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"Das ist lernendes Beobachten"

Wenn die Zahlen keine Steuersenkungen zulassen, kann die FDP eine Abkehr ihres Kurses auch argumentativ begründen, meint Karl Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen. Er hält eine Kampagne über Steuerfragen heutzutage nicht mehr für mehrheitsfähig - und setzt in dieser Diskussion auf den Bundesfinanzminister.

Karl Rudolf Korte im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.01.2010
    Tobias Armbrüster: Zunächst einmal geht es jetzt um Zahlen, die nachdenklich stimmen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat heute aktuelle Daten zum Kassenstand in Deutschlands Kommunen vorgelegt. Fazit: So schlimm sah es noch nie aus in der bundesdeutschen Geschichte. Besorgniserregende Zahlen also vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. In der schwarz-gelben Koalition dürften diese Zahlen erneut für Krach sorgen. Zahlreiche Unions-Politiker fragen sich inzwischen, ob sich die Regierung weitere Steuersenkungen tatsächlich leisten kann. Daran festhalten will unbedingt die FDP. Deren Fraktionschefin im Bundestag, Birgit Homburger, hat am Wochenende bereits Pflöcke eingeschlagen. Sie beharre auf einer Steuerreform, egal wie leer die öffentlichen Kassen auch sein mögen, sagt sie. Heute hat Frau Homburger in Stuttgart nachgelegt. Wir wollen noch für eine Weile bei der deutschen Finanzpolitik bleiben. Am Telefon kann ich jetzt mit Karl Rudolf Korte sprechen, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen und ein Kenner der Koalition. Schönen guten Tag, Herr Korte.

    Karl Rudolf Korte: Guten Tag!

    Armbrüster: Wie aus den beiden Beiträgen hier hervorgeht, sind Steuersenkungen in Deutschland ja äußerst umstritten. Warum hält die FDP so verbissen daran fest?

    Korte: Die FDP ist von rund 15 Prozent der Wähler gewählt worden, genau deshalb, dass sie eine Beständigkeit gezeigt hat in ihrer Forderung, Steuern zu vereinfachen und sie zu senken, aber eben für 15 Prozent und nicht für 100 Prozent.

    Armbrüster: Wie lange kann sie diesen Kurs noch aufrecht erhalten?

    Korte: Rhetorisch kann sie ihn lange aufrecht erhalten. Je schlechter die öffentlichen Haushalte sich zahlenmäßig darstellen lassen, desto weniger wird es realistisch und dann wird es auch argumentative Möglichkeiten geben, Auswege zu finden für die FDP.

    Armbrüster: Wie könnte denn so ein Ausweg aussehen?

    Korte: Der Ausweg kann praktisch durch die Zahlen dokumentiert werden. Wenn die Zahlen keine Veränderung zulassen, keine Steuersenkung, kann man das auch argumentativ begründen, und nicht als Irrtum, sondern an die Verhältnisse praktisch anpassen. Das ist lernendes Beobachten. Das ist ja Teil von Führungsstrategien auch.

    Armbrüster: Könnte die FDP es sich denn tatsächlich leisten, nach der Steuerschätzung im Mai zu sagen: Okay, Leute, wir sehen hier, die Zahlen lassen es nicht zu, also packen wir unsere Steuerreform wieder ein?

    Korte: Ja. Sie müsste das an einen weiteren Zeitplan vielleicht koppeln und sagen, wann sie es unter welchen Bedingungen für möglich hält. Das ist ja das, was Wähler auch haben möchten, nicht irgendwelche Versprechungen, sondern Transparenz in der Kommunikation: wann wird was für was eingesetzt? Was passiert, wenn nichts unternommen wird? Mit welchen Zeitplänen, mit welchen konkreten Kontexten wird das garniert? Also nicht nur einfach ein Wahlversprechen nachholen, sondern es auch klar an Bedingungen koppeln. Das ist, glaube ich, etwas, was nicht nur auf Transparenz angelegt ist, sondern was auch auf Resonanz stößt.

    Armbrüster: Wir haben jetzt, Herr Korte, als dieser Beitrag von meinem Kollegen Reinhard Nürnberg lief, kurz gesprochen. Da haben Sie angedeutet, dass das letztendliche Bollwerk bei Bundesfinanzminister Schäuble liegen wird. Der wird das ganze stoppen. Ist das so?

