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"Das könnten dunkle Wolken werden"

Im Vorfeld des Finanzministertreffens in Brüssel ist eine Debatte um eine Aufstockung des Euro-Rettungsschirmes entstanden. Otto Fricke, haushaltspolitischer FDP-Sprecher, gibt zu bedenken, derartige Diskussionen könnten zu Spekulationen an den Märkten führen.

Otto Fricke im Gespräch mit Martin Zagatta | 17.01.2011
    Martin Zagatta: Wir sind jetzt mit Otto Fricke verbunden, dem haushaltspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Fricke.

    Otto Fricke: Einen schönen guten Tag aus dem sonnigen Berlin.

    Zagatta: Herr Fricke, wenn der Rettungsschirm tatsächlich auf Garantieleistungen von 750 Milliarden festgelegt werden soll, dann kann das Berlin ja unglaublich viel Geld kosten. Ziehen da dunkle Wolken auf, auch an einem so sonnigen Tag?

    Fricke: Na ja, das könnten dunkle Wolken werden, wenn wir weiterhin – und das ist für mich die Hauptkritik im Moment – immer wieder irgendwelche Äußerungen bekommen, die Sie berlinisch erklären, da müsste man mal genau gucken, ob mit den 750, die beschlossen sind, auch wirklich die 750 gemeint sind, die notwendig sind, dann wird Brutto und Netto als neue Begriffe reingebracht. Diese gesamte Diskussion ist höchst unerquicklich, weil sie dazu führt, dass das, was wir versucht haben bei der Stabilisierung für die Bundesrepublik Deutschland und für Europa, nämlich vor die Bugwelle zu kommen, wieder dazu führt, dass wir hinter die Bugwelle und möglicherweise damit unter den Kiel kommen, um das bildlich mal zu sagen, und da bin ich doch schon als Parlamentarier etwas verärgert, denn am Ende sind es – und das hat Herr Schäuble auch richtig gesagt vorhin im Beitrag – wir Parlamentarier, die in unserer Verantwortung entscheiden müssen, welche Möglichkeiten wir den Regierungen, in dem Fall unserer Regierung, geben.

    Zagatta: Verärgert über wen, die EU-Kommission oder über wen?

    Fricke: Das immer nach dem Motto, jetzt suchen wir uns mal einen Schuldigen aus. Alle diejenigen, die sich daran beteiligen, dass sie Äußerungen im Radio, in Zeitungen und an anderer Stelle machen, wo sie sagen, wir müssen dieses oder jenes machen und nur dann funktioniert die Rettung, mit der Folge, dass dann Märkte nicht mehr wie Märkte reagieren, sondern anfangen zu spekulieren. Das gilt dann allgemein und geht auch – da muss man sich auch immer an die eigene Nase fassen; deswegen versuche ich auch aufzupassen, was ich jetzt selber sage – an jeden Politiker, der hier Interviews unvorsichtigerweise gibt und sagt, das muss jetzt so sein.

    Zagatta: Aber liegt das in diesem Fall nicht an den Spielregeln, dass man eben nicht weiß, sind diese 750 Milliarden, von denen wir seit Monaten reden, ist das ein Nettobetrag, ist das ein Bruttobetrag, und wenn es jetzt tatsächlich um Netto geht – und das scheint ja der Fall zu sein -, dann muss dieser Betrag noch aufgestockt werden.

    Fricke: Dann würde ich die weitere Frage stellen, wenn es um Brutto und Netto geht: Wird dieses Netto wirklich benötigt im Moment? Wir haben mit den 750 Milliarden mit all seinen Einzelteilen einen Rettungsschirm aufgebaut, der darstellt, welche Möglichkeiten gegeben sind. Wann wir sie konkret nutzen, das hängt von den jeweiligen Einzelfällen ab, und da bleibt es dabei, dass man nicht vorher über etwas reden sollte und vor allen Dingen nicht etwas herbeireden sollte, etwa bei einzelnen Ländern oder irgendwelchen Entwicklungen. Ich erinnere nur daran, wie man in der letzten Woche bei der Portugal-Anleihe gesagt hat, oh Gott, das geht schief, dadurch das schon in die falsche Richtung gebracht hat, um nachher festzustellen, es ist sicherlich nicht besonders preiswert für die Portugiesen gewesen, aber es war möglich. Und was viel schlimmer ist: Diese Diskussion lenkt wieder von der eigentlichen Kerndiskussion, die sich unsere Demokratien in Europa stellen müssen, ab, nämlich: sind wir in der Lage, Haushalte zu konsolidieren, sind wir in der Lage zu sagen, wir geben weniger aus, wir führen zurück, wir leisten uns bestimmte Dinge nicht mehr. Das wird ja dadurch vollkommen auf einmal wieder übertüncht.

