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"Das ist nicht im Interesse der Bürger"

Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt/Main, Petra Roth, warnt davor, das Mehrwertsteuerprivileg für öffentliche Unternehmen zu streichen. Die dadurch entstehenden Kosten für Wasser und Abwasser würden von den Städten auf den Endverbraucher abgewälzt.

Petra Roth im Gespräch mit Jochen Spengler | 27.10.2009
    Jochen Spengler: Vor genau einem Monat haben wir Bürger in der Bundestagswahl die Zusammensetzung des neuen Parlaments bestimmt. Heute kommen die von uns gewählten Abgeordneten zu ihrer ersten, der konstituierenden Sitzung des 17. Deutschen Bundestages zusammen. Der Erste Bundestag 1949 bestand noch aus 400 Abgeordneten, eine Zahl, die von Legislaturperiode zu Legislaturperiode stieg, vor allem nach der Einheit 1990. Der letzte, der 16. Bundestag, umfasste 614 Mitglieder und seit heute ist es noch etwas enger im Reichstagsgebäude. 622 Parlamentarier haben sich dort seit dem Vormittag versammelt. Gestern Abend haben die Partei- und Fraktionsspitzen von CDU/CSU und FDP ihren 124-seitigen Koalitionsvertrag mit dem Titel "Wachstum, Bildung, Zusammenhalt" unterzeichnet. Doch ungeachtet dessen streiten sich die Koalitionäre schon über die Auslegung des Vertrages, insbesondere in der Steuer- und Finanzpolitik. Und es hagelt Kritik aus den Bundesländern und Kommunen, die drastische Einnahmeausfälle befürchten. Eine Kritik möchte ich mal herausgreifen. Gerd Landsberg vertritt mit dem Städte- und Gemeindebund die kleinen und mittleren Kommunen und er befürchtet im kommenden Jahr Einnahmeausfälle von fast vier Milliarden Euro, wenn denn die Pläne der Bundesregierung Wirklichkeit würden. Die Steuerausfälle, so sagt er, nähmen den Kommunen die Luft zum Atmen. – Am Telefon begrüße ich nun Petra Roth, die Oberbürgermeisterin von Frankfurt und Präsidentin des Deutschen Städtetages, in dem die Großstädte unseres Landes zusammengeschlossen sind. Guten Tag, Frau Roth.

    Petra Roth: Einen schönen guten Tag, Herr Spengler.

    Spengler: Stimmen Sie in den Chor der Kritiker ein, oder stellt sich für die großen Städte die Lage besser dar?

    Roth: Zunächst einmal beginne ich nicht am Anfang einer neuen Regierung mit einer Kritik, sondern möchte aus dem Koalitionsvertrag den Hinweis auf die Kommunalpolitik sehr lobend erwähnen. Wir sind hier mehrfach erwähnt und die kommunale Selbstverwaltung wird uns garantiert, starke Städte werden gewünscht und eine Entlastung der Kommunen, Flexibilisierung von Standards und Gleichstellung bei gesamtstaatlichen Aufgaben.

    Spengler: Sind das keine Selbstverständlichkeiten?

    Roth: Nein, das sind eben leider in den letzten Jahrzehnten, muss man sagen, nicht mehr Selbstverständlichkeiten. Die kommunale Selbstverwaltung wird gar nicht durch im Grundgesetz fixierte Gesetze, sondern durch normale Gesetzgebungsverfahren Stück für Stück uns genommen. Wir haben über Europa viele Pflichtaufgaben zu leisten, wir haben über Bundesgesetze Pflichtaufgaben, also Ausgaben zu leisten, und wir müssen – und das wollen wir auch – als starke Städte eine wirtschaftskraftbezogene Steuer haben: Das ist unsere Gewerbesteuer. Das ist so ein Spannungsbogen, in dem man versucht, die Hebesätze der Gewerbesteuer runterzudrücken, die Gewerbesteuer für die Körperschaftssteuer zu kompensieren und uns weitere Aufgaben zu geben. Dagegen sind wir. Deshalb: Dieser Koalitionsvertrag bestätigt unsere Selbstverwaltung. Der zweite Punkt: Dass Steuerentlastungen, der sogenannte Mittelstandsbauch bei der Einkommenssteuer angepackt wird, ist richtig, aber ich bin als Stadt natürlich Arbeitgeber wie aber auch Steuerempfänger. Wenn also die Einkommenssteuer gesenkt wird, habe ich weniger Einkommenssteuer in meinem städtischen Haushalt. Ich bezahle aber als Stadt als Daseinsvorsorge den Nahverkehr, die Kindergärten, die Krankenhausbetten, die Altenfürsorge, und diese Kosten - durch Tarifabschlüsse - steigen ja auch. Das ist die Schwierigkeit in den nächsten vier Jahren: Wie werden diese Steuersenkungen für den Bürger kompensiert, dass nicht die Ausgaben in den städtischen Kassen zu groß werden.

