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"Das ist kontraproduktiv"

Für die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, ist das neue Spitzenpersonal der Europäischen Union eher blass: Offensichtlich wollten die Staats- und Regierungschefs keine starken Leute, so Harms. Dennoch hätten sich "schon öfter blasse Leute erstaunlich entwickelt".

Rebecca Harms im Gespräch mit Gerd Breker | 20.11.2009
    Gerd Breker: Die EU-Staats- und -Regierungschefs haben bei ihrem Sondergipfel den belgischen Regierungschef Herman Van Rompuy zum neuen ständigen EU-Ratspräsidenten ernannt. Die britische EU-Handelskommissarin Catherine Ashton, sie wird neue EU-Außenministerin. Der französische Präsident Sarkozy nannte die Wahl Van Rompuys eine ausgezeichnete Wahl. Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßte die einstimmigen Beschlüsse des Sondergipfels. Es war ja wohl auch ihrer beiden Vorentscheidung. Auch US-Präsident Barack Obama hat dem neuen EU-Führungsduo zu seiner Ernennung gratuliert. Die britische EU-Handelskommissarin Catherine Ashton wird also neue EU-Außenministerin. Doch wer ist diese relativ unbekannte Persönlichkeit, die den ehemaligen Premierminister Tony Blair mal so eben ausgestochen hat? Großbritannien ist also dabei, bei der prominenten Besetzung der Posten der Europäischen Union, und zwar in der ersten Reihe. Wie sieht man das in dem sonst ja so euroskeptischen Großbritannien?
    Am Telefon bin ich nun verbunden mit Rebecca Harms. Sie ist die Vizepräsidentin der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament und Sprecherin der deutschen grünen Europaabgeordneten. Guten Tag, Frau Harms!

    Rebecca Harms: Guten Tag. Ich muss Sie korrigieren: Ich bin die Vorsitzende der Fraktion der Grünen im Europäischen Parlament, zusammen mit Daniel Cohn-Bendit.

    Breker: Nicht die Vizepräsidentin?

    Harms: Ja. Als einzige Frau spiele ich da in der ersten Reihe und deswegen, glaube ich, habe ich mich auch so sehr für weibliche Kandidatinnen in der europäischen Politik engagiert.

    Breker: Mit anderen Worten, Frau Harms, das beste an dieser Personalentscheidung ist die Tatsache, dass eine Frau dabei ist?

    Harms: Ich bin das heute Morgen schon öfter gefragt worden und ich sehe das natürlich auch mit gemischten Gefühlen. Es gab stärkere Kandidatinnen als Frau Ashton, aber ich bin auch nicht bereit zuzulassen, wenn der Europäische Rat insgesamt nur blasse Kandidatinnen unterstützt, bei Männern und bei Frauen, dass dann die Blässe oder das Nichtprofil bei den Frauen härter bewertet wird als bei den Männern. Auch Herr Van Rompuy, hat mir mein Taxifahrer heute Morgen in Brüssel noch gesagt, sei für ihn ein Nobody, er habe von diesem Mann noch nie gehört.

    Breker: Blasse Persönlichkeiten, graue Persönlichkeiten, Nobodys, was lernen wir daraus? Die Staats- und Regierungschefs, sie wollen einfach keine Konkurrenz?

    Harms: Auf jeden Fall ist offensichtlich der Beginn der Ära der Politik auf der Grundlage des Vertrages von Lissabon nicht unbedingt der Moment, an dem die Staats- und Regierungschefs in Europa sagen, jetzt wollen wir starke Leute, die die Integration, die stärkere gemeinsame Politik vorantreiben, und das ist nicht schön. Das ist kontraproduktiv. Das Europäische Parlament, zu dem ich gehöre, ist dann, glaube ich, die Kraft, die an dieser Stelle dagegensteuern muss.

    Breker: Das Signal dieser Personalentscheidung bleibt grau, bleibt schwach. Ist das - Sie haben es angesprochen - wirklich im Sinne des Lissabon-Vertrages?

    Harms: Ich muss zugeben, unter den Abgeordneten ist das auch umstritten, aber viele in meiner Fraktion sind der Auffassung, dass ein Präsident des Rates wirklich ein Präsident des Rates sein soll und nicht eine Art moderierender Vorsitzender von Ratsrunden. Wir haben mit großen Herausforderungen für die Europäische Union zu tun. Wir gehen jetzt demnächst nach Kopenhagen in die letzte Runde, angeblich ursprünglich geplant letzte Runde der Weltklimaverhandlungen. Wir sind in sehr schwierigen Verhandlungen zwischen Europäischer Union und Russland zum Beispiel über eine andere gemeinsame Politik. Und immer wieder ist es so, dass in sehr schwierigen Politikfeldern die Europäische Union eben nicht einheitlich auftritt. Ein Ratspräsident hat auch die Aufgabe, da für Vereinheitlichung zu sorgen, muss auch stark sein gegenüber den Regierungen. Sonst werden wir eher wieder gemeinsam scheitern, als gemeinsam vorwärts kommen.

