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"Das ist für mich ein hoffnungsvolles Zeichen"

Das von US-Präsident Barack Obama angeordnete Aussetzen der im Gefangenenlager Guantanamo laufenden Verfahren hat die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger als positiven Schritt gewertet. Damit könne Obama den Weg für ordentliche Verfahren ebnen. Deutschland und die Europäische Union forderte sie auf, unschuldige Menschen aus Guantanamo aufzunehmen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Jochen Spengler | 21.01.2009
    Jochen Spengler: Wenn es ein Symbol für die Hybris der US-Präsidentschaft George W. Bush's gibt, für ihren Verrat an den ureigenen amerikanischen Idealen der Freiheit und der Herrschaft des Rechts, dann ist es das Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba. Dort sperrten die USA nach dem 11. September 2001 bis zu 800 Terrorverdächtige ein, lange Jahre ohne Anklage oder Verfahren. Barack Obama hat versprochen, das Lager, in dem derzeit noch 250 Insassen festgehalten werden, zu schließen. Den möglicherweise ersten Schritt dazu hat er nun eingeleitet.

    Das Problem mit Guantanamo ist nicht, dass dort auch Terroristen einsitzen dürften; das Problem ist, dass dort eben auch gänzlich Unschuldige saßen oder noch einsitzen könnten - der Uigure Abu Bakr etwa, der aus Angst vor der chinesischen Polizei im Jahr 2000 seine Heimat verließ.

    Wenn Obama das international umstrittene Lager Guantanamo wirklich schließen lassen sollte, wohin werden dann die Insassen entlassen? In manche ihrer Heimatländer können sie aus Menschenrechtsgründen nicht zurückkehren. Und wenn das arme Albanien Menschen aufnimmt, sollte dann nicht auch das reiche Deutschland dafür offen sein? Darüber ist in der Bundesregierung ein Streit entbrannt.

    Am Telefon ist nun die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Guten Tag, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich grüße Sie, Herr Spengler.

    Spengler: US-Präsident Obama will also die Verfahren vor dem Guantanamo-Militärtribunal aussetzen. Was bedeutet das, was heißt das?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Er will damit zunächst einmal erreichen, dass es in den nächsten drei Monaten keine Entscheidungen dieser sehr umstrittenen Militär-Sondergerichte geben wird - also weder Verurteilungen, noch andere Entscheidungen -, denn diese Militär-Sondergerichte halten sich ja nicht an die gängigen Mindeststandards von fairen Bedingungen in Prozessen.

    Spengler: Es könnte ja nun irgendwie auch ein Freispruch dabei herauskommen. Das heißt, dass die Insassen, die dort drin sind, auf jeden Fall länger drin bleiben müssen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir wissen nicht, auf welcher Aktenlage dort entschieden wird, aber man muss doch davon ausgehen, dass aufgrund der Art der Verfahren, wie sie geführt werden und wie die Bedingungen dafür sind, damit zu rechnen ist, dass es wahrscheinlich in der allermeisten Zahl der Fälle dann doch zu einer Verurteilung kommen könnte. Und wie gesagt: Die Bedingungen in diesen Verfahren, die genügen eben nicht rechtsstaatlichen Anforderungen. Und nachher einmal getroffene Entscheidungen wieder weg zu bekommen, ist natürlich sehr viel schwieriger, als jetzt eine Grundlage zu schaffen, dass dann natürlich möglichst zügig weitere Schritte gegangen werden, um Guantanamo zu schließen, und mögliche Verdächtige dann den ordentlichen Bundesgerichten in den Vereinigten Staaten zuzuweisen.

    Spengler: Dieser Beschluss ist auf jeden Fall für Sie ein hoffnungsvolles Zeichen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Das ist für mich ein hoffnungsvolles, ein gutes Zeichen. Er macht damit ganz klar deutlich: er will nicht, dass die derzeitige Politik weitergeht, er will hiermit ein Zeichen des Stopps setzen. Aber es ist einfach schwierig. Er kann nicht sagen, wir beenden alle Verfahren und alle, die dort angeklagt sind, sind unschuldig und es wird keine weiteren Verfahren geben.

    Spengler: Warum geht das nicht?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Weil es bestimmt bei den jetzt noch 245 Insassen in Guantanamo ja wirklich Verdächtige gibt, gegen die auch Fakten und Beweise vorliegen können, die jedenfalls einer Klärung in einem ordentlichen Gerichtsverfahren bedürfen. Deshalb, denke ich, ist es richtig, jetzt so mit einer sehr schnellen ersten Entscheidung vorzugehen und sich damit alle Möglichkeiten für die dann wichtigen politischen Entscheidungen zu schaffen.

