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"Das ist eine Zäsur für unser Land"

Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kritisiert, dass Städte wie Duisburg und Essen eine Großveranstaltung wie die Loveparade "mit ihren eigenen Bordmitteln" stemmen müssen oder wollen. Dies sei möglicherweise eine Überforderung.

Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 27.07.2010
    Jasper Barenberg: War das tödliche Ende der Loveparade in Duisburg eine absehbare Katastrophe? Diese Frage steht im Raum. Am Tag drei danach mehren sich die Hinweise und die Vorwürfe, die Sicherheit habe bei der Planung der Veranstaltung nur eine untergeordnete Rolle gespielt, Bedenken von Fachleuten soll die Stadt bewusst ignoriert haben. All das wird aufzuklären sein und die Frage bleibt: Sind Städte von der Größe Duisburgs mit Großveranstaltungen von der Art der Loveparade grundsätzlich überfordert? Brauchen wir neue, brauchen wir strengere Regeln für solche Veranstaltungen in ganz Deutschland? Am Telefon begrüße ich jetzt den innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, einen schönen guten Morgen, Dieter Wiefelspütz!

    Dieter Wiefelspütz: Guten Morgen, Herr Barenberg!

    Barenberg: Herr Wiefelspütz, wurde am Sonntag auch das Vertrauen in Deutschland erschüttert, dass Veranstaltungen dieser Größenordnung in der Regel sicher und für alle Beteiligten ablaufen?

    Wiefelspütz: Ich denke schon, dass danach alles in einem anderen Licht gesehen wird, auch von unserer Bevölkerung. Das ist eine Zäsur nicht nur für Duisburg, nicht nur für Nordrhein-Westfalen, sondern ich denke, die Tragödie von Duisburg hat Aufmerksamkeit erlangt in ganz Deutschland und wird auch entsprechend behandelt und Konsequenzen haben müssen.

    Barenberg: Nun gibt es haufenweise Hinweise darauf, dass Warnungen missachtet wurden, dass auf Mahnungen nicht gehört wurde, und es gibt Hinweis auf Druck, der ausgeübt wurde auf der anderen Seite auf Mitarbeiter der Stadtverwaltung, dass diese Veranstaltung unbedingt stattzufinden hat. Wir haben heute Morgen gelernt, dass erst am Tag selber und zwar wenige Stunden vorher die letzte Genehmigung die Unterschrift des Oberbürgermeisters bekommen hat. Spricht das alles nicht insofern eine deutliche Sprache, als Städte wie Duisburg überfordert sind mit solchen Veranstaltungen?

    Wiefelspütz: Also, einerseits bin ich sehr geneigt, Ihnen recht zu geben, weil die Eindrücke, auch die Fernsehbilder, auch das, was an Details ans Tageslicht kommt, eine deutliche Sprache spricht. Andererseits weiß ich aus Erfahrung dass uns die Aufarbeitung dieser Tragödie noch Monate – möglicherweise in Einzelfällen auch noch Jahre – beschäftigen wird. Es ist gut und richtig, dass die Staatsanwaltschaft dort jetzt ermittelt und sicherlich auch mit hohem Tempo und hohem Druck, um die gesamten Vorfälle aufzuarbeiten. 20 Tote und über 500 Verletzte, viele, viele Menschen, die das nie vergessen werden, was sie da erlebt haben, das ist eine Zäsur für unser Land.

    Barenberg: Kann man eigentlich auch in gewisser Weise sagen, Herr Wiefelspütz, dass die Stadt auch allein gelassen wurde mit einer Veranstaltung dieser Größenordnung? Das Sicherheitskonzept ist möglicherweise ja mit abgestimmt worden mit dem Innenministerium, aber dort, hat man den Anschein, gab es gar keine Art von Aufsicht über eine Veranstaltung eben von dieser Größe. Ist das die Regel in Deutschland?

