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"Das ist ein solcher Schlingerkurs"

Die Bundesregierung will sich mit einem humanitären Einsatz in Libyen engagieren. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel glaubt, dass die Welt Deutschland nicht mehr verstehe. Und er kritisiert auch die Haltung des Innenministers zur italienischen Flüchtlingsfrage.

Sigmar Gabriel im Gespräch mit Dirk Müller | 11.04.2011
    Dirk Müller: Am Telefon ist nun SPD-Chef Sigmar Gabriel. Guten Morgen.

    Sigmar Gabriel: Guten Morgen!

    Müller: Herr Gabriel, kommt Gaddafi jetzt offenbar zur Vernunft?

    Gabriel: Das kann man nur hoffen. Ich hoffe, dass insbesondere auch die Blockade wirkt, auch die Ausfuhrblockade, damit er sich nicht immer wieder Waffen beschaffen kann. Und der Druck der Afrikanischen Union und der Einsatz der Afrikanischen Union, gerade mit dem südafrikanischen Präsidenten Zuma, der ist ungeheuer wichtig, weil das dann einen auch innerafrikanischen Druck gibt und nicht nur einen, bei dem man schnell sagen könnte: Ja, ja, der kommt ja vom Westen. Dieser hier kommt aus der Arabischen Liga, aus der Afrikanischen Union, und das ist, glaube ich, besonders wichtig.

    Müller: Ist das für den Westen akzeptabel, wenn Gaddafi an der Macht bleiben würde?

    Gabriel: Akzeptabel ist das garantiert nicht. Ich glaube auch, dass am Ende Gaddafi nicht derjenige sein wird, der für einen Neubeginn in Libyen stehen kann, zumal ja die Gefahr besteht, dass bei einer Befriedung der Situation nach kurzer Zeit er sein Gewaltregime fortsetzt. Also, das ist von uns nur schwer zu beeinflussen. Jetzt steht erst mal im Mittelpunkt, einen Waffenstillstand zu erreichen, denn unter nichts leiden die Menschen mehr als unter Krieg.

    Müller: Herr Gabriel, wir wollten reden über den kritisierten Kursschwenk der Bundesregierung, auch von Ihnen kritisiert, und der Haltung der Sozialdemokraten. Es geht um die Hilfsaktion, um die humanitäre Hilfsaktion der Europäischen Union. Sie haben die Kanzlerin kritisiert. Auf der anderen Seite wollen Sie mitmachen. Ist Opposition für Sie nur noch Rhetorik?

    Gabriel: Nein. Wir haben ja von Anfang an gesagt, dass wir natürlich bei der Hilfsaktion mitmachen. Wir haben nur gesagt, der Grund dafür, dass jetzt Herr Westerwelle einen humanitären Bundeswehreinsatz gefordert hat, wobei völlig offengeblieben ist, was ist eigentlich ein humanitärer Bundeswehreinsatz, der ist natürlich gewesen, dass sich Deutschland völlig isoliert hat durch die Abstimmung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über die Luftblockade. Angela Merkel und Guido Westerwelle haben gemerkt, niemand mehr versteht sie auf der Welt, weder in der Europäischen Union, noch in der NATO, noch im UN-Sicherheitsrat. Und wegen der totalen Isolation gab es dann das Angebot, na ja, bei humanitären Maßnahmen machen wir mit. Die standen nie außer Frage! Das Problem ist einfach, dass der Zickzack-Kurs der Regierung Deutschland in eine Lage bringt, die völlig unangemessen ist. Viele Menschen haben vorher auf Deutschland vertraut. Deutschland galt als verlässlicher und sicherer Partner. Und jetzt sozusagen auf der einen Seite zu sagen, ich enthalte mich der Stimme, ich habe keine Meinung zu dem Gaddafi. Dann zu sagen, aber wir wollen euch helfen, indem wir AWACS über Afghanistan einsetzen, statt zu sagen, wenn AWACS in Libyen gebraucht wird – das ist das Flugzeug-Überwachungssystem für den Luftraum -, dann machen wir das, dazu war sie dann wieder nicht bereit. Als Nächstes werden die Schiffe abgezogen, die wir brauchen, um eine Seeblockade durchzusetzen. Und am Ende steht ein Angebot über einen humanitären Einsatz. Ich meine, das ist ein solcher Schlinger-Kurs, den kann niemand mehr verstehen und so kann man keine Außenpolitik betreiben.

    Müller: Hätte es unter Ihrer Verantwortung keine Enthaltung im Weltsicherheitsrat gegeben und damit auch nicht diese Isolierung, von der Sie sprechen?