    Zagatta: Sind Zeitungsberichte vom Wochenende so falsch, wonach zumindest der Bundesfinanzminister überlegt, bei den Verhandlungen wenn nicht heute und morgen, dann aber im Februar oder März auf diesen Vorschlag einzuschwenken, dann diese Nettosumme zumindest auf 750 aufzustocken? Ist das falsch?

    Fricke: Also wenn, dann wäre es an der Stelle, die Nettosumme – jetzt müssen wir wieder aufpassen – auf die 440 zu erhöhen, weil das ist ja der Internationale Währungsfonds auch wieder drin. Das sind wieder andere Teilnehmer an dieser ganzen Veranstaltung. Was den Finanzminister selber angeht, muss ich als Parlamentarier sagen, bin ich von ihm bisher in keiner Weise über diese Veränderung unterrichtet worden, und ich habe auch das Gefühl, dass gegenwärtig es wieder so läuft – und so habe ich auch die Äußerung des Ministers vorhin im Bericht verstanden -, dass auf der exekutiven Ebene Europas versucht wird, Dinge zu beschließen, auch in Verhandlungen mit dem deutschen Finanzministerium, und dann ein Parlament vor vollendete Tatsachen zu stellen und zu sagen, jetzt können wir gar nicht mehr anders, wie sollen wir es den Partnern erklären. Das halte ich als Parlamentarier auch in meiner Verantwortung vor dem Wähler für den falschen Weg, sondern das müssen wir, glaube ich, einfach dann mit einer höheren Transparenz machen. Es hört sich komisch an, aber ich habe jetzt gleich ein Gespräch mit dem Minister und mit mehreren anderen, und da bin ich sehr gespannt, ob wir dann zusätzliche Informationen bekommen.

    Zagatta: Werden Sie ihm das sagen, dass das mit Ihnen nicht zu machen ist, oder wäre das für Sie auch eine Erwägung?

    Fricke: Ich will ja erst mal wissen, was zu machen ist und was zu tun ist. Diese Versuche, die Politik oft macht, zu sagen, wenn das so kommt (ich weiß gar nicht, wie es ist), dann ist das so und so, das sind Hypothesen. Nein, ich möchte jetzt erst mal wissen: Wie sind die Zahlen, wie stellt man sich das vor? In Ihrem Bericht haben Sie ja auch gesagt, es gibt das eine Modell, das andere Modell, welches kommt aus Europa, welches kommt vom Finanzminister, hat das Kanzleramt eine andere Meinung als das Finanzministerium. Das sind Dinge, die möchte ich erst mal wissen, und ich kann nicht erkennen – und das halte ich für Politik auch für gefährlich -, warum ich mich jetzt heute oder diese Woche unter einen Zeitdruck setzen muss, wenn eine solche Entscheidung nicht ansteht in dieser Woche. Das ist dieser typische Versuch, über Fakten zu sagen, da ist keine Alternative. Keine Alternative ist immer falsch; es gibt immer eine Alternative. Ich muss gucken, so glaube ich jedenfalls als Politiker, welches ist die für Deutschland, aber auch für Europa beste Alternative.

    Zagatta: Jetzt wird das aber auf europäischer Ebene zumindest gefordert, die EU-Kommission will ja grundsätzlich mehr Geld für die Euro-Rettung, der Präsident der Europäischen Zentralbank, Trichet, hat am Wochenende sich ähnlich geäußert, und aus Berlin haben wir bisher gehört, wenn man das ganze stabilisieren will, dann brauchen wir mehr politische Einheit, also wir müssen mehr wirtschaftspolitische Macht auch nach Brüssel geben. Passt das zusammen?

    Fricke: Es passt. Dieser Versuch, jetzt den Hebel der Euro-Rettung zu einem Hebel zu machen, um bei der Wirtschafts- und Finanzpolitik zu Ergebnissen zu kommen, kann nur dann funktionieren – und da bleibe ich noch mal bei dem, was ich als Haushälter immer sage -, wenn die Basis dessen nicht ist irgendeine fiktive und abstrakte Wachstumsdiskussion, sondern wenn es eine Haushaltssanierungsdiskussion auch ist, wenn klar darin ist, was die Maßnahmen sind. Jetzt will ich das auch noch mal in der Tat sagen: Warum sind wir denn in der Krise? Wir sind deswegen in der Krise, weil Politik, weil Gesellschaft nicht in der Lage war zu sagen, stopp, das dürfen wir nicht mehr machen, sondern weil immer noch der beliebter war, der sagt, wir geben Geld, wir retten, wir helfen, beliebter war als derjenige, der gesagt hat, tut uns leid, das können wir uns nicht leisten. Wenn wir das nicht durchbrechen, führt all das, was es da an Vorschlägen gibt, nur dazu, dass es eine zeitliche Verzögerung gibt und man ein paar Wochen später wieder vor demselben Problem steht.

