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"Das ist eine Barbarei, die wirklich ihresgleichen sucht"

Der grüne Außenpolitiker Omid Nouripour hat keine positiven Erwartungen an die angekündigte Rede des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Die EU fordert er auf, endlich wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um dessen Regime zu schwächen.

Omid Nouripour im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 20.06.2011
    Tobias Armbrüster: Aus Syrien bekommen wir seit Wochen nur sehr spärliche Informationen, aber die wenigen Bilder, die wir sehen können, meist verwackelt aufgenommen mit Handykameras und übers Internet verbreitet, sie sprechen eine deutliche Sprache.

    Syrische Soldaten im ganzen Land gehen brutal gegen die zumeist unbewaffneten Demonstranten vor und versuchen so, die Aufstände und Reformbewegungen in zahlreichen syrischen Städten zu ersticken. Vor allem in Städten und Dörfern im Norden des Landes rollen seit einigen Tagen die Panzer ein, viele Syrer flüchten deshalb in die benachbarte Türkei. Der syrische Präsident Assad hat nun für den Vormittag heute eine Rede an sein Volk angekündigt und ebenfalls heute werden sich auch die EU-Außenminister mit der Lage in Syrien befassen, bei ihrem Treffen in Brüssel.

    Mitgehört hat Omid Nouripour, Außenpolitiker bei den Grünen und verteidigungspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Nouripour.

    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Nouripour, was sind die Informationen, die Sie in diesen Tagen aus Syrien bekommen?

    Nouripour: Die Menschen sind extrem eingeschüchtert, es gibt wirklich, so muss man es nennen, eine Terrorwelle und es werden nicht nur diejenigen und ihre Familienangehörigen der gesamten Städte und Kommunen verurteilt, die protestiert haben oder auch nur daran gedacht haben, gegen dieses Regime zu protestieren, sondern auch andere, die sie unterstützt haben. Es gibt das Gerücht, dass ein Dorf in der Nähe der türkischen Grenze von Panzern angegriffen wurde, weil die Flüchtlinge auf dem Weg in die Türkei Lebensmittel dort erhalten haben, und das ist eine Barbarei, die wirklich ihresgleichen sucht.

    Armbrüster: Nun haben wir erfahren, dass Präsident Assad heute Vormittag eine Rede an sein Volk halten will. Was erwarten Sie von so einer Rede?

    Nouripour: Ehrlich gesagt nichts mehr. Wir haben das vor wenigen Wochen erlebt, an einem Tag wurden in einer Stadt mit 10.000 Einwohnern 700 Leute verhaftet, das ist eine wahnsinnig große Zahl, und am Tag danach hat Assad verkündet, es würde jetzt eine Generalamnestie geben für alle politischen Gefangenen.

    Frei gekommen ist niemand, weil alle, die politische Gefangene sind in dem Land, offiziell als Terroristen gelten und eben nicht als politische Gefangene. Also es geht hier um Wortklauberei und man kann den Eindruck haben, dass dieses Regime so langsam auch das Gefühl bekommt, dass der Schrecken tief sitzt in der Bevölkerung, sodass die Proteste jetzt auch weniger werden, was ja auch normal ist.

    Wir haben aber noch ein Problem, nämlich dass diese Regierung, Assads Regierung, sehr wohl bereit ist, um an der Macht zu bleiben, auch einen außenpolitischen Konflikt zu inszenieren. Wir haben es jetzt mehrfach erlebt an der Grenze zu Israel, als Proteste fingiert wurden, als die Grenze zu Israel auch tatsächlich von fingierten Protesten, inszenierten Protesten auch verletzt wurde.

    Also es kann gut sein, dass Assad sich heute hinstellt und eigentlich nur davon redet, dass der Protest ja ausschließlich vom Ausland gesteuert gewesen sei, nun niedergeprügelt wurde und niedergeschlagen wurde, und jetzt sei alles wieder gut. Also ich gehe davon aus, dass er in erster Linie heute darüber reden wird, dass das Ausland schuld ist.

