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"Das ist, wie alle meine Romane, ein todernster Roman"

Jens Sparschuh wurde 1955 in Karl-Marx-Stadt geboren, das heutige Chemnitz. Studiert hat er in Leningrad, das nun wieder St. Petersburg genannt wird. Die Geschichte hat im Leben des Autors durchaus für Unordnung gesorgt.

Von Michael Opitz | 11.06.2012
    In seinem neuen Roman "Im Kasten", der nominiert ist für den Preis der Leipziger Buchmesse, ist es Hannes Felix, der einiges unternimmt, um Ordnung in eine chaotisch anmutende Welt zu bringen. Wer Bücher von Jens Sparschuh kennt, zuletzt erschien der Roman "Schwarze Dame", weiß, dass seine Figuren mit merkwürdigsten Herausforderungen konfrontiert werden. Unser Mitarbeiter Michael Opitz hat Jens Sparschuh in Berlin getroffen:

    "Ich habe eine gewisse Mannschaft von Leuten, die ich ins Rennen schicke und die, von Roman zu Roman, anstelle meiner, die Welt erkunden. Und ich staune, was die herausfinden. Ich versuche, über meine Figuren etwas zu erfahren. Das sind meine Spione und es sind in der Regel Helden des Rückzugs. Leute, die nicht an der vordersten Stelle stehen, sondern die, im Räsonieren über die Dinge, wahrnehmen, was so an Haupt- und Staatsgeschehen stattfindet."

    Einer aus Jens Sparschuhs Mannschaft ist Hinrich Lobek. In dem Roman "Der Zimmerspringbrunnen" zieht sich der Vertreter in seinen Hobbyraum zurück und entwirft dort einen Zimmerspringbrunnen, der als Heimatsymbol Platz in der guten Stube findet und an eine längst vergangene Zeit erinnert. Olaf Gruber, der im Roman "Eins zu eins" als Angestellter der Firma andersWandern von einer Landkarte im Maßstab 1:1 träumt, ist ein anderer aus Sparschuhs Team. Die Landkarte im 1:1-Maßstab wäre sein Ideal, weil auf ihr zu finden wäre, was man in der Realität vergeblich sucht. Mit Hannes Felix stellt Jens Sparschuh diesen beiden einen weiteren innovativen Mitspieler zur Seite, der einiges auf dem Kasten hat. Er spielt in dem neuen Roman des Autors mit dem Titel "Im Kasten" die zentrale Rolle.

    "Im Kasten heißt beim Film: Eine Szene ist im Kasten, sie ist gestorben, alles ist soweit in Ordnung. Aber, im Schatten hat dieser Begriff noch etwas Klaustrophobisches, etwas Beengendes, der Art, das man in der Kiste ist. Das kann dann am Ende tödlich sein. All das schwingt mit, wenn wir ein Buch, in dem es um Ordnung geht, 'Im Kasten' nennen. Alles scheint im Kasten zu sein, alles scheint in Ordnung zu sein, aber bis es dahin gekommen ist, sind Sachen passiert, die vielleicht nicht hätten passieren sollen. Mir schien der Titel letztendlich besser als der konkurrierende Titel zu sein, über den ich manchmal nachgedacht habe – 'Ein Mann räumt auf' -, aber das hörte sich so nach Western an und deswegen ist 'Im Kasten' besser."