    Zagatta: Dann müsste man eine Schuldenbremse einführen, so wie Sie das in dem Beitrag von Ihrem Parteivorsitzenden und Außenminister eben gehört haben, an die sich Deutschland ja in der Vergangenheit auch nicht gehalten hat?

    Fricke: Also Schuldenbremsen gibt es schon seit Jahrtausenden fast, und die Diskussionen kennen wir ja schon aus dem alten Griechenland, dass der Staat zu viel Geld ausgegeben hat. Das Problem bei Schuldenbremsen ist immer, dass die Politik und die Gesellschaft nachher selber darüber entscheidet, ob sie die Regeln einhält. Deswegen muss ich eine Schuldenbremse so machen, dass derjenige belohnt wird und auch die Bürger erkennen in einer Demokratie, dass sich sparen lohnt. Und wir können das in Deutschland ja im Moment sehen. Die Tatsache, dass wir sparen, wenn auch noch mit einer hohen Neuverschuldung, zeigt ja, dass es geht und trotzdem Wirtschaft voran kommt. Das wird aber in anderen Ländern Europas leider noch nicht so gesehen, und ob Griechenland das schafft oder nicht wird auch davon abhängen, ob die Bürger dieses Landes weiterhin ein Einsehen darin haben, dass das Sparen für sie am Ende besser ist.

    Zagatta: Und auf europäischer Sicht, ob es entsprechende Sanktionen gibt?

    Fricke: Ja, wobei Sanktionen, sage ich immer, laufen im Bereich von Verschuldung dahingehend, dass bestimmte Dinge dann auf einmal nicht mehr möglich sind. Sanktionen sind immer etwas – und das ist bei uns privat ja auch so -, wenn das Geld irgendwann nicht mehr da ist, dann spüre ich die Sanktionen durch eigenes Handeln, dann muss gar keiner von außen dazutreten. Das muss man sich auch klar machen. Das schwierige ist, kann sich jeder Bürger selber fragen, wann kommt der Punkt, wo es nicht mehr geht. Privat bedeutet das immer, das Haus wird finanziert, das Auto wird finanziert, der Fernseher, und irgendwann auf einmal macht es klick und es geht nicht mehr. Den Punkt will ich nicht erreichen und den darf auch Politik nicht zulassen. Deswegen muss ich vorher sagen, es gibt dieses oder jenes nicht mehr.

    Zagatta: Aber das fragt man sich ja im Moment schon wieder. Wir haben gehört, Irland bräuchte diesen Rettungsschirm eigentlich gar nicht, wir haben es von Portugal gehört, jetzt gibt es große Bedenken, dass Portugal sehr bald da eintreten muss. Haben Sie Verständnis für die Bedenken, dass diese Diskussion und auch der Euro-Rettungsschirm, dass das ein Fass ohne Boden wird?

    Fricke: Ja. Ich habe sogar sehr große und das ist auch das, worauf ich als Abgeordneter und gerade als Haushälter immer wieder angesprochen werde, dass gesagt wird, Mensch Otto, hör mal, wir können doch da nicht immer mehr und immer mehr. Und da sage ich, da stimme ich zu. Aber ich will nochmals denjenigen, die sagen, da darf man gar nicht helfen, sagen: Das wäre sozusagen in voller Fahrt jemanden gegen die Wand fahren lassen. Das ist keine Alternative. Das wird oft vergessen, dass man sagt, was passiert denn, wenn wir gar nichts machen. Was wären die Effekte gewesen? Ein Bank-Run, wo jeder dann versucht hätte, noch sein Geld zu sichern, und, und, und. Aber ich glaube, dass wir als Europäer und gerade wir Deutschen, die wir von Europa so viel profitieren, übrigens auch vom Euro, sehen müssen, geben wir einem europäischen Freund die Chance, sich durch eigenes Sparen, durch eigenes hartes Arbeiten da rauszuholen, tun diejenigen Länder das, und was machen wir, wenn sie es nicht tun. Die Erkenntnis, wie weit die da sind, die muss ich genau verfolgen. Da muss ich sehen, wo ist der Punkt, wo ich erkenne, jemand, dem ich helfen will, ist aber nicht bereit, sich selber einzuschränken. Aber den Punkt, sage ich ganz genau, den muss man anhand von Fakten machen und nicht anhand von Äußerungen, wo man sagt, ich glaube, dass das Land XY, wenn es nicht das und das macht, dann das und das in der Folge jetzt mit sich machen lassen muss. Das ist eine falsche Art von Politik und ein falsches Verständnis für mich jedenfalls von Europa.

    Zagatta: Otto Fricke, der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Fricke, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Fricke: Ich danke!