    Armbrüster: Heißt das denn, Herr Nouripour, dass man mit Präsident Assad eigentlich gar nicht mehr verhandeln kann?

    Nouripour: Ich war ein bisschen verwirrt, als der deutsche Außenminister davon sprach, wir würden jetzt Sanktionen tatsächlich anstreben, um Reformen in Syrien zu erreichen. Welche Reformen wollen wir denn eigentlich, dass das Strafgesetzbuch in Syrien, an das sich kein Mensch mehr hält, vor allem natürlich die Staatsmacht nicht mehr hält, jetzt tatsächlich ein bisschen besser gefasst wird? – Ich glaube, dass das alles zu wenig ist.

    Wir haben wie gesagt bisher ausschließlich weiche Sanktionen - und auch andere, die die Bundesregierung bisher anstrebt, sind weiche Sanktionen -, das ist zu wenig. Wir reden hier über ein Land, das große Teile tatsächlich der gesamten Bevölkerung zumindest offiziell in der Armee versucht zu halten, mit Geldern, die einfach durch Export vor allem von Erdöl und Erdgas tatsächlich erreicht werden. Da muss man rangehen, wenn man will, dass dieses Regime geschwächt wird und die eigenen Leute nicht mehr so nahezu massakrieren kann tagtäglich.

    Armbrüster: Heißt das, der deutsche Außenminister ist viel zu zurückhaltend in der Syrienpolitik?

    Nouripour: Na ja, der deutsche Außenminister steht, glaube ich, nicht in meiner Jobbeschreibung, ihn zu verteidigen, und es ist auch nicht wirklich das Leichteste, Herrn Westerwelle zu verteidigen, aber der deutsche Außenminister ist zögerlich und extrem wenig mutig, aber ist damit nicht wirklich anders als die anderen Außenminister in der Europäischen Union.

    Das Problem ist, die EU steht gerade nach dem nicht wirklich zu Ende gedachten Einsatz der NATO, mittlerweile der NATO in Libyen, sehr zögerlich bei allem, was man an Druck entwickeln kann, da, und der Westerwelle ist da nicht anders als die anderen. Aber es gibt diverse Dinge, die man sonst noch machen kann. Wir haben zum Beispiel weiterhin ein funktionierendes Rückführungsabkommen mit Syrien, heißt wir schieben Leute in dieses Land ab.

    Das ist der helle Wahnsinn und das muss nicht nur in Deutschland jetzt sofort gestoppt werden, sondern auch darüber müssen sich mal die Außenminister der Europäischen Union unterhalten, ob wir nicht sofort – nicht nur als Symbol, sondern auch wirklich faktisch – europaweit sagen, wir schieben nicht mehr nach Syrien ab.

    Armbrüster: Moment! Aber, Herr Nouripour, das haben doch die deutschen Behörden am Wochenende bestätigt, dass diese Rückführungen zurzeit nicht mehr stattfinden.

    Nouripour: Na ja, dass sie zurzeit nicht stattfinden, ist sozusagen eines. Das andere ist ein Abkommen, was wir haben, was jederzeit aktiviert werden kann, wenn Syrien nicht mehr groß in den Nachrichten ist. Und noch mal: Es geht darum, dass wir dafür auch eine europaweite Lösung brauchen, damit die syrische Regierung auch versteht und auch endlich den Eindruck bekommt, die Europäer meinen es ernst.

    Armbrüster: Müssen wir der Türkei auch stärker unter die Arme greifen bei diesen Flüchtlingsbewegungen, die wir zurzeit aus Syrien verzeichnen?