    Hannes Felix arbeitet bei der Firma Neue Optimierte Auslagerungs- und Haushaltsordnungssysteme, abgekürzt NOAH. Unter den Mitarbeitern der Firma steht NOAH für Norberts olle Abfall Halde. Die Idee, die hinter dem Unternehmen steckt, ist denkbar einfach: Alles, was in der Wohnung keinen Platz findet, lagert man bei NOAH ein und schafft somit Platz für Neues. Das kann dann nach einer gewissen Zeit erneut ausgelagert und bei NOAH eingelagert werden. Da Hannes Felix ein Ordnungsfetischist ist und der Ordnungsgedanke dem Unternehmen NOAH zugrunde liegt, kann Hannes in seinem Beruf förmlich aufgehen. Faktisch lebt er die Firmenidee, die er verinnerlicht hat, aber gerade dadurch gerät sein Leben in schönste Unordnung. Als seine Frau Monika ihren Koffer packt, hat er nur die unordentlich hineingeworfenen Kleidungsstücke im Blick, ohne zu bemerken, dass sie im Begriff ist, ihn zu verlassen. Als er ihr empfiehlt, eine Kofferinventarliste anzulegen, um dem Chaos in dem Gepäckstück zu begegnen, sorgt das für vorläufige Ruhe in der Partnerschaft – sie geht und lässt ihn und den Koffer zurück.

    "Das ist, wie alle meine Romane, ein todernster Roman. Unbeschadet dessen, dass man natürlich auf jeder Seite lachen kann. Zugrunde liegt die ganz traurige Geschichte eines Menschen, der Ordnung sucht und das reine Chaos schafft und der es nicht schafft, das, was ihm gegeben ist, so in die Gesellschaft zu tragen, dass davon noch etwas zu haben ist. Aber die Frage richtet sich auch an die Gesellschaft."

    Der Name NOAH lässt an die Arche Noah denken, in der Platz fand, was nach der Sintflut für den Aufbau einer besseren Ordnung gebraucht wurde. Jens Sparschuh greift aber nicht nur ein biblisches, sondern auch ein Thema auf, in dem sich die Hybris unserer Zeit spiegelt. Gehalten wird der Spiegel zwar von einem Mann, der ein wenig neben der "Spur" läuft, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass das wiedergegebene Bild der Wirklichkeit entspricht. Wachstum gehört zu einer modernen Industrienation und Konsum wiederum zum Wachstum. Konsumieren ist eine der vordringlichsten Bürgerpflichten. Sparschuhs Held Hannes, nimmt diesen den Zeitgeist repräsentierenden Gedanken ernst, wenn er besessen von der Idee ist, ein entsprechendes Ordnungssystem zu schaffen, das den Anforderungen der Zeit gerecht wird. Keine Überlegung erscheint ihm zu kühn, denn das Konsumierte muss irgendwo hin und die Wohnungen, meistens zu klein, bieten zu wenig Platz.

    "Weshalb [Hannes Felix] Gestalt angenommen hat, das hängt mit den Vibrationen in unserer Gesellschaft zusammen: Wir können uns tatsächlich um eine Diskussion nicht herummogeln, in der gefragt wird: Was sind denn sinnvolle Werte? Warum müssen wir ewig an einer steil nach oben zeigenden Kurve kleben, die ewiges Wachstum verheißt? Jeder denkende Mensch weiß doch, dass es ein Wechselspiel von auf und ab gibt und insofern ist das durchaus auch eine Gesellschaftssatire. Da muss ich einfach schauen, wer ist aus meiner Mannschaft auserwählt und berufen, sich da ins Getümmel zu werfen und ich beobachte das dann hier von meinem Schreibtisch aus mit interessierten Augen."

    Es klingt verrückt, wenn Hannes Felix vorschlägt, die NOAH-Filiale von der peripheren Stadtrandlage dahin zu verlegen, wo das Berliner Stadtschloss errichtet werden soll. Doch die Entscheidung ist nicht nur logisch, was das Firmenkonzept anbelangt, sondern sie ist auch als Reaktion auf die tatsächlichen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft zu verstehen. Das Schloss wäre unter ästhetischem und städtebaulichem Aspekt schön anzusehen, aber eine NOAH-Filiale in Berlins Mitte würde tatsächlich gebraucht werden.

    "Die Fragen, die er stellt, sind vollauf berechtigt. Nicht aus der Situation dieser seltsam an der Autobahn an der Peripherie marodierenden Firma. Die treffen uns alle mitten ins Herz. Wir alle haben das wahrscheinlich schon einmal versucht, Ordnung zu machen und merken, dass wir eigentlich ein Chaos stiften. Und es kommt vielleicht eher darauf an, sich mit den Dingen, die ein Eigenleben haben, anders zu arrangieren und nicht den Feldwebel-Blick auf sie zu haben, sondern sie in ihrer Eigenart leben zu lassen."

