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"Das ist unakzeptabel"

Sieben tunesische Fischer müssen sich in Italien vor Gericht verantworten, nachdem sie Flüchtlinge aus Seenot gerettet haben. Graham Watson, Chef der Liberalen-Fraktion im EU-Parlament, nannte die Anklage unakzeptabel. Er hoffe auf eine schnelle Freilassung der Angeklagten.

Moderation: Christian Schütte | 07.09.2007
    Christian Schütte: Der Vorfall liegt bereits einige Wochen zurück, wird aber der Öffentlichkeit erst jetzt bekannter: Anfang August retteten tunesische Fischer 44 Flüchtlinge, die mit ihrem Schlauchboot nahe der italienischen Insel Lampedusa in Seenot geraten waren. Die Fischer handelten nach den Gepflogenheiten des internationalen Seerechts, für sie eine Selbstverständlichkeit, dass man Schiffbrüchigen hilft. Umso mehr hat es sie überrascht, dass sie nach der Rettungsaktion von italienischen Behörden verhaftet wurden.

    Dies erinnert an einen ähnlichen Fall mit dem deutschen Schiff "Cap Anamur" vor drei Jahren. Inzwischen beschäftigen sich Europapolitiker damit.

    Vor der Sendung habe ich mit dem Chef der Liberalen-Fraktion im EU-Parlament Graham Watson gesprochen und ihn gefragt, was sich die Seeleute, die eigentlich nur helfen wollten, haben zu Schulden kommen lassen?

    Graham Watson: Eigentlich nichts, und ich befürchte, das, was hier gemacht wird, wird sehr, sehr schwere Konsequenzen haben. Wir wissen, dass jedes Jahr, besonders im Sommer, wenn das Wetter besser ist, dass Leute versuchen, von Afrika nach Europa zu kommen. Und die versuchen das oft in sehr kleinen Booten, und es kommen viele ums Leben. Hier haben Fischer diese Flüchtlinge vom Meer aufgenommen und die an den nächsten Hafen gebracht. Das wollen wir natürlich haben, dass Boote, die sich im Mittelmeer befinden, diesen Leuten helfen. Wenn solche Leute verhaftet werden, dann wird niemand mehr solchen Flüchtlingen helfen, und dann werden viel, viel mehr Leute ums Lebens kommen. Das ist unakzeptabel. Ich habe im Europaparlament darüber gesprochen. Es gibt einige von meinen Kollegen, die nach Lampedusa fahren, um diese ganze Sache zu investigieren. Und ich hoffe, dass die italienischen Behörden gleich diese Fischer freilassen werden.

    Schütte: Herr Watson, Sie haben die italienischen Behörden angesprochen: Was ist denn juristisch der Tatbestand?

    Watson: Wir wissen noch nicht, wie diese ganze Sachen laufen wird. Ich weiß nur, dass, wenn die italienischen Behörden nicht gleich Aktionen nehmen, um diese Leute freizulassen, wird es ein sehr großes politisches Problem geben.

    Schütte: Das heißt, man wirft ihnen vor, gewissermaßen Hoheitsrechte verletzt zu haben?

    Watson: Genau, wir haben, und das wissen alle, wir haben internationale Gesetzgebung, wobei man verpflichtet ist, Flüchtlingen und anderen Leuten im Meer zu helfen. Das wollen wir. Soweit wir das wissen, haben diese Fischer nur diesem Gesetz gefolgt und sollten keine Strafen dafür bekommen.

    Schütte: Sie haben sich dafür ausgesprochen, das Thema im EU-Parlament auf die Tagesordnung zu setzen. Was sollte Ihrer Meinung nach politisch jetzt geschehen?

    Watson: Das ist natürlich etwas für die italienischen Behörden, aber ich bin sehr froh, dass überall in Europa Leute sagen, so was kann es nicht geben, und dass es jetzt einen Druck gibt auf die italienischen Behörden, diese Leute freizulassen und klar zu sagen, dass es willkommen geheißen wird, wenn Fischer und andere Flüchtlingen helfen.

    Schütte: Druck auf italienische Behörden, sagen Sie. Welche Kompetenz hat denn die EU in diesen Fragen?

    Watson: Die EU hat als solche nicht viel Kompetenz. Die internationale Gesetzgebung wird von den Nationen unterschrieben. Aber natürlich gibt es, und das finde ich sehr gut, europäische Demos, es gibt eine öffentliche Meinung über ganz Europa. Und Leute sagen und besonders Abgeordnete hier im Europaparlament sagen, so was kann es nicht geben, wir haben eine große Herausforderung, solchen Leuten zu helfen, und wir brauchen unbedingt eine Immigrationspolitik.

    Schütte: Öffentliche Meinung, sagen Sie, das ist, wenn es um Gesetze geht, wenn es um Behörden geht, nicht immer das beste und das geeignetste Druckmittel.

    Watson: Wir machen im Parlament, was wir können. Und ich bin sicher, dass viele Abgeordnete jetzt an den italienischen Präsidenten, Herrn Napolitano, auch ein ehemaliges Mitglied des Europaparlaments, um zu sagen, sie müssen hier etwas tun, um diesen Fischern zu helfen. Und wir müssen gemeinsam darüber sprechen, was wir tun können, um diese terrible Flucht von Leuten von Afrika nach Europa zu helfen.

    Schütte: Ist denn dieser Vorfall aus dem August ein Einzelfall, oder könnte diese sich beispielsweise auch in spanischen Gewässern abspielen?

    Watson: Das könnte in spanischen, in griechischen, in türkischen und in anderen Gewässern kommen. Italien hat schon eine große Herauforderung, weil Inseln wie Lampedusa eigentlich sehr nah an den Küsten von Libyen und anderen Ländern liegen, aber hier haben wir ein europäisches Problem, nicht nur ein italienisches Problem.

    Schütte: Ein europäisches Problem, dass man eventuell lösen kann, vielleicht lösen sollte. Bis dahin: Welches Signal geht aus von der jetzigen Situation an die Fischer, die im Mittelmeer unterwegs sind?

    Watson: Ich befürchte, dass, wenn solche Sachen weit bekannt werden, dann wird es die Meinung geben, ja wir sollen Flüchtlingen nicht helfen, wir riskieren es, ins Gefängnis zu gehen. So was kann man nicht. Wir haben natürlich eine große Herausforderung und brauchen dafür eine echte Immigrationspolitik. Aber wir haben auch als Menschen eine Pflicht anderen Menschen entgegen.

    Schütte: Seeleuten drohen Strafen wegen Beihilfe zur illegalen Einreise, darüber sprach ich mit dem Chef der Liberalen-Fraktion im EU-Parlament, Graham Watson.