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"Das ist unsicher"

Rena Tangens klagt gegen den elektronischen Entgeltnachweis "Elena". Sie hält die Speicherung von sensiblen Arbeitnehmersozialdaten für nicht verfassungsgemäß. Darüber hinaus würden kleine und mittlere Unternehmen durch "Elena" mit neuer Bürokratie belastet.

Rena Tangens im Gespräch mit Jochen Spengler | 31.03.2010
    Jochen Spengler: Heute wollen Datenschützer in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einlegen gegen "Elena". Seit Anfang Januar müssen die persönlichen Daten von etwa 40 Millionen Arbeitnehmern in Deutschland von den Arbeitgebern an eine zentrale Datenbank gemeldet werden. Das sieht "Elena" vor, das Gesetz über den elektronischen Entgeltnachweis. Am Telefon begrüße ich nun die deutsche Datenschutzaktivistin, Künstlerin und Internet-Pionierin Rena Tangens. Sie ist Vorsitzende des Bielefelder Bürgerrechtsvereins "FoeBud" und Mitorganisatorin der BigBrotherAwards. Wir erreichen sie in Karlsruhe, wo sie heute Verfassungsbeschwerde gegen "Elena", den elektronischen Entgeltnachweis, einreichen wird. Guten Morgen, Frau Tangens.

    Rena Tangens: Schönen guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Sie beschweren sich ja nicht allein, sondern im Namen von mehreren Menschen. Wie viele sind das?

    Tangens: Das hat sich gestern erst herausgestellt, weil die letzten Nachzügler dann noch bei uns per Post abgeliefert wurden. Wir haben 22.005 Mitbeschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer.

    Spengler: Das sind alles Menschen wie du und ich, oder auch Prominente?

    Tangens: Da sind auch Prominente dabei, aber um die geht es gar nicht. Es ist eine Geschichte einer Bürgerbewegung und nicht von irgendwelchen "großen Tieren" oder Institutionen. Das ist tatsächlich etwas, was in ganz kurzer Zeit passiert ist. Innerhalb von 14 Tagen sind diese über 22.000 Menschen zusammengekommen, die sagen, nein, wir wollen "Elena" nicht.

    Spengler: Und welche Organisationen stehen hinter der Bürgerbewegung?

    Tangens: Es stehen keine Institutionen direkt dahinter. Wir werden von anderen Bürgerrechtsorganisationen, von Zusammenschlüssen mitunterstützt, wie der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der Arbeitskreis Zensur. Es gibt aber auch große Institutionen, die mit aufgerufen haben, zum Beispiel ver.di, und auch der Zentralrat der Juden hat dazu aufgerufen, unsere Verfassungsbeschwerde mit zu unterzeichnen.

    Spengler: Sie werden die Beschwerde heute Mittag einreichen. Nun ist das "Elena"-Gesetz morgen vor einem Jahr in Kraft getreten, am 1. April 2009. Warum haben Sie sich so lange Zeit gelassen?

    Tangens: Wir haben uns tatsächlich gar nicht so lange Zeit gelassen, denn wir haben schon vor recht langer Zeit vor "Elena" gewarnt. Früher hieß das Verfahren übrigens noch "Job-Card". Das schmort also schon eine ziemlich lange Zeit, seit vielen Jahren. Im Jahr 2008 haben wir der "Elena" bereits einen BigBrotherAward verliehen, den Datenschutz-Negativpreis. Damals haben sich Leute noch nicht so dafür interessiert, wahrscheinlich auch deshalb, weil es so viele andere Datenschutzskandale gab. Jetzt ist es seit dem 1. April 2009 in Kraft, aber erst seit Januar 2010 sollen ja erst die Daten von den Arbeitgebern abgeliefert werden. Jetzt sind also Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch Beamte, Richter, Soldatinnen und Soldaten persönlich betroffen, und wir wollten für unsere Verfassungsbeschwerde das Urteil aus Karlsruhe abwarten zur Vorratsdatenspeicherung der Telekommunikationsdaten, und das ist ja erst Anfang März ergangen.

    Spengler: Und was hat dieses Urteil mit Ihrer Verfassungsbeschwerde zu tun?

    Tangens: Bei "Elena" handelt es sich auch um eine Vorratsdatenspeicherung, in diesem Fall um eine Vorratsdatenspeicherung von recht sensiblen Sozialdaten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, und deswegen wollten wir dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts abwarten, weil wir uns darauf beziehen können. Wir wollten aber auch vor allem erst mal gucken, haben wir Erfolgschancen für unsere Verfassungsbeschwerde, und unsere Anwälte haben gesagt, ja, nach diesem Urteil haben wir das, und dann sind wir es angegangen. Deswegen hatten wir jetzt aber auch nur die kurze Zeitspanne von 14 Tagen und innerhalb dieser Zeit mehr als 22.000 Mitstreiter zu finden, finde ich umwerfend.

    Spengler: Nun kommen wir endlich darauf, was Sie eigentlich gegen "Elena" haben.

