viel Begeisterung von seinem heimischen Pamir herabstürzen? In der Gegend von Buchara nutzt man ihn, leitet ihn schon um, saugt ihn ab. Aber hier wird er blockiert, umgeleitet, deportiert, aufgeteilt, gevierteilt, eingekeilt, dann wieder befreit, von Neuem geteilt, gedemütigt, unterdrückt... entlang von Wasserwerken mit schwindelerregenden Massen (und ebensolcher Intelligenz). "

    Wenn es eine Gelegenheit zur Poetisierung des Schrecklichen und Banalen gibt, dann lässt Orsenna sie nicht vorübergehen, sondern greift beherzt zu. Er hat kein Sachbuch über die Baumwolle geschrieben, kein politisches Pamphlet gegen die Globalisierung. Dazu ist er zu sehr Realist - aber auch zu sehr Dichter. Er betrachtet und schildert, was ist; was geschehen sollte, muss sich der Leser selbst denken. Dieser hat immerhin am Ende dieser Reportagereise eine Menge gelernt, nicht nur über den Wunderstrauch selbst, sondern auch über Menschen rund um den Erdball, die von ihm, mit ihm und für ihn leben, ob dies ein amerikanischer Lobbyist ist oder ein Kleinbauer in Mali. Orsenna weiß, dass eine Reportage von Menschen lebt, und so gibt er den globalen Zusammenhängen immer wieder ein Gesicht - ein weißes, ein schwarzes, ein gelbes Gesicht.

    " Eine Weltreise fördert den Sinn für Unterschiede, sie lässt einen die Relativität erfahren und nährt die Skepsis. "

    Auch davon profitiert der Leser. Er wird nach der Lektüre des Buches vieles begriffen haben, über die Baumwolle, über Lobbyismus im nationalen Rahmen, über die zähe Fortdauer der Familie als Produktionseinheit, über ökologische Folgen entfesselter Ökonomie. Mit dem Wissen ist aber auch das Unwissen gewachsen, mindestens im gleichen Masse. Nach einfachen Lösungen wird der, der Orsenna auf seiner Reise aufmerksam begleitet hat, nicht verlangen. Dass Raubbau an fruchtbarem Boden, Vernichtung der Artenvielfalt, Versalzung und Vergiftung, die gigantische Wasserverschwendung - dass all das nicht so weiter gehen kann, daran kann aber auch kein Zweifel bestehen. "Weiße Plantagen" ist ein politisches Buch, indem es politisches Bewusstsein weckt, nicht, indem es in simple Parolen mündet. Es ist auch ein poetisches Buch, angenehm zu lesen, bei dem man sich nur manchmal etwas mehr Systematik gewünscht hätte, vielleicht auf Kosten manch überflüssiger Abschweifung. Dem Autor selbst hat dieses Buch übrigens wieder einen Preis eingebracht: Den Ulysses Award für die beste literarische Reportage. Um diese Auszeichnung konkurrieren Autoren und Journalisten weltweit. Sie ist selbst eine globale Angelegenheit.


    Erik Orsenna: Weiße Plantagen. Eine Reise durch unsere globalisierte Welt. Aus dem Französischen von Antoinette Gittinger und Uta Goridis.

    Verlag C. H. Beck, München 2007. 288 S., 18.90 Euro.