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Das Kyoto-Protokoll retten

Die EU verfolge bei den Verhandlungen auf dem Klimagipfel "die falsche Reihenfolge", meint der klimapolitische Sprecher der Grünen, Hermann Ott. Zunächst müsse man das Kyoto-Protokoll retten, sonst würde es nach 2012 gar keine Verpflichtungen mehr für die Staaten geben.

Hermann Ott im Gespräch mit Gerd Breker | 09.12.2011
    Gerd Breker: Der Klimagipfel der Vereinten Nationen in Durban könnte nach Teilnehmerangaben scheitern, wenn die USA, Indien und China sich nicht für klare Klimaschutz-Zusagen etwa ab dem Jahr 2015 bereit erklären. Die Verschleppung des Ergebnisses, dass verbindliche Zusagen zur CO2-Minderung erst ab 2020 in Aussicht gestellt werden, diesem Vorschlag, dem will die Europäische Union nicht zustimmen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die 17. Klimakonferenz wie weiland die 6. Klimakonferenz vertagt wird.
    In Durban begrüße ich nun den klimapolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Hermann Ott. Guten Tag, Herr Ott.

    Hermann Ott: Guten Tag aus Durban!

    Breker: Herr Ott, wofür sind Sie: lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende, ein Kompromiss, den man nur als faul bezeichnen kann?

    Ott: Ich bin ja vorsichtig, was solche apokalyptischen Szenarien betrifft. Aber mit aller Vorsicht muss man doch auch sagen: Wenn hier ein Ergebnis herauskommen sollte, das den Klimaschutz weiter verschleppt und so, wie das manche Staaten wie die USA wollen, überhaupt erst 2020 dann die Verhandlungen beginnen, also so etwas darf hier nicht herauskommen, denn dann könnte man das auch gleich sein lassen. Dann muss die Europäische Union das auch scheitern lassen.

    Breker: Also ein heilsamer Schock, wie Jo Leinen eben im Beitrag von Georg Ehring angekündigt hat?

    Ott: So könnte man das nennen. Ich habe das ja selber auch 2000 in Den Haag erlebt. Damals haben ein paar vor allen Dingen auch grüne Minister diese Konferenz platzen lassen, weil es ansonsten zu einem Kompromiss gekommen wäre, der den Klimaschutz nicht vorangebracht hätte, sondern eher zurückgeworfen hätte. Dann gab es in Bonn Verhandlungen ein halbes Jahr später, die dann tatsächlich erfolgreich waren. Ob ein solches Szenario heute wieder möglich ist, ist nicht sicher. Insofern kann ich nur alle Verhandler dazu auffordern, doch hier in aller Ernsthaftigkeit zu verhandeln und vor allen Dingen nicht ein solches Ergebnis wie in Kopenhagen zuzulassen. Dort war nämlich dann der Kompromiss, wenn man das mal so ein bisschen roh sagen will, Geld gegen Leben, also keine vernünftigen Reduktionsschritte, also die Möglichkeit, von großen Schäden, Klimaschäden in der Zukunft, aber dafür das in Aussicht stellen eines großen Fonds. Das darf nicht der Kompromiss hier sein.

    Breker: Wer hat denn aus Ihrer Sicht den schwarzen Peter zurzeit? Sind das die USA, Indien und China' Sind das sozusagen die Bösewichte?

    Ott: Das ist auf jeden Fall das, was ich die fossile Achse nennen würde, also diejenigen Staaten, die ein sehr kohlenstoffintensives Entwicklungsmodell, wirtschaftliches Entwicklungsmodell verfolgen und die alles daran setzen, um hier verbindliche Verpflichtungen oder auch nur die Aussicht auf verbindliche Verpflichtungen zu vermeiden. Da liegt auf jeden Fall einmal der schwarze Peter. Er liegt aber natürlich auch bei der Europäischen Union zum Teil, denn die ist ja auch gespalten, die spricht ja nicht mit einer Zunge. Es ist nicht gelungen, hier alle Positionen wirklich zusammenzubringen. Und was der amerikanische Verhandler eben sagte, ist ja auch richtig. Die Europäische Union verfolgt die falsche Reihenfolge. Zunächst einmal muss es doch darum gehen, hier das Kyoto-Protokoll zu retten, denn ab Ende 2012 wäre der Himmel "wieder offen", also überhaupt keine Verpflichtungen mehr. Das heißt, die Europäische Union darf das nicht fahrlässig ausspielen gegen einen Fahrplan für weitere Verpflichtungen. Da muss die Europäische Union tatsächlich sich am Riemen reißen, denn man kann diese Staaten auch ganz schön verprellen und dann steht man hinterher wie in Kopenhagen da, sitzt am Katzentisch der Verhandlungen und hat nicht wirklich was dazu zu sagen.