    Spengler: Frau Roth, lassen wir da einen Punkt machen und lassen Sie uns noch mal der Reihenfolge nach auseinanderdröseln. In welcher Lage befinden sich die Städte jetzt? Ist es alles dramatisch, brechen ihre Einnahmen weg, oder geht es noch?

    Roth: Nein. Durch die globale Finanzkrise, die wir haben, die jetzt in der Realwirtschaft ankommt, durch Stellenaufgabe, durch Kündigung, weniger Aufträge, höhere Kosten, Tarifabschlüsse und immens weniger Einnahmen bei der Gewerbesteuer, ist die Lage in den Städten im Moment dramatisch. Ich als Stadt Frankfurt habe 43 Prozent weniger Gewerbesteuereinnahme. Im Schnitt haben wir ungefähr zwischen 40 und 50 Prozent bei den Städten in Deutschland. Aber nicht alle Städte finanzieren sich über Gewerbesteuer, sondern auch über Einkommenssteuer. Deshalb sind die kleinen Städte, die einkommenssteuerbezogen ihren Haushalt aufstellen, und große Städte wie Stuttgart, München, Düsseldorf, Frankfurt von der Gewerbesteuer abhängig, und die bricht im Moment weg.

    Spengler: Wäre es denn nicht sinnvoll, dann, wenn die Gewerbesteuer, wie Sie sagen, wegbricht, die gesamten Einnahmen der Städte auf eine etwas verlässlichere Grundlage zu stellen und sagen wir mal weg von der Gewerbesteuer zu kommen?

    Roth: Weg von der Gewerbesteuer, das höre ich nicht gerne und wir kämpfen auch, sie zu erhalten, und wir sind immer erfolgreich gewesen, denn sie ist die größte Einnahmenquelle. Aber die Stabilisierungsfaktoren – das nennt man die Bemessungsgrundlage, auf was eine Gewerbesteuer erhoben wird -, die könnte noch stabiler werden. Wir haben sie in der letzten großen kommunalen Finanzreform durchgesetzt. Jetzt geht es darum, ob man von 65 Prozent auf 50 Prozent der Abschreibungswerte bei Pachten, Zinsen, Leasingraten wieder zurückgeht. Das würde wiederum weniger Steuern für die Kommunen bedeuten. Wir brauchen eine solide Berechnungsgrundlage und wir sind konsequent und strikt dagegen – und alle Fachgremien haben bewiesen, dass unsere Aussage richtig ist -, dass man diese wirtschaftkraftbezogene Steuer dann mit einem Hebesatz auf die Einkommenssteuer, sprich eine Bürgersteuer für die Menschen ins Leben ruft, die in Städten wohnen. Und dass die Infrastruktur in großen Städten ihre Qualität hat, um internationale Unternehmen zu haben, die ihren Preis haben, ist doch mehr als logisch. Das heißt, wir brauchen weiter Gewerbesteuereinnahmen, um sie in den Kreislauf der Lokal- und Kommunalwirtschaft zu geben.

    Spengler: Frau Roth, was halten Sie davon, dass die schwarz-gelbe Regierung plant, das Mehrwertsteuerprivileg für öffentliche Unternehmen zu fällen? Das heißt ja, dass es teurer wird für die Bürger, dass sie einfach an drastischen Gebührenerhöhungen nicht vorbei kommen, oder?

    Roth: Private Unternehmen, privatisierte Unternehmen unterliegen bei uns auch schon der Umsatzsteuer, der Mehrwertsteuer. Aber als städtischer Eigenbetrieb bei der Daseinsvorsorge von Abwasser, Wasser und Gebühren ist dies nicht der Fall. Wenn wir dazu verpflichtet werden, müssen wir – da gibt es wieder ein Gesetz – das in die Gebühren runterbrechen und dann wird für den Endverbraucher der Bezug von Wasser und Abwasser teurer.

    Spengler: Ist Ihnen das egal?

    Roth: Das ist nicht in unserem Interesse für die Bürger, denn wenn ich ihn über die Einkommenssteuer entlaste und gleichzeitig aus der anderen Hosentasche ihm mehr Gebühren abverlangen muss, weil ich das wieder bezahle, dann ist das ein Taschenspielertrick. Da sollte man also solidere Kompensationsmöglichkeiten in den nächsten vier Jahren erarbeiten.

    Spengler: Petra Roth, die Oberbürgermeisterin von Frankfurt und Präsidentin des Deutschen Städtetages, im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Frau Roth.

    Roth: Ich bedanke mich auch, Herr Spengler.