    Wiefelspütz: Also, für diese Veranstaltungen sind, also für große Volksfeste, wenn ich das mal so sagen darf, das sind Veranstaltungen, die nach den Gegebenheiten des jeweiligen Bundeslandes ablaufen und abgewickelt werden. Sicherlich sind auch bundesrechtliche Vorschriften einzuhalten, aber das sind Veranstaltungen, die in lokaler, örtlicher Verantwortung durchgeführt werden. Das wird man neu überdenken müssen, denn ich frage mich selber: Wie soll denn eigentlich eine mittelgroße Großstadt wie Duisburg in der Lage sein, eine Millionen-Veranstaltung zu stemmen? Also, ich habe da jetzt keine perfekte Antwort drauf, aber stellen Sie sich bitte mal vor, dass in dem Ballungsraum Ruhrgebiet, in Dortmund solche Entscheidungen getroffen worden sind, in Bochum – dort hat man die Loveparade abgesagt –, Essen, Duisburg, und alle diese Städte müssen das im Grunde mit ihren eigenen Bordmitteln stemmen oder wollen das mit ihren eigenen Bordmitteln stemmen. Ich denke, das ist eine riesige Herausforderung und möglicherweise auch eine Überforderung. Und deswegen wird man auch überlegen müssen, ob solche extremen Großveranstaltungen mit Hunderttausenden von Menschen, mit Millionen von Menschen möglicherweise sogar, ob die überhaupt in der Verantwortung einer einzelnen Stadt genehmigungsfähig sind oder ob nicht dort andere Regeln eingreifen sollten. Das sind allerdings Überlegungen, die müssen auch erst reifen. Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass möglicherweise eine Stadt wie Duisburg in jeder Beziehung überfordert war, um solch eine Veranstaltung zu stemmen, und einfach die Reife, die Klugheit nicht da war, zu sagen, das packen wir nicht und dann lassen wir es besser.

    Barenberg: So sieht wohl auch die neue Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen, Hannelore Kraft, sie hat vorgeschlagen, die Verantwortung für die Sicherheit in die Hände des jeweiligen Landesinnenministeriums zu legen, dafür spricht sich im Übrigen auch die Polizeigewerkschaft aus. Wäre das ein Schritt in die richtige Richtung?

    Wiefelspütz: Das könnte man bei Großveranstaltungen überlegen. Das ist eine Entscheidung des Landesgesetzgebers. Hier in Duisburg war es ja offenbar so, dass es zwei Verantwortungsträger gab, alleine zwei oder nur zwei: nämlich der Veranstalter selber, eine private Firma, und die Genehmigungsbehörde war die Stadt Duisburg. Und was sie dann gemacht haben, war ihre Verantwortung. Und damit waren sie wohl offenbar wirklich massiv überfordert und von daher ist die Frage: Müssen wir nicht jemanden haben, der draufschaut, der übergeordnet ist? Das könnte das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen sein, das könnte ein Regierungspräsident sein, der so etwas regelt, um dort eben halt auch das Know-how zu bündeln. Ich stelle mir einfach auch vor, dass das Know-how für eine solche Großveranstaltung nicht beliebig in fünf, acht oder zehn Städten in Nordrhein-Westfalen gleichzeitig vorgehalten ist. Ich stelle mir das extrem schwierig vor. Stellen Sie sich bitte mal vor, Sie oder ich, wir hätten die Verantwortung für solch eine Großveranstaltung mit 500.000 Menschen! Da brauchen Sie ganz, ganz viele Leute, die richtig Ahnung davon haben, so etwas praktisch umsetzen zu können. Es ist kein Vorwurf und kein Mangel, wenn solche Fähigkeiten nicht in jeder Stadt vorhanden sind, man muss nur nun begreifen, dass man es dann nicht schultern darf oder nicht wollen darf, solch eine Veranstaltung. Insoweit ist die Überlegung sicherlich erwägenswert, ob man hier nicht eine Genehmigungsbehörde oben drauf setzt, wo dann auch solche Fachkompetenz gebündelt werden kann, die dann einmal für ganz Nordrhein-Westfalen vorhanden ist.

    Barenberg: Planen Sie konkrete Schritte in diese Richtung, dies zum Schluss ganz kurz, Herr Wiefelspütz?

    Wiefelspütz: Ich bitte sehr um Verständnis, ich bin Bundespolitiker. Letztlich ist das eine landespolitische Entscheidung. Aber es wird in ganz Deutschland darüber geredet werden und das, was hier in Nordrhein-Westfalen passieren wird,8 auch als Reaktion darauf, wird möglicherweise auch Konsequenzen haben oder Vorbildfunktion für ganz Deutschland. Ich denke, dass das nicht nur eine landespolitische Angelegenheit ist, sondern die Innenministerkonferenz wird sich damit auseinandersetzen müssen. Und insoweit ist es dann auch eine bundesweite Angelegenheit.

    Barenberg: Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Dieter Wiefelspütz heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Wiefelspütz!

    Wiefelspütz: Danke!