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Das Hochhaus als Webcomic
Scrollen bis zum Erdgeschoss

Das Innenleben eines Hochhauses entdecken und dabei ungeniert in jede Wohnung hereinschauen können. Diesen Traum hat sich die Comiczeichnerin und Architektin Katharina Greve mit ihrem Webcomic "Das Hochhaus" erfüllt. Im realen Leben hingegen wollte sie nie Hochhäuser bauen.

Von Marie Kaiser | 05.09.2017
    Ausschnitte aus Katharina Greves Hochhauscomic
    Nach zwei Jahren ist nun der Webcomic "Das Hochhaus" von Katharina Greve fertig geworden (Katharina Greve/avant-verlag)
    Ein DDR-Plattenbau der 60er-Jahre - so ungefähr könnte es von außen aussehen, das Hochhaus, das Comiczeichnerin Katharina Greve in den vergangenen zwei Jahren im Netz aufgebaut hat.
    "Es ist auf jeden Fall ein sehr tristes, graues Hochhaus."
    Mit der Höhe des Comic-Hochhauses kann die Platte aber nicht mithalten. 102 Stockwerke hat Katharina Greve gezeichnet. Vom Keller, in dem ein Paar im Stockdunkeln versucht, das Licht zu reparieren - bis zum Dach, auf dem die Tauben gurren.
    Katharina Greve ist auch Architektin – doch als solche würde es sie kaum reizen, ein Hochhaus zu entwerfen. Was die Comiczeichnerin interessiert, sind nicht Fassaden, sondern das, was dahinter passiert:
    "Ein Hochhaus hat den Vorteil, dass es eine extrem verdichtete Form von Leben ist und sich deswegen super eignet, um Geschichten und ganz viele unterschiedliche Themen auf engstem Raum zu erzählen."
    Das Erdgeschoss in Katharina Greves Hochhaus-Comic
    Das Erdgeschoss in Katharina Greves Hochhaus-Comic (Katharina Greve/avant-verlag)
    Wie bei einer technischen Zeichnung ist das Hochhaus aufgeschnitten und gibt Einblick ins Innere der Wohnungen: Küche, Flur, Wohnzimmer und Balkon bilden in jeder Etage einen kleinen Comic Strip.
    "Ich fand schon während des Studiums, dass so ein Längsschnitt durch ein Haus etwas von einem Comic hat. Dass die Wände und Decken, einzelne Panels und Bilder begrenzen und das war durchaus eine Inspiration für das Haus."
    102 Etagen mit lockeren Bezügen
    Wie in einem imaginären Fahrstuhl können sich Besucher des Comic-Wolkenkratzers durch die verschiedenen Etagen scrollen. Die Bewohner des Erdgeschosses müssen immer alle Pakete für die Nachbarn annehmen. Im 55. Stock schwingt ein Nacktputzer den Staubwedel und in Etage 64 wartet eine Wahrsagerin vergeblich auf Kunden. Katharina Greve steigt besonders gern im 10. Stock aus, da ist gerade eingebrochen worden.
    "Die Wohnung ist verwüstet - überall liegt Zeug rum. Der Mann steht in der Küche vorm geöffneten Küchenschrank und sagt: 'Tatsache, die Einbrecher haben nichts mitgenommen!' Im Wohnzimmer steht die verzweifelte Frau und sagt: 'Oh Gott, was sollen nur die Nachbarn denken?'"
    Zwischen den einzelnen Comic-Etagen und den Nachbarn, die darin wohnen, gibt es nur lockere Bezüge. In Etage 48 vermisst eine Frau ihren Mann und den Porree, den er einkaufen sollte. Wir als Besucher des Hochhauses wissen natürlich längst, dass er sich stattdessen bei seiner Geliebten im 32. Stock vergnügt.
    Ein neues Genre: die gestapelte Cartoon-Collage
    "Das Hochhaus" ist keine ausgefeilte Geschichte. Eher eine gestapelte Cartoon-Collage und damit für Katharina Greve ein ganz neues Genre.
    "Ich zeichne auf der einen Seite Graphic Novels und auf der anderen Seite Cartoons, und das ist jetzt eine Kombination aus beidem. Ich habe auf jeden Fall einen ganzen Stapel mit Notizbüchern mit sehr vielen Ideen, die eher für kurze Comicstrips reichen."
    Das 58. Stockwerk in Katharina Greves Hochhaus-Comic
    Ein Comic mit absurden Momenten und immer wieder auch aktuellen Themen (Katharina Greve/avant-verlag)
    Immer wieder hat Greve in ihrem Hochhaus-Comic aktuelle Themen aufgegriffen - ob Flüchtlinge, Klimawandel oder Wohnungsmangel. Jede Woche, eine neue Idee für eine neue Etage zu finden, hat ihr so manche Nachtschicht beschert.
    "Gerade wenn es um aktuelle Themen ging, da dann wirklich in der passenden Zeit auf die richtige Idee zu kommen, war manchmal schon schwierig. Mein Ziel war immer, dass die Etage spätestens am Dienstag früh um acht Uhr hochgeladen ist. Aber das bedeutete auch, dass ich da manchmal in der Nacht um vier Uhr noch saß und gezeichnet habe."
    Bald auch zum Blättern bis zum Dachgeschoss
    Nach zwei Jahren auf der Baustelle blickt Katharina Greve jetzt ein bisschen wehmütig, aber auch zufrieden auf ihr Hochhaus, das in den nächsten Wochen auch als Buch erscheinen soll. Doch wird durch das Buchformat nicht die ganze Idee des vertikalen Erzählens zerstört?
    "Ja, das dachte ich zuerst auch, aber wir haben, wie ich finde, eine sehr hübsche Lösung gefunden. Man kippt das Buch um 90 Grad und dann blättere ich mich langsam nach oben zum Dachgeschoss durch."
    Katharina Greve
    Die Comiczeichnerin Katharina Greve (Marcus Müller)
    Greve selbst wohnt übrigens in einem klassischen Berliner Altbau und würde nur ungern in ihr eigenes Hochhaus einziehen. Wenn sie sich allerdings für eine der Wohnungen entscheiden müsste, würde sie sich die 71. Etage aussuchen.
    "Da wohnt eine junge Frau, die ein wirklich psychedelisch eingerichtetes Zimmer hat mit einer großen pink-gelben Spirale an der Wand. Dieses Zimmer nennt sie nicht ihr Wohnzimmer, sondern ihr Wahnzimmer. Und da könnte ich mir das am ehesten vorstellen."
    Nach zwei Jahren ist nun der Webcomic "Das Hochhaus" von Katharina Greve fertig geworden. Das Buch zum Hochhaus erscheint am 18. September 2017 im avant-verlag.