    Korte: Ja. Der Finanzminister ist ja nicht ohne Grund aus seiner erfahrenen Position heraus in dieses Amt gekommen. Er hat auch nichts mehr zu verlieren in diesem Amt. Insofern erhofft man sich von ihm auch, dass er hier nach Haushaltslage entscheidet, so wie das ja auch in den Koalitionsvereinbarungen festgehalten worden ist. Und Wählerinnen und Wähler setzen ohnehin auf Schäuble, weil sie letztlich wissen, Schäuble und damit der Finanzminister wird immer Gewinner von all diesen Steuerdiskussionen sein, so oder so. Was wir mehr am Ende an Steuern zahlen müssen, ist über den Finanzminister zu verantworten. Insofern ist er im Fokus des Interesses. Auch wenn jetzt Steuersenkungen angekündigt werden, indirekt zahlen wir am Ende doch mehr. Das spürt der Wähler. Insofern ist eine Kampagne über Steuerfragen keine Kampagne, die wirklich mehrheitsfähig ist, weil sie mit der Realität der Wahrnehmung der Wählerinnen und Wähler nicht übereinstimmt. Das gilt vielleicht für 14, 15 Prozent bei der FDP, aber nicht für die Mehrheit.

    Armbrüster: Das heißt, Sie glauben, das Gros der Wähler wird aus dieser ganzen Geschichte rauskommen, indem es letztlich doch mehr bezahlt an Steuern oder Abgaben?

    Korte: Ja. Das ist die gefühlte Empirie über viele Jahrzehnte der Beobachtung, wenn man über Steuern und Steuergesetze sich auseinandersetzt, in Bonn oder eben heute in Berlin.

    Armbrüster: Warum meldet sich denn Angela Merkel in dieser ganzen Angelegenheit nicht zu Wort?

    Korte: Ich interpretiere das auch noch so, dass ihre Führungsstrategie auf die neue Koalition noch nicht richtig ausgerichtet ist. Dieses beobachtete Lernen, zum Teil auch ihre konsensuale Dominanz, die sie in der letzten Großen Koalition ja gezeigt hat, die zeigt sie im Moment noch nicht. Sie zaudert, sie sieht noch ein wenig zu, sie hat für die kleine Koalition noch nicht das Politikmanagement-Format gefunden, was sie für die Große Koalition doch sehr schnell für sich entdeckt hatte. Die institutionellen Rahmenbedingungen sind eben ganz andere als in der Großen Koalition. Klar muss sie auch moderieren in einer Dreierkoalition, aber die Mächteverhältnisse und die Kraftverhältnisse haben sich völlig verschoben, so dass sie auch mehr konfrontiert ist mit den eigenen Ministerpräsidenten, mit der eigenen Fraktion, mit der eigenen Partei, als das in der Großen Koalition der Fall war.

    Armbrüster: Sind die Politiker in Union und FDP überrascht davon, wie schleppend diese ganze Koalition anläuft?

    Korte: Ja, das ist schon ein Erstaunen. Einerseits hat man sich die Koalition gewünscht, andererseits ist man erstaunt, dass einige Ressorts durchaus strahlen, aber dass eine gesamtgemeinsame Erzählung, eine Philosophie für das ganze überhaupt nicht sichtbar wird, trotz interessanter Akteure, die in dem Kabinett doch tätig sind. Es fehlt eben etwas Gemeinsames, was man daran festmachen könnte, wie halten wir eigentlich die Zukunft politisch offen? Keine Gesellschaft hält reine Gegenwart aus und wenn die Zukunft verstellt ist durch diese Schuldenfragen, dann möchte man schon gerne wissen, wie man sich es trotzdem offen hält: wo ist diese Grundidee, um diese Gesellschaft, die immer uneinheitlicher wird, zusammenzuhalten und auch die Zukunft offen zu halten? Das wäre etwas Verbindendes, was dieses Kabinett ausmacht, so eine bürgerliche Agenda der Freiheit, irgendetwas in dieser Richtung. Da kommt nichts und wenn da nichts kommt, haben wir es mit einem Kabinett von Einzelspielern zu tun. Was kommen müsste, müsste von der Kanzlerin vorgegeben werden.

    Armbrüster: Karl Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen, zum Stand der Dinge in der schwarz-gelben Koalition. Vielen Dank, Herr Korte.

    Korte: Bitte schön!