    Spengler: Wie könnte es dann weitergehen? Sie haben es schon ein bisschen angedeutet. Aber was wäre dann der zweite Schritt?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Der zweite Schritt ist, einmal natürlich die Wege zu schaffen, dass da, wo wirklich Verdachtsmomente vorliegen, ordentliche Gerichtsverfahren einzuleiten - endlich, nachdem das teilweise fünf, sechs oder bis zu sieben Jahre nicht der Fall gewesen ist.

    Spengler: Was wäre der Unterschied zwischen den ordentlichen Gerichtsverfahren und dem, was wir in der Vergangenheit erlebt haben?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Dass dort die Angeklagten volle Rechte haben, mit ihren Anwälten natürlich anwesend sind, natürlich auch entlastende Beweismomente vorgelegt werden, und dann in dem Verfahren in Amerika wirklich im Ergebnis auf der Grundlage einer allumfassenden Tatsachenermittlung abgewogen und dann entschieden wird. Das ist ja gerade bei diesen Verfahren, die es bisher hier jetzt gegeben hat, überhaupt nicht sichergestellt.

    Spengler: Nun ist ja generell das Problem: wie soll ein Rechtsstaat mit Terrorverdächtigen, die möglicherweise sogar Selbstmordanschläge planen, aber natürlich naturgemäß noch nicht begangen haben, umgehen? Wie kann er sie aus dem Verkehr ziehen?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Wenn es keine Anhaltspunkte, Beweise, mindestens mal haltbare Indizien gibt, dass hier ein Vorwurf für eine Straftat oder für die Vorbereitung einer Straftat gegeben ist, dann können sie somit Unverdächtige und dann ja auch noch in dem Moment Unschuldige nicht einsperren. Das geht nicht. Das geht in keiner Rechtsordnung. Das geht nicht nach den internationalen Konventionen, sondern sie brauchen hier wirklich die Anhaltspunkte, dass sie dann, wenn sie nichts vorliegen haben, nichts, dass zum Beispiel ein Sprengstoffanschlag konkret vorbereitet wird. Wenn sie das haben, haben sie eine Vorbereitungshandlung für eine Straftat und das kann dann die Grundlage für ein Strafverfahren sein. Wenn sie aber sonst nichts haben, dann können sie Menschen auch nicht einsperren. Sie können, wenn sie sich frei bewegen, sie mit den Möglichkeiten, die Verfassungsschutz oder Nachrichtendienste in den jeweiligen Ländern bieten, auch beobachten, denn das ist ja gerade die Aufgabe, hier zu schauen: wo gibt es Gefährdungen, weit im Vorfeld von Anschlägen und konkreten Straftaten? Aber sie können sie nicht wegsperren.

    Spengler: Angenommen, Guantanamo würde geschlossen. Wo sollen die Leute hin? Sollen sie auch in Deutschland aufgenommen werden?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin der Meinung, dass man jetzt von Deutschland aus auch in der Europäischen Union dann gemeinsam den amerikanischen Präsidenten unterstützen muss - darin, dass er das macht, was gerade wir in Deutschland, alle Parteien, die Bundesregierung, immer eingefordert haben, dieses Guantanamo darf es eben nicht weiter geben. Dazu gehört meiner Einschätzung nach auch, jetzt auf alle Fälle Offenheit zu zeigen, Offenheit zu zeigen bei der Bewältigung der schwierigen großen Probleme, die es gibt, wenn dann Guantanamo geschlossen ist und es dort Unschuldige gibt - und wir alle kennen ja auch Einzelfälle, die uns von amerikanischen Anwälten vorgetragen worden sind, wo überhaupt nichts vorliegt an Verdachtsmomenten -, dann auch damit beizutragen und zu helfen, dass diese Menschen frei leben können.

    Spengler: Ganz kurze Frage mit der Bitte um eine klare Antwort. Offenheit heißt, wir nehmen auch Leute auf aus Guantanamo?

    Leutheusser-Schnarrenberger: Ja. Letztendlich heißt das, dass wir, hoffentlich in einem gemeinsamen Vorgehen der Europäischen Union, auch unverdächtige, unschuldige Menschen aufnehmen, und es ist etwas unwürdig, wenn sich die Bundesregierung jetzt am ersten Tag nach dem Amtsantritt von Obama darüber streitet.

    Spengler: Die FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Danke für das Gespräch, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.

    Leutheusser-Schnarrenberger: Danke, Herr Spengler.