    Gabriel: Mit Sicherheit nicht. Wenn wir nicht überzeugt sind von einem Einsatz, siehe im Irak, dann stimmen wir dagegen. Das hat die SPD bewiesen. In diesem Fall wäre etwas anderes allerdings notwendig gewesen: Erstens alle Europäer beisammenzuhalten - Deutschland hat ja auch als einziges europäisches Land sich enthalten. Und dann Bedingungen für den Einsatz zu beschreiben. Dass man versuchen muss, diesen Gewalttäter zu stoppen, das war ja unstreitbar. Ich meine, wir hätten wegen der Lage der Bundeswehr daran kaum teilnehmen können. Wir stehen mitten in einer Bundeswehrreform, wir sind in vielen Ländern der Erde engagiert. Das hätte man aber sagen können und dann die Bedingungen für einen solchen Einsatz beschreiben. Der Einsatz ist ja auch einer der chaotischsten gewesen, den man so kennt aus der Geschichte, wo dann hinterher NATO, USA, Frankreich um die Führung gestritten haben. Das alles war vorher klar. Deutschland hätte das klar beschreiben müssen, Bedingungen formulieren und sich daran beteiligen, dass die Europäer mit einer Stimme sprechen. Stattdessen haben die Europäer mit unterschiedlichen Stimmen gesprochen. Und da ist Deutschland massiv dran beteiligt gewesen.

    Müller: SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier hat das bei uns im Deutschlandfunk etwas anders interpretiert. Er hat gesagt, die Enthaltung war in Ordnung.

    Gabriel: Es gibt in allen Parteien, auch bei uns, darüber Debatten, aber dass Deutschland sich dort isoliert hat, das hat Steinmeier nie für ein richtiges Verfahren gehalten. Und wir hätten eine völlig andere Haltung in diesem Sicherheitsrat einnehmen müssen. Und wenn wir am Ende sagen, Europa kann dabei nicht mitmachen, dann muss es Europa sein und nicht Deutschland.

    Müller: Herr Gabriel, heute beraten die Innenminister über die Flüchtlingsfrage, 20.000 nordafrikanische Flüchtlinge, die derzeit in Italien sind. Rom hat damit gedroht, Visa auszustellen, wenn die EU nicht hilft. Würden Sie helfen?

    Gabriel: Ich glaube jedenfalls, dass die Reaktion des CSU-Innenministers auch nicht eine ist, bei der man sagen kann, hier wird Europa geholfen. Wer da einfach brüsk sagt, seht zu, wie ihr klarkommt, der hat für mich ein seltsames Verständnis von europäischer Partnerschaft. Ich fände es richtig, wenn die Kommission die europäischen Staats- und Regierungschefs oder ihre Beauftragten bittet, zusammenzukommen, das Flüchtlingsproblem durch die EU-Kommission beurteilt wird und dann ein Vorschlag gemacht wird, wie man entweder Italien hilft bei der Versorgung und Aufnahme der Flüchtlinge, und wenn es noch mehr Menschen werden, darüber redet, was können wir eigentlich tun, um die in Europa aufzunehmen, aber übrigens befristet. Ich glaube, da hauen viele Menschen ab, die von den Ländern, auch Tunesien, noch keine richtige Stabilität erwarten, dass es wirklich stabil wird. Ich glaube, wir müssen, wenn wir Flüchtlinge aufnehmen, immer sagen, wir können euch für ein paar Jahre nehmen, wir können ein gemeinsames Ausbildungsprogramm machen, aber dann müsst ihr zurückgehen. Wir dürfen nicht das Signal setzen, Europa schließt die Tore. Wenn das passiert, werden immer mehr Menschen versuchen, doch noch in letzter Sekunde nach Europa zu kommen. Ich habe mal gesagt, bietet denjenigen, die in Tunesien ihre Ausbildung abschließen, die ein Studium machen, bietet denen für die nächsten 20 Jahre, von mir aus für die nächsten 30 Jahre an, dass sie für zwei Jahre nach Europa kommen können, oder drei Jahre, dass Tausende von Tunesierinnen und Tunesiern, die eine gute Ausbildung gemacht haben, hier fortgebildet werden und nach zwei, drei Jahren zurück in ihre Heimat gehen, um das Land aufzubauen.

    Müller: Herr Gabriel, das wird bei vielen der Flüchtlinge im Moment nicht der Fall sein. Das heißt, wenn ich Sie klar verstanden habe, Sie würden die deutsche Tür öffnen für die Flüchtlinge?