    Sparschuhs Held scheint verrückt zu sein, aber er denkt logisch zu Ende, was uns als alltäglicher Irrsinn umgibt. Seine Lösungsvorschläge sind aberwitzig, aber sie resultieren aus einer klaren Analyse der gegenwärtigen Verhältnisse. Hannes Felix überlegt, was getan werden muss, wenn der reale Irrsinn vom ständigen Wachstum und vom ewigem Konsum weitergeht wie bisher. Die Frage nach dem Wahnsinn bekommt dadurch eine weitere Dimension. Hannes Felix läuft nicht ganz richtig, weil er Vorschläge unterbreitet, die verrückt anmuten. Aber wie normal sind wir eigentlich, wenn wir den ökonomischen auf Wachstum basierenden Wahnsinn, von dem gesagt wird, er sei alternativlos, weiterhin mitmachen?

    "Die Welt, betrachtet aus den Augen eines Irren und plötzlich: ja, wir verstehen sie."

    Wie Hannes Felix auf diese Herausforderung reagiert, ist wahnsinnig komisch. Aber, und darin liegt der Ernst dieser Gesellschaftssatire, die sich dahinter verbergenden Probleme sind es keinesfalls. Jens Sparschuh ist es ernst mit seinem Roman, in dem der Ernst der Lage analysiert und in seinen Folgen durchgespielt wird. Das Schöne an dem Buch ist, dass es uns den Zustand der Welt vor Augen führt, aber nie belehrend darauf hinweist. Kein Zeigefinger wird erhoben, die Geschichte kommt ganz leicht daher. Fast ist man geneigt, diesen Großstadtneurotiker als Witzfigur anzusehen, der nicht ernst zu nehmen ist. Gerade das aber macht die Crux der von Sparschuh erzählten Geschichte aus, die enormen Tiefgang besitzt. Sparschuh gelingt es, auf die Untiefen der Zeit mit sehr viel Sprachwitz hinzuweisen. Man kann sie als Leser verlachen, aber weggelacht hat man sie dadurch noch lange nicht.

    "Ich glaube, das ist bei mir Antrieb für jedes Buch, das ich schreibe, dass ich ein Stück Ordnung in die Welt bringen möchte. Ich habe ja ein bestimmtes Reservoire an Buchstaben, habe irgendwelche Ideen und es gibt Dinge, so wie ich sie sehe und so, wie sie mir vor Augen sind, die sind suboptimal. Und die Arbeit eines Schriftstellers könnte vielleicht darin bestehen, dass er [...] ein 'Dennoch' versucht, dass er einen Helden in die Welt setzt, der es 'richtet'. Wenn ich meinen Helden aus den Büchern im Leben begegnen würde, dann würde ich auch schnell sehen, dass ich weiterkomme, aber, die haben doch ein gewisses Potenzial, und wenn ich die dann losschicke, merke ich: Gut, die sind völlig anders gebaut, aber, die bekommen schon einiges heraus und manchmal ahnt die Welt, dass es mit denen etwas Besonderes auf sich hat. Es hängt bei mir damit zusammen, dass ich zehn Jahre auf dem Gebiet der Logik gearbeitet habe, wo der Ordnungsgedanke allmächtig ist."

    Jens Sparschuh erzählt die tragische Geschichte eines komischen Helden. Doch das Komische an dieser Figur ist, dass er mit einer verbohrten Ernsthaftigkeit darüber nachdenkt, was uns zum Lachen bringt. Es ist ein höllisches Lachen, das Sparschuh seinen Lesern entlockt. Der Teufel herrscht nicht nur über das Chaos, sondern es steckt offensichtlich auch in jedem Ordnungsgedanken.

    Jens Sparschuh: "Im Kasten". Roman.
    Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 224 Seiten, 18,99 Euro.