    Nouripour: Also dass innerhalb weniger Tage zehntausend Leute an die Grenze kommen und die Türkei diese aufnimmt, ist etwas, was natürlich auch belastend ist, und natürlich müssen wir der Türkei helfen. Wir haben ja im Falle Italiens erlebt, dort wo die Europäische Union nicht hilft, ist ein Land dann relativ schnell bereit, mit der Ausrede zu kommen, ihr helft uns nicht, und auch, die Grenze zuzumachen. Das wäre im Falle Syriens mörderisch, und deshalb muss man natürlich der Türkei helfen, wo es geht.

    Armbrüster: Herr Nouripour, ich glaube, was sich bei so einem Gespräch immer ganz viele Hörer fragen ist: warum greift die NATO in Libyen ein, auch wenn dort nur angekündigt wird, dass es möglicherweise zu einem Massaker kommt, schickt sie ihre Flugzeuge hin, aber sie greift nicht in Syrien ein, obwohl wir dort seit Wochen Bilder sehen von Massakern und von Panzern, die mit schwerem Geschütz gegen Demonstranten vorgehen? Warum dieses Ungleichgewicht?

    Nouripour: Na ja, es ist eine Frage, die auch mich ein wenig ratlos lässt. Allerdings leite ich jetzt daraus nicht ab, zu fordern, dass die NATO jetzt in Syrien eingreifen muss. Der erste Unterschied ist: Es gibt ein völkerrechtlich gültiges Mandat für den Einsatz in Libyen. Das gibt es für Syrien nicht. Ich meine, da wird es aber auch schon abenteuerlich. Unter anderem gibt es dieses Mandat für Syrien nicht, weil die Chinesen und die Russen nach Libyen sagen, wir machen nicht weiter. Also wenn es zeitlich anders herum wäre, dann kann es gut sein, dass heute die NATO in Syrien unterwegs wäre und in Libyen eben nicht mehr.

    Also wir haben hier es zu tun mit einer völligen Abstinenz eines internationalen Regimes, das tatsächlich in einem solchen Fall einschreitet und dem Massaker gegenüber der Zivilbevölkerung auch Einhalt gebietet. Es gibt keine Mechanismen und es gibt auch in der internationalen Gemeinschaft keine Kapazitäten, damit man wirklich zuverlässig darauf bauen kann, dass ein Massenmord an der Zivilbevölkerung irgendwo verhindert wird. Es ist sehr vieles dabei, was nach Zufall aussieht.

    Armbrüster: Was erwarten Sie denn vom Treffen der EU-Außenminister heute in Brüssel, auch wenn die möglicherweise nicht über ein militärisches Eingreifen nachdenken? Was könnten die denn heute beschließen?

    Nouripour: Naja, die werden heute Sanktionen beschließen, die dann wiederum heißen, weitere 30 Leute aus dem Regime werden an ihre Konten in Europa nicht rankommen. Das tut Einzelpersonen weh, aber es schwächt nicht insgesamt, vor allem schnell schwächt es nicht dieses Regime. Deshalb wäre es notwendig, wenn man darüber nachdenkt, wie man tatsächlich jenseits militärischer Mittel, die zurzeit überhaupt nicht anstehen – noch mal: kein völkerrechtliches Mandat, keine Kapazitäten irgendwo zu sehen für einen solchen Einsatz -, aber wie man jenseits davon tatsächlich schnellstens helfen kann, damit den Menschen in Syrien geholfen werden kann.

    Ein einziges wirklich kleines Beispiel ist: wir haben ja ganz wenig Bilder aus Syrien. Das wenige, was wir haben, sind ja mobile Telefone, die auf der Straße verwackelt irgendwelche Bilder tatsächlich geschafft haben aufzunehmen. Wir müssten mal überlegen, wie wir technisch den Menschen helfen können, damit sie sehr genau und sehr detailliert berichten, was in ihrem Land eigentlich gerade passiert.

    Armbrüster: Heute Morgen hier im Deutschlandfunk war das Omid Nouripour, Außenpolitiker von Bündnis 90/Die Grünen. Besten Dank für das Gespräch, Herr Nouripour.

    Nouripour: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.