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"Das ist sicherlich kein risikoloser Einsatz"

Wenn ein NATO-Bündnispartner wie die Türkei militärische Hilfe zum Schutz der eigenen Sicherheit anfrage, dann müsse man schon sehr gut argumentieren, um das abzulehnen, sagt Kerstin Müller, grüne Obfrau im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Allerdings habe die Bundesregierung das Parlament bisher nicht über entsprechende Pläne informiert.

Kerstin Müller im Gespräch mit Christine Heuer | 20.11.2012
    Silvia Engels: Noch liegt die offizielle Anfrage nicht vor, aber die Bundesregierung rechnet damit, dass die Türkei bald NATO-Unterstützung erbittet, und zwar, um ihre Grenze nach Syrien zu sichern – in Form von Patriot-Abwehrraketen zur Verteidigung gegen mögliche syrische Angriffe. Geliefert werden könnten sie von Deutschland, betätigt dann durch Bundeswehrsoldaten. Müsste einem solchen Antrag im Endeffekt der Bundestag zustimmen? Darüber wird zwischen Regierung und Parlament derzeit noch gerungen. Die Regelungen dazu sind grundsätzlich im Parlamentsbeteiligungsgesetz festgeschrieben.

    Wenn also nun möglicherweise im Fall der Patriot-Raketen an die Türkei das Parlament gefragt wird, gäbe es denn dann breite Unterstützung im Plenum? Gestern Abend zitierte dazu meine Kollegin Christine Heuer Philipp Mißfelder, den außenpolitischen Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Der hatte erklärt, er schäme sich für mögliche Zauderer im Bundestag bei einer solchen Frage. Anschließend fragte Christine Heuer Kerstin Müller, die Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, ob sie sich denn auch schäme.

    Kerstin Müller: Das finde ich natürlich eine absurde Kategorie. Zunächst mal ist aus unserer Sicht klar, es sollte hier einen Parlamentsbeschluss geben. Das heißt, die Bundesregierung, wenn sie klug beraten ist, befragt das Parlament. Das sehen ja wohl auch Teile der Bundesregierung so. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil ist da sehr parlamentsfreundlich und da muss man sich überhaupt nicht für schämen, wenn man das ganz klar als Opposition einfordert.

    Christine Heuer: Ist ein Bundestagsmandat denn wirklich nötig? Es handelt sich ja nur um einen relativ kleinen Einsatz im Rahmen der NATO-Beistandspflichten und nicht um einen großen bewaffneten Kriegseinsatz wie zum Beispiel in Afghanistan.

    Müller: Das ist zunächst mal richtig. Aber für den Fall, dass die Türkei angegriffen werden sollte von Syrien aus, also mit Flugzeugen oder mit Raketen, dann kämen die Patriots ja auch zum Einsatz. Das heißt, es wird schon einbezogen, dass ein möglicher bewaffneter Einsatz stattfindet. Die Bundesregierung wäre sehr gut beraten, wenn sie hier das Parlament befragt.

    Heuer: Wenn abgestimmt wird, sagen die Grünen dann Ja oder Nein?

    Müller: Ehrlich gesagt, ich finde frühe Vorfestlegungen hier völlig falsch, auch von meinen eigenen Fraktionskollegen. Ich halte das so wie immer: Ich bin der Meinung, die Bundesregierung soll erst mal was vorlegen. Wir müssen das Mandat vorliegen haben, dann kann man entscheiden, ob man mit Ja oder Nein stimmt, oder ob man sich enthält.

    Ich sage inhaltlich sehr klar, dass die Tatsache, dass hier ein NATO-Bündnispartner die Patriot-Raketen von der NATO, nicht von uns, sondern von der NATO anfordert, ist ein sehr gewichtiges Argument. Und wenn man das dennoch ablehnen will, dann müssen da auch gewichtige Argumente dagegen stehen.

    Heuer: Haben Sie welche?

    Müller: Im Moment kann man das noch nicht beurteilen. Die Risiken und Gefahren sind nicht von der Hand zu weisen, die müsste die Bundesregierung darlegen, das hat sie bisher nicht gemacht. Und es ist auch völlig klar: Sollte es um Aktivitäten im syrischen Staatsgebiet gehen, dann wäre sogar ein UN-Beschluss erforderlich. Also es darf nur um den Schutz des türkischen Raumes gehen, das ist völlig klar. Und vor allen Dingen muss die Bundesregierung offenlegen – das will ich mal sehr offen ansprechen -, ob es Pläne und Absichten dahinter gibt, also ob es etwa Pläne für die Einrichtung einer faktischen Flugverbotszone auf syrischem Gebiet an der Grenze gibt.