    Gabriel: Ich bin dafür, dass die europäische Tür geöffnet wird, erstens für Hilfe für Italien, damit sie die Flüchtlingsströme alleine besser bewältigen können. Und wenn es noch mehr Flüchtlinge gibt, dann muss Europa darüber reden, wie sie diese Flüchtlinge in Europa verteilen. Wozu sind wir in einer gemeinsamen Europäischen Union mit langen Außengrenzen, wenn wir dann sagen, jeder Staat ist alleine dafür verantwortlich. Das ist eine Renationalisierung von Politik, die wir leider in vielen Fällen in Europa erleben. Und es wäre einfach nötig, mehr zu tun, als solch einen frechen Spruch nach Italien zu schicken. Ich habe auch keine Sympathie für Herrn Berlusconi aus vielen anderen Gründen, aber es geht doch darum, den Italienerinnen und Italienern zu helfen bei der Bewältigung eines massiven Zustroms, die nicht peu a peu kommen, sondern in richtig großen Schüben. Und wenn die das nicht im eigenen Land können, wenn das immer mehr werden, dann muss es auch das Angebot der EU-Kommission geben, darüber zu reden, wie man die in Europa verteilen kann.

    Müller: Herr Gabriel, wir haben noch ein anderes Thema, nur noch zwei Minuten Zeit, dennoch: Die FDP-Basis in Niedersachsen fordert, gegen die Haltung der FDP-Spitze, wenn wir das richtig verstanden haben, Alternativen zum Endlager Gorleben zu erkunden. Sind Sie froh, dass es jetzt die FDP-Basis gibt?

    Gabriel: Es ist fast eine kleine Sensation. Erstmals in der Endlager-Debatte ist eine konservative Partei wie die FDP bereit zu sagen, so geht das nicht. Worum es ja geht, ist: Wir haben schon 2006 und -7 gesagt, hier sind die Kriterien für ein internationales Endlager, jetzt prüft mal zwei, drei Standorte in Deutschland, auch Gorleben, aber eben nicht nur Gorleben, wo der beste Standort sein könnte. Dazu muss man auch in Baden-Württemberg und auch in Bayern Standorte untersuchen. Das ist bisher immer von CDU/CSU und FDP verweigert worden und in Niedersachsen hat die FDP sich gegen ihren Vorstand, auch gegen Herrn Rösler, den neuen FDP-Vorsitzenden, durchgesetzt, indem sie sagt, nein, das ist der richtige Weg, den wollen wir gehen. Ich kann nur sagen, Hut ab, das ist eine mutige Entscheidung und auch die richtige Entscheidung.

    Müller: Muss die Endlager-Debatte Teil eines neuen Energiekonsenses sein?

    Gabriel: In jedem Fall. Wir können nicht weitermachen, egal, ob man für oder gegen Atomenergie ist. Beide Seiten brauchen ein Endlager. 2006 haben wir vorgeschlagen, wie das laufen soll. Wir wollen es so machen wie die Schweiz, Kriterien haben und dann mehrere Standorte dagegen prüfen. Das hat Frau Merkel damals brüsk abgelehnt, jetzt muss es Bestandteil eines Energiekonsenses werden.

    Müller: Jetzt könnten Sie, Sigmar Gabriel, schnell noch Norbert Röttgen applaudieren, hier heute Morgen im Deutschlandfunk. Er hat gesagt, Ende mit der Laufzeitverlängerung.

    Gabriel: Ja, das ist das Minimum. Ich meine, das ist die Grundlage für einen Energiekonsens. Wir müssen die neun Kraftwerke – nein, sieben Kraftwerke sind es -, die sieben Kraftwerke, die vom Netz sind, auch vom Netz lassen. Wir dürfen deren Laufzeiten nicht auf andere Kraftwerke übertragen. Und im Zeitraum zwischen 2017 und 2020 muss endgültig in Deutschland aus der Atomenergie ausgetreten werden. Aber die Bundesregierung muss dazu die ganzen Programme, die sie nach dem Regierungswechsel von der großen Koalition zur CDU/CSU und FDP alle gestrichen hat, Gebäudesanierung, Effizienzprogramme, Netzausbau und was es dort alles gegeben hat, die muss sie wieder hochfahren. Es wird jetzt viel teurer, als wenn der Schritt von Rot-Grün, von SPD und Grünen 2002, Schritt für Schritt aus der Atomenergie auszusteigen und Schritt für Schritt die Erneuerbaren aufzubauen. Wenn der durchgehalten worden wäre, dann wäre es preiswert und verträglich gelungen, den Umstieg bis 2020 zu schaffen. Jetzt hat es hektische Bewegungen gegeben, erst bis 2035 verlängern, jetzt auf 2020 zurückgehen, nichts davor gemacht, um das alles umzusetzen. Das wird jetzt sehr teuer und die Bundesregierung muss sagen, wo sie das Geld hernimmt.

    Müller: ..., sagt heute Morgen im Deutschlandfunk der SPD-Chef Sigmar Gabriel. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Gabriel: Vielen Dank! Alles Gute.