    Breker: Ist, Herr Ott, nicht möglicherweise der Anspruch, auf so einer großen Konferenz der Vereinten Nationen mit verbindlichen Verträgen, mit verbindlichen CO2-Reduktionen etwas zu erreichen, ist dieser Anspruch nicht möglicherweise zu hoch gegriffen' Wäre es nicht sinnvoller, wenn einige Länder, zum Beispiel die Europäische Union, einfach Vorbild abgeben würden und versuchen, in bilateralen Gesprächen andere Länder zu gleichem zu überreden?

    Ott: Ja, beides ist wichtig. Die Europäische Union und andere müssen ein gutes Beispiel abgeben, und das tun wir ja zum Teil. Es gibt Rückschritte, aber ich finde, wir sind weltweit gesehen immer noch ein Erfolgsmodell, wie man auf einen neuen sauberen Energiepfad gelangen kann. Aber gleichzeitig sind internationale Vereinbarungen wichtig. Je mehr Staaten man im Boot hat, desto geringer sind die Ängste vor vermuteten Wettbewerbsverlusten. Was ich allerdings mittlerweile doch befürworte, ist ein Prozess, der neben den Vereinten Nationen läuft, und ich habe auch unseren Umweltminister Röttgen schon aufgefordert, nächstes Jahr eine Konferenz zusammenzubringen von Staaten – und die müssen handverlesen sein -, bei denen klar ist, dass alle weitergehende Klimaschutzmaßnahmen unterstützen. Denn über einen solchen parallelen Prozess kann man dann irgendwann eine große Initiative auch in diese Klimaverhandlungen der UNO hier einbringen. Das Verfahren hier lässt so etwas ansonsten nicht zu. Das wäre eine Möglichkeit aus dieser Sackgasse, um dann eine vernünftige Klimavereinbarung auch in den Vereinten Nationen zusammenzukriegen.

    Breker: Aber nach derzeitigem Stand, Herr Ott, ist doch klar: die Wetterextreme werden weiter zunehmen, die Meeresspiegel werden weiter steigen und das bedeutet für den einen oder anderen Inselstaat eine reale konkrete Gefahr.

    Ott: Absolut, und manchmal kommt man sich hier wirklich vor wie in einer gruseligen Atmosphäre. Da draußen verändert sich das Klima massiv, gleichzeitig werden die Emissionen erhöht, wie es noch nie der Fall war, und hier wird um wirklich Petitessen gestritten. Es wurde zum Beispiel der amerikanische Unterhändler gestern unterbrochen durch eine junge amerikanische Aktivistin, die dann die Rede gehalten hat, die das amerikanische Volk eigentlich halten sollte hier, und gesagt hat, die USA dürfen hier nicht weiter blockieren. Das war ein Ausdruck von Betroffenheit und Leidenschaft, der hier in den Verhandlungen ansonsten leider doch sehr vermisst wird, und deshalb würde ich mir hoffen, wir brauchen eine Klimapolitik der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Wir können nicht warten, bis die langsamsten wie USA oder vielleicht auch Indien und China mit ins Boot kommen. Wir müssen tatsächlich vorangehen, um dann die anderen einzuladen mitzukommen. Das klingt paradox, aber wenn man die USA dabei haben will, dann darf man nicht unbedingt den Plan haben, sie sofort mit reinzubringen.

    Breker: Und Ihre Vorhersage für das Ergebnis dieser Konferenz? Wird es ein Erfolg, oder wird es grandios scheitern?

    Ott: Es ist noch alles drin. Es wird die ganze Nacht verhandelt werden. Wir werden wahrscheinlich erst morgen früh die genauen Details haben. Ich kann nur hoffen, dass sich alle zusammenreißen, dass die Europäische Union stark bleibt, dass die afrikanischen Staaten stark bleiben im Angesicht der großen Summen, die da in diesem Fonds drin sein sollen, und an der Integrität des Protokolls, an der Integrität dieses Prozesses festhalten, denn es nützt wirklich nichts, wenn hier etwas abläuft, was in fernster Zukunft vielleicht einmal irgendetwas bringen soll. Wir brauchen ganz konkrete Schritte jetzt sofort.

    Breker: Im Deutschlandfunk live aus Durban war das der klimapolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Hermann Ott. Herr Ott, ich danke Ihnen für dieses Gespräch und wünsche Ihnen für diese Konferenz viel Erfolg.

    Ott: Ich danke Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.