    Heuer: Das hat die Bundesregierung ja heute schon sehr deutlich ausgeschlossen.

    Müller: Aber das kommt mir sehr pauschal und nicht sehr substanziell vor. Wir haben darüber gelesen in der "New York Times", also in Amerika wird das sehr offen diskutiert. Wir haben es gelesen in der türkischen Zeitung "Milliyet". Und insofern muss hier die Bundesregierung etwas dazu sagen, weil das wurde eben nicht dementiert, dass hier möglicherweise faktisch eine Flugverbotszone an der Grenze aufgebaut werden soll. Wir wissen ja auch, dass sich Tausende von Flüchtlingen auf der syrischen Seite hier befinden. Auch das muss kein Gegenargument sein, aber ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie offen und klar Pläne und Absichten darlegt und hier sozusagen sich nicht drumrum drückt. Das wäre das Falscheste, was sie machen kann, denn das ist sicherlich kein risikoloser Einsatz.

    Heuer: Verstehe ich Sie richtig, Frau Müller, wenn Sie über eine Flugverbotszone reden – darüber war ja auch im Fall Libyens die Rede -, dann sind Sie in diesem Fall eher dafür, trotzdem mitzumachen, als damals bei Libyen?

    Müller: Nein. Die Einrichtung einer Flugverbotszone, die würde ein UN-Mandat auf jeden Fall voraussetzen, und das ist hier nicht in Sicht. Deshalb muss die Bundesregierung eben auch zu solchen Plänen Stellung nehmen und sich darauf beziehen und nicht einfach so tun, als wisse sie davon nichts. Denn uns ist bekannt, dass seit Monaten zwischen den USA und der Türkei über verschiedene Planungen geredet wird, und dann erwarten wir natürlich auch, dass die Bundesregierung an der Stelle uns nicht für dumm verkauft, sondern dazu Stellung nimmt, ob sie zum Beispiel diese Frage mit den anderen NATO-Partnern geklärt hat.

    Also wir erwarten, dass die Pläne und möglichen Absichten und Diskussionsstände innerhalb der NATO mit den NATO-Partnern auch offen dargelegt werden und dass wir sie nicht uns über andere Kanäle besorgen müssen. Aber ich sage auch sehr deutlich: Für mich ist es persönlich ein gewichtiges Argument, dass hier ein NATO-Bündnispartner anfragt, dass es um die Sicherheit der Türkei geht. Da muss man schon gut argumentieren, wenn man das ablehnen will.

    Heuer: Und mit Ihnen hat von der Regierungsseite aus noch keiner gesprochen, mit Ihnen persönlich oder mit Abgeordneten aus Ihrer Fraktion?

    Müller: Nein. Wir sind als Fachabgeordnete noch nicht unterrichtet worden. Die Fraktionsvorsitzenden haben eine erste kurze Information bekommen, das ist aber auch schon länger her. Deshalb haben wir jetzt auch als Grüne eine Sondersitzung in dieser Woche des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses beantragt, damit die Fachabgeordneten sich hier ein Bild machen können und dann entsprechende Empfehlungen an ihre Fraktionen auch abgeben können. Wenn hier so breit in der Presse diskutiert wird, dann ist es doch das Mindeste, dass das Parlament jetzt erst mal zuvorderst informiert wird.

    Heuer: Wir haben ja noch einen anderen sehr akuten Krisenherd Israel. Wenn Israel um Patriot-Technik bitten würde, soll Deutschland dann Nein sagen?

    Müller: Also das steht jetzt akut nicht an. Aber diese Frage hat es ja schon mal gegeben. Seinerzeit ging es aber nur um Gerät. Da muss man natürlich auch unterscheiden. Hier fragt ein NATO-Bündnispartner an, das ist Israel nicht, und er fragt auch nicht nur die Gerätschaften an, sondern damit müssten auch Bundeswehrsoldaten entsandt werden. Das ginge sicher zunächst mal nach Israel nicht und ich sehe jetzt auch nicht, dass Israel das anfragt. Aber man sieht, dass Israel Patriots braucht - das sage ich auch sehr deutlich -, und dass man seinerzeit die Gerätschaften, also die Patriots selber, nach Israel entsandt hat und auch den Israelis dort vor Jahren einmal geholfen hat, das finde ich persönlich richtig.

    Engels: Kerstin Müller, Obfrau der Grünen im Auswärtigen Ausschuss, gestern Abend im Gespräch mit meiner Kollegin Christine Heuer.


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