    Breker: Frau Harms, Henry Kissinger war es, der einst eine Telefonnummer wollte für einen europäischen Außenminister. Nun hat er diese Nummer vermutlich. Aber warum sollte er sie anwählen?

    Harms: Das ist die Frage, die sich wahrscheinlich viele stellen, aber das ist eben genau der Punkt. Die Staats- und Regierungschefs legen eben größten Wert darauf, dass sie angerufen werden beziehungsweise ihre Außenminister, und das steckt hinter dieser Entscheidung für Personen, die ihr Profil in der europäischen Politik erst noch finden müssen. Ich würde aber nicht sagen, dass das unmöglich ist. Es haben sich schon öfter blasse Leute erstaunlich entwickelt, gerade weil ich da zu Frau Ashton immer wieder gefragt worden bin. Ich meine, ich komme aus Deutschland, ich habe eine Angela Merkel kennen gelernt, die auch als graue Maus gegolten hat. Da kann sich heute, glaube ich, kaum noch jemand dran erinnern.

    Breker: Und Angela Merkel hat heute - die Hörer konnten es hören - erklärt, dass diese Entscheidung etwas damit zu tun hat, dass Europa eben halt 27 Stimmen unter einen Hut bringen muss, und diese Entscheidung musste ja einstimmig fallen. Sie haben es eben schon angedeutet, Frau Harms: Was sind denn die großen, die nächsten Herausforderungen, die jetzt der Ratspräsident und seine Außenministerin meistern müssen?

    Harms: Tatsächlich glaube ich, dass im Zusammenhang mit der Klimapolitik auf Brüssel zukommt, kann die Union bei dieser Entscheidung wirklich im internationalen Rahmen einheitlich auftreten. Wir haben, nachdem wir das europäische Klimapaket verabschiedet haben, dann hinterher festgestellt, dass die Einheitlichkeit zwischen Ost und West überhaupt nicht vorhanden ist. Das ist eine ganz entscheidende Frage. - Die Frage, wie es mit der Erweiterung der Europäischen Union weitergehen soll, ist eine wichtige Frage. Die Staats- und Regierungschefs sind dazu sehr, sehr unterschiedlicher Auffassung. Das Verhältnis der Europäischen Union zum Rest der Welt, die Strategien für die Außen- und Sicherheitspolitik. Ich meine, wir haben vor einigen Jahren diesen großen Konflikt zwischen dem alten Europa und denjenigen, die sich mit Tony Blair George Bush angeschlossen haben, geführt. Wir haben eine Menge grundsätzlicher Fragen zu klären und mir wäre es sehr viel lieber gewesen, die Staats- und Regierungschefs hätten nicht den Kopf in den Sand gesteckt, so als würde der Lissabon-Vertrag eben nicht kommen - man hat ja ein bisschen den Eindruck -, sondern hätten wirklich mal gesagt, was sind die Anforderungen, was muss die Europäische Union bewältigen, und hätten dann entsprechend dieser Anforderungen auch gesagt, für die und die Aufgaben haben wir die und die Leute, können wir uns darauf verständigen, statt dann irgendwie wieder diesen Quatsch zu machen mit den Parteienfamilien, Links-Mitte und Rechts-Mitte, und aus beiden Parteienfamilien muss dann einer gefunden werden.

    Breker: Nun ist es gestern Abend so geschehen. Das waren die Entscheidungen für die erste Reihe. Wie sieht es denn mit der unteren Ebene aus? Ist denn da Deutschland, ist da Frankreich dabei und ist das das Personal, was ja die eigentliche Arbeit machen soll, das vielleicht für Fortschritte sorgen kann?

    Harms: Heute wird überall berichtet, dass Deutschland ja nun mehr Wert darauf legen wird, wichtige Beamtenpositionen zu besetzen. Da waren früher viele andere Nationen interessierter und haben sich anders aufgebaut, als die Deutschen das getan haben. Aber das ist natürlich nicht der Beitrag zur Transparenz und Demokratisierung gemeinsamer europäischer Politik. Das zweite - und das ist ja die große Aufgabe, die dann jetzt noch vor Kommissionspräsident Barroso steht: wir müssen ja noch die Europäische Kommission dann ins Leben rufen und auch da kann man sehen, dass insbesondere ein Land wie Deutschland nicht mit Spitzenpersonal, schon gar nicht mit Spitzenfrauen in Brüssel präsent sein will. Ich finde das sehr bedauerlich, dass Deutschland sich für Herrn Oettinger entschieden hat, wo doch offensichtlich auch die sehr kompetente Ursula von der Leyen unbedingt nach Brüssel wollte.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Rebecca Harms. Sie ist Präsidentin der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament. Frau Harms, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Harms: Gern geschehen! Auf Wiederhören!