    Tangens: Eine Vorratsdatenspeicherung ist tatsächlich etwas, was nicht verhältnismäßig ist. Es wird vorgegeben, es handele sich um Bürokratieabbau und das würde das rechtfertigen. Das ist aber nicht der Fall. Wenn von allen Menschen, die in Arbeit sind und Geld dafür bekommen, die Daten gespeichert werden, nur um möglicherweise in Zukunft irgendwelche Sozialleistungen berechnen zu können, dann ist das nicht verhältnismäßig. Wir sagen weiterhin, das ist unsicher, denn es wird an einer zentralen Speicherstelle abgelegt. Das heißt, es ist sehr viel einfacher, auf diese Daten später mal zuzugreifen, sei es mit krimineller Energie, sei es aber auch von anderen Institutionen, weil es ist dann sehr einfach, wenn so eine Datensammlung schon mal da ist, dass man ein neues Gesetz macht und weiteren Institutionen oder vielleicht sogar den Arbeitgebern selbst dann Zugriff auf diesen Datenpool gibt.

    Spengler: Frau Tangens, machen wir da mal einen Punkt. Sogar die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sagen, dass die Daten sicher aufbewahrt werden. Sie sind auch verschlüsselt.

    Tangens: Das mag für den jetzigen Zeitpunkt vielleicht zutreffen, aber das heißt nicht, dass das auch in Zukunft sicher sein wird.

    Spengler: Wer entscheidet denn darüber, welche Daten gesammelt werden und weitergegeben werden?

    Tangens: Das ist in einem Zusatz zu dem Gesetz festgelegt und das könnte eben durch ein einfaches Gesetz geändert werden. – Zu der Sicherheit noch mal: Die Sicherheit hängt ja davon ab, welche Algorithmen vielleicht findige Programmierer herausfinden, um eine solche Verschlüsselung wiederum zu knacken, und das kann sich ja sehr schnell ändern. Insofern: Auch wenn es heute sicher ist, heißt das nicht, dass es auch in Zukunft in ein paar Jahren sicher sein wird.

    Spengler: Sie haben den Bürokratieabbau, mit dem das Gesetz begründet wird, angesprochen, aber es ist doch ein enormer Abbau von Bürokratie, wenn Unternehmen künftig nicht mehr 60 Millionen Bescheinigungen schriftlich ausstellen müssen, die Arbeitnehmer brauchen, um zum Beispiel Arbeitslosengeld oder Elterngeld oder Wohngeld bei Behörden zu beantragen, sondern wenn die Unternehmen einmal per Computer eingeben, welches Gehalt hat jemand, welche Fehlzeiten, wann wurde er gekündigt, dann war es das und dann spart man sich diese 60 Millionen Zettel.

    Tangens: Wir müssen aber sehen, wie viele Leute in Arbeit sind und diese Bescheinigungen überhaupt nicht brauchen, und auch für die müssen all diese Daten erst mal angegeben werden. Wir haben tatsächlich anlässlich der Verfassungsbeschwerde jetzt Meldungen von sehr, sehr vielen Arbeitgebern bekommen, die gesagt haben, wir wollen auch mitklagen. Das können die bei uns nicht, weil wir auf die Betroffenheit der Leute gehen, deren Daten dort übermittelt werden. Aber wir haben viele Anrufe von Arbeitgebern bekommen, die gesagt haben, wir finden "Elena" auch schlecht, wir wollen die Daten von unseren Arbeitnehmern nicht übermitteln. Bürokratieabbau? – Nein! Es verursacht eine Menge mehr Kosten. Zum Beispiel ist die Datev, das Unternehmen, was für die Steuerberater die Steuerdaten verarbeitet, schon teurer geworden wegen der Investitionen, die für "Elena" getätigt werden mussten. Es muss eine Menge neue Software angeschafft werden, Lesegeräte für digitale Signaturen und so weiter. Insofern kann man sagen ja, einige IT-Unternehmen werden garantiert davon profitieren, aber kleine und mittlere Unternehmen sind durch "Elena" mit neuer Bürokratie konfrontiert und lehnen das ab.

    Spengler: Was ist das Ziel Ihrer Beschwerde?

    Tangens: Wir wollen "Elena" tatsächlich kippen, denn wir denken, dass diese Art von Vorratsdatenspeicherung nach dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten im März tatsächlich so nicht haltbar ist.

    Spengler: Sie haben nicht die Hoffnung, dass es noch kleine Retuschen gibt - so ist ja zum Beispiel vom Tisch, dass die Teilnahme an Streiks erfasst wird; das war ursprünglich vorgesehen -, dass man auf diese Weise erreichen kann, dass "Elena" entschärft wird?

    Tangens: Wir denken, diese kleinen kosmetischen Korrekturen, die da im Moment gemacht werden, wo so ein bisschen zurückgerudert wird von der Bundesregierung, sind nicht das, um was es geht, denn die können ja ebenso gut auch wieder eingeführt werden. Das muss einem klar sein, wenn so eine Datensammlung erst einmal da ist, dass die dann schnell weitergepflegt werden kann und vor allem vielen weiteren Stellen zur Verfügung gestellt werden kann, und darin sehen wir die Gefahr.

    Spengler: Die Bürgerrechtlerin Rena Tangens will heute Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz, gegen den elektronischen Entgeltnachweis einlegen. Danke, Frau Tangens, für das Gespräch.

    Tangens: Schönen Dank!